Der Spiegel - 02.11.2019

(Brent) #1

Döpfner, 56, ist Meinungsmacht in Person.
Der Springer-Chef gebietet mit »Bild« über
Deutschlands größte Boulevardzeitung. Und
er persönlich hat Spaß daran, Debatten zu
provozieren. Nach dem antisemitischen At-
tentat von Halle veröffentlichte er in der
hauseigenen »Welt« einen Artikel, in dem er
Medien und Politik vorwarf, den »Wunsch-
traum der Political Correctness« zu träumen.


SPIEGEL:Herr Döpfner, fast zwei Drittel
der Deutschen meinen, man könne in die-
sem Land nicht mehr sagen, was man den-
ke. Gehören Sie auch dazu?
Döpfner:Nein, und das ist auch objektiv
falsch. Jeder kann in Deutschland sagen,
was sie oder er denkt. Interessant ist aber,
dass sich offenbar immer weniger Men-
schen das auch trauen. Meine paradoxe
Beobachtung: Je weniger Mut es kostet,
seine Meinung zu sagen, desto weniger
Mut ist vorhanden. Unter Hitler und Stalin
haben Menschen ihr Leben riskiert. In
Deutschland 2019 riskiert man einen Shit -
storm. Und kaum einer traut sich. Das ist
nicht gut. Widerspruch ist der Humus ei-
ner demokratischen, offenen Gesellschaft.
SPIEGEL:Es fehlt an Mut zum Wider-
spruch? Ist das Ihre Diagnose?
Döpfner:Ja, der Diskurs ist politisch kor-
rekt sediert. Ich vermisse lebendige De-
batten und überraschende Positionen.
SPIEGEL:Unser Eindruck ist ein anderer:
Noch nie wurde so viel gepöbelt, gab es so
viel radikale veröffentlichte Meinung. Vor
allem, aber nicht nur in den sozialen Netz-
werken.
Döpfner:Pöbeln ist ja das Gegenteil von
Debatte. Wir erleben im Moment eine Zwei-
teilung: einerseits die maximale Polarisie-
rung und Verrohung der Sitten vor allem in
den sozialen Netzwerken. Die Sprache am
Stammtisch in der Kneipe und am Stamm-
tisch bei Facebook wird immer roher, into-
leranter, wütender. Die Sprache vieler Poli-
tiker, Journalisten, Wirtschaftsführer, Künst-
ler im öffentlichen und veröffentlichten
Raum wird dagegen immer vorsichtiger,
steriler. Es wird immer riskanter, unvorbe-
reitet und ungescripted etwas zu sagen.
SPIEGEL: Sie klingen nach: Das wird man
doch wohl noch sagen dürfen.


20 DER SPIEGEL Nr. 45 / 2. 11. 2019


Titel

»Ich bin nicht die Sprachpolizei,


und ich will auch keine haben«


SPIEGEL-GesprächDer Chef des Springer-Verlags, Mathias Döpfner über das vergiftete
Meinungsklima in Deutschland, die Tabubrüche der AfD und die Kampagnen der »Bild«-Zeitung

Döpfner:Dieser Spruch ist doch schon zu
seiner eigenen Parodie geworden. Ich weiß
schon, in welche Ecke Sie mich da drängen
wollen. Aber wir versuchen hier doch zu
ergründen, warum so viele Menschen die
Debatte als verengt erleben, obwohl sie ja
objektiv alles sagen dürfen. Und das liegt,
glaube ich, wesentlich an einem gefühlten
und tatsächlichen Authentizitätsverlust.
SPIEGEL: Was meinen Sie damit?
Döpfner:Die Menschen spüren, dass im-
mer mehr Politiker und Medien eine Spra-
che benutzen, die an Saft und Kraft und
Ehrlichkeit verliert. Es ist eine Sprache der
Euphemismen und der Fehlervermeidung.
Der öffentliche Diskurs folgt den rhetori-
schen Regeln der Political Correctness.
Man beschreibt Dinge eher so, wie sie sein
sollten, und vor allem so, dass jeder An-
stoß vermieden wird. Das sorgt gerade im
politischen Raum dafür, dass Menschen
das Gefühl haben: Die sagen nicht, was
sie denken, und tun nicht, was sie sagen.
SPIEGEL: Ist nicht das Gegenteil wahr? Die
AfD verschiebt die Grenzen dessen, was
öffentlich sagbar ist, immer weiter. Da
wird die Nazizeit zum »Vogelschiss« in der
deutschen Geschichte.
Döpfner:Allein dieser Satz hätte in einem
Land, das ein klares, emotional tief wur-
zelndes Negativverhältnis zum Antisemi-
tismus hat, die AfD politisch erledigen müs-
sen. Hat er aber nicht. Das zeigt, dass das
Geschäftsmodell der AfD in Deutschland
auf fruchtbaren Boden fällt. Meine These
ist: Wir erleichtern der AfD ihre widerliche
Taktik, indem wir die Räume des öffentlich
Sagbaren enger machen. Das hat sogar Ba-
rack Obama ganz grundsätzlich in einem
Interview kritisiert. Wenn in der Öffent-

Allensbach-Umfrage vom 3. bis 16. Mai 2019; 1283 Befragte

Lieber Klartext
Umfrage: Wie viele Bundesbürger den folgenden
Aussagen zustimmen

63%

41%

Mir fehlen Politiker,
die eine deutliche
Sprache sprechen.
Mit der politischen
Korrektheit wird es
heute übertrieben.

lichkeit nicht über Straftaten von Flüchtlin-
gen gesprochen werden darf, ohne sofort
den Vorwurf der Ausländerfeindlichkeit zu
ernten, erleichtert das die Verschwörungs-
theorien der Populisten und Geschichts -
revisionisten. Genau das passiert gerade.
SPIEGEL: Das klingt jetzt nach der AfD-
Legende von den Systemmedien und Sys-
temparteien, die den Menschen die Wahr-
heit verschweigen.
Döpfner:Eben nicht. Ich versuche es mal
anders: Was waren denn die drei drastischs-
ten Formulierungen, die die Bundeskanz-
lerin in ihren 14 Jahren Regierung gesagt
hat, die Ihnen sofort in den Sinn kommen?
SPIEGEL: Ist das der Maßstab: drastische
Formulierungen?
Döpfner:Bei Franz Josef Strauß würde
man sagen: »Haben Sie überhaupt Abi-
tur?«, bei Gerhard Schröder: »Basta«. Was
sagt man bei Merkel? »Wir schaffen das.«
SPIEGEL: Und daran krankt die ganze poli -
tische Debattenkultur?
Döpfner:Wenn man die politische Spra-
che zu sehr auf Political Correctness aus-
richtet, erntet man den Erfolg einer Ge-
genbewegung. Das zeigt Donald Trump,
der ganz gezielt alle klassischen Regeln
politischer Kommunikation über den Hau-
fen geworfen hat und durch extreme Zu-
spitzung, extreme Polarisierung, extreme
Tabuverletzung die Wahl gewonnen hat.
Viele Leute fanden zwar furchtbar, was er
von sich gab, aber sie hatten das Gefühl:
Zumindest sagt er, was er denkt. Den an-
deren Kandidaten hat man das nicht ab-
genommen. Deshalb glaube ich, dass zu
viel politische Korrektheit am Ende exakt
das Gegenteil bewirkt: Intoleranz, Rassis-
mus, Xenophobie. Das Ergebnis ist Pola-
risierung, Schwächung der Demokratie.
SPIEGEL: Bitte machen Sie es doch einmal
konkret.
Döpfner:Ich bin nicht die Sprachpolizei,
und ich will auch keine haben. Aber ich
gebe Ihnen zwei Beispiele. Wenn der
CDU-Politiker Carsten Linnemann sagt,
dass ein Kind, das kaum Deutsch versteht
und spricht, auf einer Grundschule noch
nichts zu suchen hat, wird ihm unterstellt,
nicht über Probleme im deutschen Bil-
dungssystem sprechen zu wollen, sondern
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