Glasfasernetz, neue Straßenlaternen und
Gehwege. Statt einzelner Heizkessel ver-
fügt ein Großteil der Haushalte nun über
eine kompakte Übergabestation im Keller.
1400 Tonnen CO
²
würden so pro Jahr ein-
gespart, sagt Reinhardt.
Um das Großthema Klima, das die Bun-
desregierung ebenso wie die Uno-Vollver-
sammlung beschäftigt, kümmern sich viele
deutsche Städte und Gemeinden ganz
praktisch. Die Verantwortlichen fragen
sich, welchen Beitrag sie leisten sollen und
können, um den CO
²
-Ausstoß einzudäm-
men. Zwar stammen nur rund zwei Pro-
zent der schädlichen Emissionen weltweit
aus Deutschland, doch Klimapolitik hat
auch eine Vorbildfunktion, nicht zuletzt
für die privaten Verbraucher.
Eine weitere Veränderung, über die sich
Lokalpolitiker Gedanken machen, sind die
mittlerweile gehäuft auftretenden Wetter-
extreme. Die Kommunen suchen nach ge-
eigneten Konzepten gegen Gluthitze in
den Innenstädten oder gegen örtliche
Überschwemmungen. Vorrangig geht es
D
er Himmel leuchtet blau über
dem Kirchturm, die Herbstsonne
scheint mild auf die gewellten
Äcker. Andreas Reinhardt hat kei-
nen Blick für die Bilderbuchlandschaft, er
weist stolz auf einen Neubau am Ortsrand
inmitten von Solarpaneelen.
»Heizzentrale Solarenergiedorf Ligge-
ringen« steht auf dem Gebäude. Der Ge-
schäftsführer der Stadtwerke Radolfzell
erklärt, wie die Sache funktioniert: Die
Sonnenkollektoren auf dem Feld erwär-
men Wasser, das über ein Röhrennetz die
angeschlossenen Haushalte heizt. Scheint
die Sonne nicht stark genug, springt in der
Zentrale eine Heizung an, in der Holz-
schnitzel verbrannt werden.
»Jede vor Ort erzeugte Energie ist bes-
ser als solche, die über lange Leitungen
transportiert werden muss«, sagt Rein-
hardt. Rund vier Millionen Euro haben
seine Stadtwerke investiert und dabei
gleich den Ortsteil saniert: Liggeringen am
Bodensee, sieben Kilometer vom Radolf-
zeller Stadtzentrum entfernt, bekam ein
50
Tropennacht und
Tigermücke
UmweltpolitikDutzende Städte und Gemeinden machen vor,
wie Klimaschutz geht. Sie begrünen Dächer,
verbilligen die Bustickets oder verbieten Heizpilze.
STEPHANIE PILICK / DPA
Ökohaus in Berlin: »Die Kommune muss ein Vorbild sein«
DER SPIEGEL Nr. 45 / 2. 11. 2019
darum, die Lebensqualität ihrer Bürger zu
bewahren.
Die Vorzeigeanlage in Liggeringen ist
ein beliebtes Ziel für Delegationen aus an-
deren Städten und Ländern, selbst Ent-
sandte aus China oder Afrika waren schon
bei den Stadtwerken zu Besuch. Radolfzell
ist mit seinen 31 000 Einwohnern zwar kei-
ne Metropole, gilt aber als führend beim
regionalen Klimaschutz und ist Sitz meh-
rerer Umweltorganisationen.
Die Einzelfahrt mit dem örtlichen Bus
kostet seit 2017 nur noch einen Euro. Da-
für machte die Verwaltung die Parkplätze
teurer. Mit dem Resultat, dass bis zu ein
Fünftel weniger Autos geparkt wurden,
während sich die Busfahrten im Dreijah-
resvergleich verdreifachten. Zusätzlich
zum Verkehr achtet die Stadt besonders
auf den ökologischen Zustand der Gebäu-
de, ein erstes klimaneutrales Gewerbe -
gebiet ist ausgeschrieben.
»Deutschlandweit ist die nachhaltige
Wärmeversorgung das Sorgenkind der
Energiewende«, sagt der parteilose Ober-
bürgermeister Martin Staab. Das Klima-
paket der Bundesregierung hält er für »ma-
ger«: Es enthalte »zu viele Kompromisse«,
so Staab. Ölheizungen etwa dürften noch
über Jahre eingebaut werden.
Im Juli diskutierte der Radolfzeller
Gemeinderat, ob man auf Verlangen der
»Fridays for Future«-Bewegung den »Kli-
manotstand« ausrufen solle. Das Kommu-
nalparlament wählte dann lieber einen
anderen Begriff für sein Programm: »Kli-
makrise Radolfzell aktiv«.
Einen »Klimanotstand« haben in den
vergangenen Monaten Dutzende Kommu-
nen in Deutschland erklärt. Den Anfang
machte Konstanz am Bodensee: Die Stadt
erkenne die »Eindämmung der Klima -
krise« als »Aufgabe von höchster Priorität«
an, heißt es in einer Resolution des Ge-
meinderats von Anfang Mai. Der Ober-
bürgermeister schaffte seinen Dienst -
wagen ab. Bei sämtlichen Entscheidungen
muss die Verwaltung künftig bedenken,
wie sie sich aufs Klima auswirken. Dem
Beispiel folgten unter anderem Heidelberg,
Karlsruhe, Kiel, Münster, Lübeck, Greifs-
wald, Bonn, Köln, Potsdam, Trier, Jena
und Gladbeck. Auch kleinere Gemeinden
und Stadtbezirke schlossen sich an. In
Berlin machte der Stadtbezirk Pankow
den Vorreiter und rief den Klimanotstand
aus. Die Grünen fordern dort einen eige-
nen Klimaschutzbeauftragten und wollen
keine dienstlichen Inlands flüge für Bezirks-
amtsmitarbeiter mehr genehmigen.
Dabei ist der Begriff Klimanotstand,
übersetzt vom englischen »climate emer-
gency«, umstritten. »Wir stehen zwar unter
einem enormen Handlungsdruck«, sagt
der Mannheimer Oberbürgermeister Peter
Kurz (SPD), Ziel sei es aber gerade, »durch
entschiedenes Handeln einen Notstand zu