Die Welt - 02.11.2019

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02.11.19 Samstag, 2. November 2019DWBE-HP


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16 MITTELSTAND *DIE WELT SAMSTAG,2.NOVEMBER


E


inen Monat muss Stefan
Waldenmaier noch warten.
Dann beginnt für den von
ihm geleiteten Küchenher-
steller Leicht eine neue
Zeitrechnung – in einer komplett neuen
Fabrik. In den Wochen danach sollen
schnellstmöglich Maschinen und Anla-
gen montiert, Arbeitsplätze eingerich-
tet und die Produktion hochgefahren

werden. „Das wird noch mal einige Zeit
dauern“, sagt der Vorstandsvorsitzende
des Mittelständlers aus dem württem-
bergischen Waldstetten. Zumal bei sol-
chen Projekten immer mal etwas dazwi-
schenkommen könne. „Der Start ist nun
aber absehbar.“
Und das erleichtert Waldenmaier un-
gemein. „Am alten Standort platzen wir
aus allen Nähten“, erklärt der Unter-

nehmer im WELT-Gespräch. Und das
bremse die zuletzt gute Entwicklung
von Leicht derzeit ganz erheblich. 2019
jedenfalls sollen die Umsätze nach Aus-
kunft des 57-Jährigen stagnieren. Und
das nach zuletzt mehreren Wachstums-
sprüngen in Folge: Von 2015 bis 2018 gab
es noch Erlössteigerungen von jeweils
zwischen neun und elf Prozent auf zu-
letzt fast 150 Millionen Euro. Doch die

Möglichkeiten der alten Fabrik scheinen
ausgereizt, Kunden mussten im vergan-
genen Jahr aufgrund fehlender Produk-
tionskapazitäten bis zu fünf Monate auf
ihre neue Küche warten. Üblich sind
sonst vier bis sechs Wochen. „Zeitweise
hat der Handel den Verkauf unserer Kü-
chen sogar gestoppt, weil solche Warte-
zeiten keinem Kunden mehr zu vermit-
teln sind“, erzählt Waldenmaier. Und
das zeigt sich nun auch in den Zahlen.
Zwar hat sich die Lage mittlerweile
wieder normalisiert. Trotzdem ist
Leicht für die Zukunft auf die in Summe
rund 90 Millionen Euro teure neue Fa-
brik angewiesen. „Werk 2 bietet uns
hervorragende, einfach skalierbare Ex-
pansionsmöglichkeiten. Nur dadurch
können wir uns weiterentwickeln und
Wachstumschancen nutzen“, erklärt
der Firmenchef. Am bestehenden
Standort sei aufgrund der räumlichen
Verhältnisse kein weiterer Ausbau mög-
lich. Noch dazu sei das Werk zerstückelt
und die Produktion damit alles andere
als ideal. „Wir haben nicht mal die Flä-
che, um moderne neue Anlagen in die
alten Hallen zu stellen.“
Aktuell schafft Leicht maximal 150
Küchen pro Tag. „In der neuen Fabrik
werden es schon bei vergleichbarer Be-
setzung mit vergleichbarer Arbeitszeit
rund 30 bis 40 Prozent mehr sein.“ Und
weitere deutliche Steigerungen sind
möglich im neuen 40.000-Quadratme-
ter-Werk, das im Gewerbegebiet „Güg-
ling“ am Rande von Schwäbisch Gmünd
auf der Ostalb steht, rund vier Kilome-
ter entfernt vom Stammsitz des 1928 ge-
gründeten Familienunternehmens.
Waldenmaier ist überzeugt, dass diese
Kapazitäten mittelfristig auch ge-
braucht werden. „Das Thema Küche
bleibt ein Wachstumsmarkt“, prognos-
tiziert der Leicht-Chef, der auch Präsi-
dent des Verbands der Deutschen Kü-
chenmöbelindustrie (VdDK) ist.
Mit dieser Einschätzung ist Walden-
maier nicht alleine. Daher wird nicht
nur bei Leicht investiert und gebaut.
Auch die Konkurrenten Häcker, Schül-
ler, Nolte, Ballerina und Rotpunkt wer-
den bereits aktiv oder sehen sich zumin-
dest um. Marktführer Nobilia zieht so-
gar gleich zwei neue Werke hoch: eins in
Saarlouis und eins in Gütersloh, wo
künftig Sonderanfertigungen gestemmt
werden sollen. Nach Saarlouis im Saar-
land wiederum gehen die Ostwestfalen,
um die Hauptexportmärkte Frankreich
und Belgien besser bedienen zu können.
Der Produktionsstart könnte dabei nach
Unternehmensangaben noch 2020 er-
folgen, genau wie bei Häcker, die als
Nummer drei in der Branche gelten.
Beim dritten Branchenriesen Schüller
schließlich, der sein Stammwerk im
bayerischen Herrieden erweitert, sollen
2021 die ersten Küchen vom Band lau-
fen. Die Unruhe in der Branche ist ent-
sprechend groß. Denn die neuen Kapazi-
täten sind höher als das Produktionsvo-
lumen der übrigen Hersteller, die nicht
ausbauen. „Das ist eine klare Kampfan-
sage“, gibt ein Manager eines großen
Herstellers zu. Vor allem kleine Produ-
zenten fürchten nun, dem neuen Ver-
drängungswettbewerb zum Opfer zu
fallen. Der Handel wiederum sorgt sich
um die Machtbalance in der Branche.

Ihn treibt die Frage um, ob der Marktdo-
minanz der führenden Industriebetrie-
be künftig noch genügend Einkaufs-
macht entgegengesetzt werden kann.

VON CARSTEN DIERIG
AUS WALDSTETTEN

Doch zuerst muss sich zeigen, ob die
neuen Kapazitäten überhaupt ge-
braucht werden. 2018 haben zwar fast
alle Hersteller am Limit produziert, wie
Volker Irle berichtet, Geschäftsführer
der Arbeitsgemeinschaft „Die Moderne
Küche“ (AMK). „Wir hatten Vollauslas-
tung in fast allen Fabriken.“ Damals gab
es allerdings auch einen Sondereffekt
durch die Pleite des Volumenanbieters
Alno samt Tochterfirmen wie zum Bei-
spiel Wellmann. „Die Aufträge wurden
auf die anderen Hersteller verteilt“,
sagt Irle. Dieser Effekt fällt nun weg.
Noch dazu mehren sich die Anzeichen
für eine Rezession in Deutschland, hin-
zu kommt die Unruhe in der Weltwirt-
schaft ausgelöst durch Handelskonflik-
te und den schwelenden Brexit. „Die
Vorzeichen könnten aktuell besser
sein“, gibt daher Leicht-Chef Walden-
maier zu. Angesichts der vielen schlech-
ten Nachrichten aus der Wirtschaft mit
Prognosesenkungen und Stellenstrei-
chungen seien auch die Konsumenten
vielfach verunsichert. „Andererseits:
Krisenzeiten sind Küchenzeiten.“ Das
habe sich in der Vergangenheit schon
öfter gezeigt.
Und tatsächlich läuft das Jahr 2019
überraschend gut. Während wichtige
Industriezweige wie Maschinenbau,
Stahl- oder Autoindustrie schon seit
Monaten teils kräftige Auftragseinbu-
ßen verzeichnen, melden die Küchen-
hersteller florierende Geschäfte. Bis
Ende August jedenfalls hat sich in der
mittelständisch geprägten Branche ein
Plus von 2,14 Prozent angesammelt, wie
die AMK berichtet. Wobei das Geschäft
dem Verband zufolge teils extremen
Schwankungen unterliegt: Im Mai zum
Beispiel gab es ein Plus von 17 Prozent,
im Juni dagegen ein Minus von über
zwölf Prozent. „Am Ende dürfte es bei
dem bisherigen Plus von zwei Prozent
bleiben“, prognostiziert AMK-Ge-
schäftsführer Irle. Damit würden die
Hersteller einen neuen Rekordumsatz
erzielen. 2018 lagen die Erlöse der als
weltweit führend eingestuften deut-
schen Küchenmöbelindustrie noch bei
rund 11,4 Milliarden Euro.
Impulse kommen dabei vor allem aus
dem Export, der sich mittlerweile der
50-Prozent-Marke nähert. „Im Ausland
hat die Branche noch großes Potenzial“,
sagt Verbandsvertreter Irle. Küchen
„made in Germany“ seien weltweit ge-
fragt. Teils werden für Ware aus
Deutschland sogar Extra-Aufschläge be-
zahlt. In China ist je nach Marke schon
von Faktor 20 die Rede. Noch allerdings
ist die Volksrepublik ein eher unterge-
ordnetes Exportziel. Die mit Abstand
wichtigsten Auslandsmärkte liegen in
Europa und heißen Frankreich, Nieder-
lande, Österreich und Großbritannien.
Zwar gibt es auch in anderen Ländern
bekannte Küchenhersteller. Welch gro-
ßes Ansehen die deutschen Anbieter je-
doch haben, zeigt nicht zuletzt der Blick

auf die Absatzstatistik in der Heimat:
Nur 1,8 Prozent der hierzulande ver-
kauften Küchen sind laut AMK Import-
ware. Zum Vergleich: Bei den übrigen
Sortimenten des deutschen Handels
stammen zwei von drei Möbelstücken
aus dem Ausland, insbesondere aus Chi-
na und Osteuropa.
Wobei die Statistik teils verzerrt ist,
weil etliche deutsche Möbelhersteller
auch im Ausland produzieren. Anders
die Küchenanbieter. „Von denen hat kei-
ner ein Werk im Ausland“, sagt AMK-
Vertreter Irle. Marktführer Nobilia hat-
te zwar Pläne unter anderem in China,
die scheinen mittlerweile aber wieder
verworfen worden zu sein. Roboter,
moderne Anlagentechnik, ein engma-
schiges Netz an Zulieferern und nicht
zuletzt das Know-how der gut ausgebil-
deten Mitarbeiter machten die Produk-
tion auch hierzulande attraktiv, erklärt
VdDK-Präsident Waldenmaier. Noch
dazu lassen sich die Deutschen eine Kü-
che auch etwas kosten: Bei 7125 Euro lag
2018 der durchschnittliche Auftrags-
wert für eine neu bestellte Küche, mel-
den die Marktforscher der GfK. Das
sind 228 Euro mehr als noch ein Jahr
zuvor. Im Vergleich zu 2013 liegt das
Plus beim Ordervolumen sogar bei 1225
Euro oder umgerechnet gut 21 Prozent.
„Die Küche als Herzstück vieler Woh-
nungen hat immens an Bedeutung ge-
wonnen“, sagt AMK-Chef Irle.
Das bestätigt auch Leicht. „Die Küche
steht heute repräsentativ im Raum und
soll dementsprechend vorzeigbar sein“,
erklärt Firmenchef Waldenmaier. In-
zwischen wünschen sich viele Verbrau-
cher sogar, dass sich das Design der Kü-
che auch in anderen Räumen wiederfin-
det. „Wir stellen daher mittlerweile
auch immer häufiger Begleitmöbel her
wie Schränke, Regale oder Sideboards“,
sagt Waldenmaier. Leicht gilt daher zu-
nehmend als Architekturmarke. Kaum
verwunderlich also, dass der durch-
schnittliche Auftragswert bei rund
13.000 Euro liegt und damit fast doppelt
so hoch wie der Marktdurchschnitt. Bei
Küchen mit über 20.000 Euro Bestell-
wert ist das Familienunternehmen mit
einem Anteil von 27 Prozent laut GfK
sogar Marktführer.
Der Anteil des Hochpreissegments
mit Leicht-Konkurrenten wie Siematic,
Poggenpohl oder Bulthaup hat in den
vergangenen Jahren branchenweit zu-
gelegt: von zehn auf 14 Prozent binnen
fünf Jahren. Und auch Küchen mit ei-
nem Bestellwert zwischen 10.000 und
20.000 Euro konnten ihren Anteil deut-
lich ausbauen von 30 auf 38 Prozent.
Gleichzeitig hat sich der Anteil günsti-
ger Küchen deutlich reduziert. Hinter-
grund ist nicht zuletzt auch eine geho-
benere Ausstattung, wie es bei der AMK
heißt. Oberschränke zum Beispiel be-
kommen elektronische Hilfen zum Öff-
nen oder sogar zum Rauf- und Runter-
fahren, wenn die Nutzer zum Beispiel
unterschiedlich groß sind. Dazu werden
in den Schränken und an den Möbelkan-
ten zunehmend LED-Lichtbänder ver-
baut. Und schließlich gewinnt Natur-
holz als Material an Bedeutung, ebenso
dunkle Oberflächen, auf denen dank ei-
ner neuen Beschichtungstechnik keine
Fingerabdrücke mehr zu sehen sind.

LEICHT/ P. SCHUMACHER

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Krise? KÜCHENHERSTELLER bauen sogar an


Trotz schwächelnder Konjunktur steht die Branche vor einem Rekordjahr. Insbesondere teure Modelle sind gefragt. Doch der Boom hat eine Schattenseite


In der alten Fabrik (l.) kann Hersteller Leicht die Aufträge nicht schnell genug ab-
arbeiten. Das soll sich im neuen Werk (o.) ändern. Die Modelle (r.) sind weltweit beliebt

Teure Küchen werden immer wichtiger


Quelle: GfK

Umsatzanteil nach Auftragswerten in Prozent

2014 2015 2016 2017 2018

    

 

  



   

    

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