Der Spiegel - 02.11.2019

(Brent) #1

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Kultur


Pop

Volle Kontrolle


 Was Frauen so machen, wenn sie gerade am Unterleib ope-
riert wurden: Tahliah Debrett Barnett, bekannt als Sängerin
und Performancekünstlerin FKA twigs, musste sich Ende
2017 sechs gutartige Tumore aus der Gebärmutter entfernen
lassen – und tanzte kurz darauf für einen Werbespot des
Regisseurs Spike Jonze durch eine Apartmentkulisse, so
vehement, dass ihre Wunde aufriss. Barnett, 1988 geboren,
war es bis dahin gewohnt, volle Kontrolle über ihre Physis zu
besitzen. Die feingliedrige Tänzerin wurde 2012 in London
auf der Straße entdeckt: Das »i-D«-Magazin nahm ihr Foto

als Sinnbild britischer Jugendkultur aufs Cover. Seitdem ist
Barnett nicht nur Mode-, sondern auch Popstar. Ihre zwi-
schen Elektronik und R&B changierende Musik wird ebenso
gefeiert wie ihre künstlerischen Videos, in denen sie sich
oft verstörenden Metamorphosen unterzieht. Die Krankheit
empfand Barnett als traumatisierend und kathartisch zu -
gleich: »Ich habe gelernt, wie kostbar mein Körper ist«, sagt
sie, »und dass ich ihn noch besser machen kann.« Um das
zu demonstrieren, lernte sie für den Clip zu ihrer Single
»Cellophane« Pole-Dancing – ein sinnlicher, riskanter Kraft-
akt. Um Selbstbehauptung geht es auch auf ihrem neuen
Album »Magdalene«, einer nur vordergründig fragil klingen-
den Beschäftigung damit, was es bedeutet, eine erwachsene
Frau zu werden. Schmerz überwinden, offenbar. BOR

»Es ist nicht egal, ob du eine gute oder eine schlechte Möhre isst.« ‣S. 132

Ausstellungen


Fühlen ohne Label


 »Es hat mich wahnsinnig berührt«,
hat Bernhart Schwenk schon oft von Be -
suchern der Münchner Pinakothek der
Moderne gehört. Kunst soll berühren.
Doch fühlen wir das Richtige? Das Muse-
um hat aus der Frage ein Experiment
gemacht. Am 7. November eröffnet »Fee-
lings. Kunst und Emotion«, eine Kunstaus-
stellung, reduziert auf die Gefühlsebene.
Neben den Werken stehen keine Titel, kei-
ne Künstlernamen. Weiße Wände gibt
es nicht. Auf Pistazienpastell, sanftem Alt -


rosa oder schrillem Neonpink
werden Gemälde von Marlene
Dumas oder Fotografien von
Cindy Sherman gezeigt. Erst
am Ende können die Besucher
auf einem Bildschirm Titel und
Künstler nachschauen. Davor
sollen sie sich auf die Werke
einlassen und fühlen. Ohne
Angst, das Falsche zu empfin-
den. Zuerst wollte Schwenk,
zusammen mit Filmemacherin
Nicola Graef, die Objekte nach Gefühlen
wie Angst, Freude, Glück, Trauer ordnen.
Die Kuratoren entschieden sich dagegen,

denn jeder Mensch habe
seine eigene Assoziationskette,
sodass dasselbe Bild unter-
schiedliche Emotionen wecke.
Die sozialen Medien hätten
die Welt und den Menschen
verändert, die Empathiefähig-
keit nehme ab, glauben sie.
»Das Tröstliche an Kunst ist,
dass sie in uns etwas auslöst,
wenn sie gut gemacht ist«, sagt
Graef. Auch die Konzentra -
tionsfähigkeit nehme durch Instagram und
Co. ab, des wegen hängt im letzten Raum
nur ein Bild. Sonst nichts.RED

MATTHEW STONE / BEGGARS GROUP

FKA twigs

Melzl-Werk, 2005

DER SPIEGEL Nr. 45 / 2. 11. 2019

BAYERISCHE STAATSGEMÄLDESAMMLUNGEN, SIBYLLE FORSTER © STEPHAN MELZL
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