Die Welt - 02.11.2019

(Brent) #1

E


ine Kooperation mit Rechts-
nationalen? Das dürfe es auf
keinen Fall geben, sagt Se-
rap Güler, Staatssekretärin
für Integration in Nord-
rhein-Westfalen. Für das Bundesvor-
standsmitglied der CDU ist die AfD eine
offen rassistische Partei.

VON ROBIN ALEXANDER

WELT:Frau Güler, in der CDU fallen
gerade alle übereinander her. Können
Sie für uns einmal die Gefechtslinien
nachzeichnen?
SERAP GÜLER:Man kann es wie folgt
zusammenfassen: Das Bild, das wir als
Partei gerade nach außen abgeben, ist
grottenschlecht. Ich finde nicht, dass es
dabei um die Arbeit der Regierung geht,
vielmehr ist es das Bild, was wir tatsäch-
lich als Partei abgeben. Wir stehen da-
mit nicht alleine da. Aber nachdem die
SPD die Phase der Selbstzerfleischung
hinter sich hat und jetzt mit der Selbst-
findung beginnt, sind wir in der Phase
der Selbstzerfleischung angekommen.
Ich glaube, dass es beim Bürger, beim
Wähler und auch bei unseren Parteimit-
gliedern an der Basis alles andere als gut
ankommt, wenn wir nicht mehr über In-
halte sprechen, die wichtig für die Zu-
kunft unseres Landes sind, sondern uns
nur noch mit Personalfragen beschäfti-
gen.

Finden Sie nicht, dass die CDU immer
öfter wie eine linke Partei klingt, weil
sie nun auch noch erwägt, in Thürin-
gen einen Ministerpräsidenten der
Linkspartei zu wählen? Ist die CDU
zu den Linken übergelaufen?
Das ist sie nicht, nur um das einmal
klarzustellen. Mike Mohring hat betont,
dass er ein Gesprächsangebot des Mi-
nisterpräsidenten, der nicht gleichzeitig
der Vorsitzende der Linkspartei ist, an-
nehmen wird und nicht mit der Partei in
dem Sinne sprechen wird. Das ist noch-
mal ein wichtiger Unterschied. Ich
möchte aus Nordrhein-Westfalen keine
Ratschläge in Richtung Thüringen ge-
ben. Aber wenn man dort tatsächlich
die Überlegung haben sollte, es viel-
leicht doch bei Sachfragen auf eine Zu-
sammenarbeit mit den Linken ankom-
men zu lassen, dann glaube ich, müssen
wir tatsächlich von einem Tabubruch
sprechen. Dann dürfen wir uns nicht
wundern, wenn die Nächsten auf der
Matte stehen und sagen: Ja gut, wenn
Mohring sich nicht an einen Bundespar-
teitagsbeschluss hält, dann müssen wir
das auch nicht. Also gibt es jetzt eine
Zusammenarbeit mit der AfD. So weit
darf es nicht kommen.

Wir haben in den vergangenen Tagen
immer über den Osten geredet, was
die Menschen dort fühlen und warum
sie AfD wählen. Ich möchte einmal

umgekehrt fragen: Was fühlen unsere
Türken, unsere Kurden, unsere Italie-
ner, unsere Griechen, die schon seit
Jahrzehnten hier zu Hause sind, wenn
sie diese Wahlergebnisse der AfD im
Osten sehen?
All die Gruppen, die Sie gerade genannt
haben, die seit Jahrzehnten hier leben,
sind ein Teil unserer Gesellschaft. Und
genauso, wie durch diese Gesellschaft
gerade ein Riss geht, genauso gibt es
diesen Riss eben auch bei diesen Grup-
pen. Wir haben auf der einen Seite Men-
schen, die sich fragen: So wie ich ausse-
he, schwarze Haare, dunkle Augen, viel-
leicht dunkler Hauttyp, kann ich mich
eigentlich in manchen Teilen im Osten
dieser Republik noch frei bewegen?
Oder muss ich jetzt Angst haben, Opfer
eines Angriffs zu werden? Auf der ande-
ren Seite haben wir aber auch Men-
schen, die sich hier als erfolgreiche Un-
ternehmer einen Namen gemacht ha-
ben, die ein Ladenlokal oder ein Restau-
rant aufgemacht haben und sagen: In
meiner Stadt, in meinem Viertel sind
mittlerweile zu viele Flüchtlinge oder
zu viele Roma. Ich möchte das alles
nicht und deshalb überlege ich, meine
Stimme bei der nächsten Wahl an die
AfD zu geben.

Die AfD ist eine Option für erfolgrei-
che Leute aus den migrantischen
Communitys?
Mittlerweile für manche leider ja. Ich
muss selbst immer schlucken, wenn ich
diese Frage bejahe. Aber noch einmal:
Diese Menschen sind Teil dieser Gesell-
schaft, und wenn wir von einer Spaltung
in der Gesellschaft sprechen, brauchen
wir nicht denken, dass das an den Mi-
granten vorbeigeht. Sie finden die glei-
chen Ressentiments auch bei einigen
Migranten, die ja nicht per se bessere
oder schlechtere Menschen sind.

Andererseits: Warum sollten nicht ge-
rade Migranten für eine Politik der
kontrollierten Migration sein?
Das ist jetzt ein bisschen Schönrederei,
wenn ich das einmal so sagen darf. Es
geht bei der AfD nicht nur um kontrol-
lierte Zuwanderung. Das mag die Bun-
despartei behaupten. Aber wenn sich
Alexander Gauland als Parteivorsitzen-
der der AfD vor der Bundestagswahl
hinstellt und sagt, eine Person wie Ay-
dan Özoguz, die damalige Integrations-

hinstellt und sagt, eine Person wie Ay-
dan Özoguz, die damalige Integrations-

hinstellt und sagt, eine Person wie Ay-

staatsministerin, in Anatolien „entsor-
gen“ zu wollen, dann geht es hier nicht
nur um kontrollierte Zuwanderung.
Dann geht es hier ganz klar um Rassis-
mus. Menschen entsorgt man nicht,
und Aydan Özoguz ist genauso eine
Deutsche wie Sie oder Alexander Gau-
land. Auch wenn das bestimmte Men-
schen in unserem Land nicht akzeptie-
ren wollen: Aber „Entsorgung“ ist nicht
einfach nur ein Ausrutscher gewesen.
Oder wenn der brandenburgische AfD-

Politiker Andreas Kalbitz laut einigen
Medienberichten sagt, auch Menschen
wie Cem Özdemir müssten das Land ei-
gentlich verlassen: Dann sprechen wir
hier nicht mehr über eine kontrollierte
Zuwanderung.

Vom AfD-Politiker Nicolaus Fest
stammt der Satz: „Wir riefen Gastar-
beiter und es kam Gesindel.“ Sie ha-
ben darauf auf Twitter sehr scharf
und auch persönlich reagiert. Wa-
rum?
Ganz einfach, weil es mich wirklich per-
sönlich getroffen hat. Mein Vater kam
’63 als Gastarbeiter in dieses Land. Ich
finde, das ist eine Generation, die es am
allerschwierigsten hatte. Da wurden im
Gegensatz zu den Menschen, die heute
zu uns kommen, keine Sprachkurse zur
Verfügung gestellt, da gab es noch keine
sogenannte Willkommenskultur. Diese
Menschen sind nur zum Arbeiten ge-
kommen oder wurden nur zum Arbei-
ten geholt. Und das haben sie getan.
Zehn bis zwölf Stunden, manchmal so-
gar länger. Am Fließband, unter Tage
oder irgendwo auf dem Bau.

Wo hat Ihr Vater gearbeitet?
Unter Tage. Er hat vorher schon in der
Türkei im Bergbau gearbeitet, kam als
23-Jähriger nach Deutschland und hat
hier weiter Kohle gegraben. Es waren
fast 35 Jahre. Mein Vater hat bis Mitte
der 90er-Jahre gearbeitet und ist dann
in Frührente gegangen. Wissen Sie,
wenn er heute von seiner Arbeitszeit er-
zählt, sagt er Ihnen ganz stolz mit sei-
nem nach wie vor gebrochenen
Deutsch: 35 Jahre ohne einen Tag krank.
Darauf ist er stolz. Und wenn da jetzt je-
mand kommt und sagt, diese Menschen
sind eigentlich nur „Gesindel“, dann
trifft mich das natürlich auch persön-
lich und mit mir zusammen ganz viele
andere meiner Generation, deren Väter
überwiegend als Gastarbeiter gekom-
men sind.

Michael Heym, Vizefraktionsvorsit-
zender der CDU in Thüringen, hat
nach der Landtagswahl gefordert,
dass die CDU auch mit der AfD spre-
chen soll. Was sagen Sie dazu?
Ich habe damit ein tiefergehendes Pro-
blem. Wir haben gerade über Alexander
Gauland und Andreas Kalbitz gespro-
chen. Ich glaube, die meisten Zitate, die
Menschen wie mich ausschließen, kann
Ihnen nach wie vor Björn Höcke liefern.
Und wenn, wenn, wenn man dann noch
erwägt, mit dieser Person eine Koalition
einzugehen, dann nehme ich das auch
als Angriff auf meine Person und auf
meine Geschichte in diesem Land wahr.
Das kann ich nicht gutheißen, das kann
ich nicht rechtfertigen. Da habe ich eine
ganz klare Haltung. Auch dann, wenn
sie sich gegen einen Parteikollegen rich-
tet.

„‚GESINDEL‘? –


Das trifft mich


natürlich auch persönlich“


Serap Güler, CDU-Politikerin aus NRW mit türkischen Wurzeln, sieht eine


mögliche Zusammenarbeit der Union mit der AfD in Thüringen als Angriff


DPA/ PA/ OLIVER BERG

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02.11.19 Samstag, 2. November 2019DWBE-HP


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10 POLITIK DIE WELT SAMSTAG,2.NOVEMBER


M


ichael Heym, stellver-
tretender CDU-Frakti-
onschef in Thüringen,
wünscht sich, was in-
nerhalb der Union
kaum jemand sonst sich wünscht – eine
Zusammenarbeit mit der AfD. Diese
sieht er als „konservative Partei“ mit ei-
ner bürgerlichen Wählerschaft.

VON ROBIN ALEXANDER

WELT:Herr Heym, Sie sind bundes-
weit bekannt geworden, weil Sie nach
der Thüringen-Wahl gesagt haben,
dass Sie sich auch ein Gespräch mit
der AfD vorstellen können. Bleiben
Sie dabei?
MICHAEL HEYM:Das ist nicht ganz so
gewesen. Am Tag nach der Wahl gab es
die Nachricht, dass unser Vorsitzender
Mike Mohring Gespräche mit Minister-
präsident Bodo Ramelow führt. Da habe
ich gesagt: Das ist okay, aber es gibt in
diesem neu gewählten Landtag auch ei-
ne bürgerliche Mehrheit rechts von die-
ser ganzen Situation. Denn CDU, FDP
und AfD haben eine Mehrheit von 48
Stimmen. Wenngleich man inzwischen
sagen muss, dass das ganze Modell frag-
lich ist. Denn inzwischen ist nicht si-
cher, ob die FDP auch wirklich im Thü-
ringer Landtag ist, weil noch einmal ge-
zählt worden ist. Die Partei liegt ja nur
wenige Stimmen über dem Schnaps.

Noch ist die Partei ja drin. Laut Ihrer
Rechnung sehen Sie die AfD also als
eine bürgerliche Partei.
Ich sehe die AfD als eine konservative
Partei. Und wenn über die AfD gespro-
chen wird, dann sehe ich zuerst die fast
25 Prozent Wähler, die der Partei ihre
Stimme gegeben haben. Der immer
gleich lautende Reflex, dass das alles
Nazis wären, den teile ich so nicht. Die-
se Wähler sind nicht alle Nazis. Die AfD
wird sich über kurz oder lang auch Ge-
danken darüber machen müssen, ob sie
eine Protestpartei bleiben oder Verant-
wortung übernehmen will – mit ent-
sprechenden Veränderungen personel-
ler und inhaltlicher Natur. Damit dieser
Klientel, die der Partei nun ja schon bei
mehreren Wahlen das Vertrauen gege-
ben hat, auch Genüge getan wird.

Sie sagen, die Leute, die AfD gewählt
haben, sind keine Nazis. Warum ha-
ben so viele Thüringer die Partei ge-
wählt?
Für mich ist der Strauß da sehr bunt.
Die Leute wählen Protest, weil sie of-
fensichtlich bei den etablierten Parteien
nicht mehr das finden und hören, was
ihren Erwartungen an die Politik ent-
spricht. Es ist auch ein Stück weit Ver-
druss. Ich will das nur mal beispielhaft
sagen. Mir ist im Wahlkampf bei den
Themen Integration, Grundrente oder
auch Klimapaket immer wieder gesagt

worden: Das verstehen wir alles nicht
mehr. Und: Wir finden uns in der Poli-
tik, die ihr macht, nicht wieder. Das sind
insbesondere Bundesthemen. Aber der
Wähler macht an der Stelle da auch im
Wahlkampf von Thüringen keine Unter-
schiede.

Dann schließen Sie sich also dem Ur-
teil von Friedrich Merz an, der die
große Koalition als „grottenschlecht“
bezeichnet hat?
Die große Koalition in Berlin hat uns im
Wahlkampf von Thüringen überhaupt
nicht geholfen. Das kann man ganz klar
konstatieren.

Sie vertreten die CDU ja schon einige
Jahre im Landtag. Beschreiben Sie die
AfD-Abgeordneten einmal für uns.
Die Thüringer AfD hat ja eine Besonder-
heit – und die hat einen Namen: Björn
Höcke. Der ist wirklich national und in-
ternational durch seine extremistischen
Verlautbarungen und Positionen be-
kannt. Im Übrigen: Die Kollegen der
AfD-Fraktion sind gut händelbar. Wie
Kollegen aus anderen Fraktionen auch.

Das heißt: Die AfD-Abgeordneten –
außer Höcke – sind sofort in ein bür-
gerliches Bündnis integrierbar?
Auch die AfD müsste sich bewegen. Ich
habe ja dargestellt, dass es eine konser-
vative Mehrheit nach dieser Wahl gibt.
Damit ist nicht gesagt, dass wir dann die
Wahlprogramme der Parteien zusam-
menmixen und dann alles Friede, Freu-
de, Eierkuchen ist. Da gäbe es viele Ge-
spräche, und es müssten viele Bedin-
gungen erfüllt sein, um dort miteinan-
der arbeiten zu können. Außerdem
muss ja auch nicht jede Zusammenar-
beit gleich in einen Koalitionsvertrag
münden.

Im Moment dreht sich die Debatte ja
um die Frage, ob die CDU mit der
Linkspartei zusammenarbeitet, damit
der Wahlgewinner, der linke Minister-
präsident Bodo Ramelow, weiterma-
chen kann. Wenn es nun eine Alterna-
tive dazu gäbe, dass beispielsweise
die AfD ein Bündnis toleriert, in dem
die CDU den Ministerpräsidenten
stellt: Sollte Ihre Partei das erwägen?
Ich persönlich hätte damit kein Pro-
blem.

Nun ist die Beschlusslage der CDU
ziemlich eindeutig. Von Bundesebene
bis runter auf Kreisebene gilt: keine
Koalition mit der AfD, keine Koalition
mit der Linkspartei. Glauben Sie, dass
diese Beschlusslage zu halten ist?
Also ich selbst bin seit über 20 Jahren
Kreisvorsitzender. Wir haben solche
Beschlüsse nicht gefasst. Ich kenne na-
türlich den Beschluss der Bundes-CDU.
Aber viele haben mit dieser Wahl in
Thüringen das erste Mal eine Situation,

dass die etablierten Parteien, die sich
selbst alle in der Mitte sehen, nicht
mehr eine Mehrheit im Parlament dar-
stellen können. Das zwingt doch dazu,
über die ganze Situation neu nachzu-
denken.

Gilt das auch gleichermaßen für die
Linkspartei?
Ich muss sagen, dass ich im Wahlpro-
gramm der Linkspartei wenig finde, was
meine Zustimmung hätte. Wir haben ja
auch das Phänomen in Thüringen, dass,
wenn von Linkspartei geredet wird, vie-
le Leute Ramelow im Kopf haben. Die-
ser ist ein eloquenter, rhetorisch ge-
schliffener Ministerpräsident, aber er
ist das Feigenblatt für eine Partei, die
fundamentalistische Ansichten hat. Das
findet sich auch im Wahlprogramm wie-
der. Da frage ich mich schon: Wo kann
es eine Schnittmenge zwischen Linker
und CDU geben, die dafür sorgt, dass
man dort ein stabiles Gefüge im Land-
tag für die nächsten Jahre hätte? Ich se-
he das nicht.

Hat die CDU in Thüringen nach Ihrer
Ansicht mehr Gemeinsamkeit mit der
AfD als mit der Linkspartei?
In vielen Positionen, wenn ich die Pro-
gramme nebeneinanderlege, sehe ich
schon Gemeinsamkeiten. Zum Beispiel
in der Landwirtschaftspolitik oder auch
in der Sicherheitspolitik, wenngleich
ich zum Beispiel beim Verfassungs-
schutz schmunzeln muss. Die Linken
wollen den Verfassungsschutz abschaf-
fen und unterstellen, er werde politisch
instrumentalisiert. Dasselbe lese ich
auch bei der AfD. Das sind natürlich
Dinge, über die gesprochen werden
müsste. Aber das sind ja alles Überle-
gungen, die man beginnt anzustellen,
wenn man tatsächlich sagt: Ja, lasst uns
mal zusammensetzen. Und an dem
Punkt sind wir ja noch lange nicht.

Serap Güler, Integrationsstaatssekre-
tärin in Nordrhein-Westfalen, sagt,
dass wenn CDU-Politiker darüber
nachdenken, mit der AfD zu reden,
dann empfände sie das als „persönli-
chen Angriff auf meine Person und
die Geschichte in diesem Land“. Kön-
nen Sie das nachvollziehen?
Im ersten Augenblick kann ich das nicht
nachvollziehen. Aber das zeigt doch
wieder, wie breit die CDU aufgestellt
ist. Die CDU in Nordrhein-Westfalen ist
mit Sicherheit eine andere Partei als
diejenige hier in Thüringen.

Inwiefern?
Die CDU in Nordrhein-Westfalen hat
sich bei vielen Positionen, so ist zumin-
dest meine Wahrnehmung, von frühe-
ren Positionen längst nach links wegbe-
wegt. Die Ost-CDU ist da schon noch
ein bisschen in den traditionellen Posi-
tionen verhaftet.

D

PA/ PA/ MARTIN SCHUTT

„Eine bürgerliche


MEHRHEITvon CDU,


FDP und AfD“


Der CDU-Fraktionsvize


im Thüringer Landtag,


Michael Heym,


denkt laut über


eine Tolerierung der


Union durch die


Rechtsnationalen nach


TDiese Interviews wurden vom stellvertretenden WELT-Chefredakteur Robin Alexander geführt. Hierbei handelt es sich um gekürzte Versionen.
Sie erschienen ebenfalls in Auszügen in Gabor Steingarts werktäglichem Newsletter „Morning Briefing“ und als Gespräche in „Morning Briefing: Der Podcast“.

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