vermeiden«. Wenn vom Notstand geredet
werde, seien Zwangsmaßnahmen womög-
lich der nächste Schritt. »Damit sollte man
nicht spielen.« Stattdessen hat Kurz im Ge-
meinderat Anfang Oktober einen Dring-
lichkeitsplan zum Klimaschutz eingebracht.
Wie sehr die Erderwärmung die städti-
sche und stadtnahe Natur bereits verän-
dert, zeigt sich in Schwetzingen nahe
Mannheim. Im dortigen Schlossgarten,
einer denkmalgeschützten Anlage aus
dem 18. Jahrhundert, sind durch die Tro-
ckenheit 80 Prozent der Buchen im Park
geschädigt, 50 Prozent teilweise oder ganz
abgestorben. Selbst die noch gesunden
Bäume werfen Äste ab, sodass Parkbesu-
cher aus Sicherheitsgründen bisweilen
nicht mehr darunter sitzen dürfen.
Die Verwaltung lässt als Gegenmittel
unter anderem sogenannte Pflanzenkohle
vergraben: gebackene Gartenabfälle, die,
vermischt mit dem sandigen Boden, das
versickernde Regenwasser speichern sol-
len, um das Leben der Baumriesen zu
verlängern.
Ähnliche Probleme sind in anderen
historischen Gärten zu beobachten, zum
Beispiel in Sanssouci in Potsdam. »Wir wer-
den zentrale Elemente unseres kulturellen
Erbes verlieren, wenn wir nicht gegen -
steuern«, warnt Michael Hörrmann, Ge-
schäftsführer der Staatlichen Schlösser und
Gärten Baden-Württemberg sowie Vorsit-
zender des Vereins Schlösser und Gärten
in Deutschland. Schäden an der Vegetation
machten sich oft erst allmählich bemerk-
bar: »Der eigentliche Stress kommt noch.«
Der Experte rechnet teilweise mit Bedin-
gungen wie in Italien oder in Spanien.
Der Deutsche Städte- und Gemeinde-
bund hat aufgelistet, welche extremen
Ereignisse inzwischen gehäuft vorkom-
men: »Hitze und Dürre in Städten und
Gemeinden«, »Starkregenereignisse und
Hochwasser«, dazu Tropennächte mit
Temperaturunterschieden von bis zu zehn
Grad zwischen Stadt und Umland. Man-
cherorts drohen die Tiefbrun-
nen auszutrocknen.
Laut einem Bericht des Um-
weltministeriums Baden-Würt-
temberg steigen die Temperatu-
ren im deutschen Südwesten
stärker als im globalen Durch-
schnitt, in den vergangenen 30
Jahren um ein Grad. Die For-
scher errechneten für das Ende
des Jahrhunderts jährlich etwa
25 Hitze tage mit Temperaturen
von 30 Grad oder mehr (siehe
Grafik). Fichten und die belieb-
te Rebsorte Riesling könnten
verschwinden. Exotische Tier -
arten wie die Asiatische Tiger-
mücke oder die Grüne Reiswan-
ze aus Ostafrika breiteten sich
massiv aus.
Am Alpenrand fürchtet man eher Erd-
rutsche und Bergstürze. Ministerpräsident
Markus Söder (CSU), der sich medienwirk-
sam für den Klimaschutz engagiert, besuch-
te mehrmals die nach seinen Worten be-
sonders »klima intensive Region«, darunter
den schmelzenden Schneeferner-Gletscher
auf der Zugspitze. Am 24. Oktober führte
Söder die Ministerpräsidentenkonferenz
auf den höchsten deutschen Berg.
Im Kreis Kleve am Niederrhein verab-
schiedeten die Bürgermeister von 16 Städ-
ten und Gemeinden eine gemeinsame Er-
klärung: »Eine zeit gemäße Klimaschutz-
politik baut auf zwei Säulen: Vermeidung
und Anpassung.« Ein solches Handeln sei
ȟber die Grenzen der eigenen Kommune
als regionale Aufgabe zu verstehen« und
»gemeinschaftlich anzugehen«.
Viele Städte und Landkreise bundes-
weit bemühen sich um vorzeigbare Pro-
jekte: Der Landkreis Bayreuth will einen
Klimacheck für anstehende Entscheidun-
gen auch in Kommunalunternehmen und
Zweckverbänden einführen. Heidelberg
will die Gewerbesteuer für Unternehmen
senken, die sich klimafreundlich verhalten.
Der Städtetag Baden-Württemberg for-
dert, mehr solche Anreize in das kom -
munale Abgabensystem einzubauen.
Die Stadtverwaltung Fulda kühlt ihr
zentrales Rechenzentrum mit Geother-
mie. Landau in der Pfalz möchte be -
grünte Dächer bei neuen Garagen und
Carports zur Pflicht machen. In Senf -
tenberg in der Lausitz soll Busfahren
nach dem Willen des Stadtparlaments
nichts mehr kosten.
Die Maßnahmen werden
viel Steuergeld verschlingen,
besonders für Bau, Verkehr
und Energie. Hamburg hat
fast eine Milliarde Euro aus -
gegeben, um das Fernwärme-
netz zurückzukaufen. Künftig
will die Hansestadt ihre Kun-
den weit gehend CO
²
-neutral
versorgen, indem sie die Fern-
wärme ohne Kohle erzeugt.
In Stuttgart brachten Ober -
bürgermeister und Gemeinde-
rat ein 200 Millionen Euro
teures Paket auf den Weg.
Überschrift: »Weltklima in
Not – Stuttgart handelt«.
Im engen Stuttgarter Kes-
sel sollen zusätzliche Grün-
und Wasserflächen entstehen.
Wenn die Stadt neu baut, soll es ver-
pflichtend sein, Flachdächer komplett
zu begrünen, Fassaden zu mindestens
30 Prozent. Vom Stuttgarter Flughafen
sollen keine Flüge mehr zu Zielen abge-
hen, die auch in zwei Stunden per Bahn
erreichbar sind. Die Heizpilze, unter de-
nen sich in kühlen Nächten Kneipengän-
ger gern wärmen, sollen in Stuttgart ver-
boten werden.
»Die Kommune muss ein Vorbild sein«,
sagt Hans Erhorn vom Stuttgarter Fraun-
hofer-Institut für Bauphysik, der den
Klima-Masterplan für die Landeshaupt-
stadt mit erarbeitet hat. »Wenn die öf-
fentliche Hand nicht vorangeht, werden
Unternehmen und Bürger nicht folgen.«
Die Technologie für die flächen deckende
energetische Sanierung von Gebäuden
sei vorhanden, deutsche Unternehmen
seien häufig Markt führer, so der Bau -
experte.
Doch Erhorn warnt vor überzogenen
Erwartungen. »Die Verwaltungen sind
jetzt dabei umzustellen, aber das dauert.«
Besonders bei Sanierungen rechneten
sich die Einsparungen häufig erst nach
mehr als einem Jahrzehnt. »Solche Zeit-
spannen sollte eine Gesellschaft akzep -
tieren.«
Der grüne Stuttgarter Oberbürger-
meister Fritz Kuhn fährt einen Elektro-
Smart als Dienstauto und äußert Ver-
ständnis für die Bewegung »Fridays for
Future«, die Jugend protestiere zu Recht:
»Es geht nicht um Wohlfühlprogramme,
wir müssen wirklich etwas Relevantes
tun.« Doch der Stadtchef sagt auch:
»Ohne eine gute Klimapolitik des Bundes
können die Kommunen nicht das Maxi-
mum herausholen.«
So beurteilt der Städte- und Gemein-
debund das schwarz-rote Klimapaket
als »wichtigen Schritt«, hält jedoch die
Preisansage für CO
²
für »relativ zaghaft«.
Die Kommunalvertreter fordern eine
»ehr liche Debatte« über die Finanzierung
des Pakets und warnen vor Minderein-
nahmen für die Kommunen. Gerade die
brauchten jetzt zusätzliches Geld: »Im
Hinblick auf die notwendige Verkehrs-
wende in den Städten und Gemeinden ist
ein nachhaltiges und hohes Investitions-
paket notwendig.«
Klimaschützer in den Kommunen ha-
ben wie Greta Thunberg in New York klar-
gemacht, dass sie die Verantwortlichen
weiter in die Pflicht nehmen wollen. Die
Rhetorik der Aktivisten vor Ort ist kaum
weniger düster als die des Vorbilds.
In München etwa haben Klimaschützer
das Bündnis »München muss handeln« ge-
gründet. Bei ihren Treffen bezeichnet sich
die Gruppe als »Klima-Krisenstab«.
Jan Friedmann
Mail: [email protected]
51
Deutschland
Hitzetage*
in Baden-
Württemberg;
projizierter
Jahres-
durchschnitt
2021
bis
2050
1971
bis
2000
3,8**
6,6
2071
bis
2100
24,7
Quelle: LUBW
* ab 30 Grad Celsius;
** Referenzwert
Die Rhetorik der Aktivisten
vor Ort ist kaum weniger
düster als die des Vorbilds
Greta Thunbergs.