Süddeutsche Zeitung - 02.11.2019

(Barré) #1
von jürgen schmieder

B

evor es um den Inhalt dieser
Botschaft geht, sollte unbe-
dingt geklärt werden, ob Jack
Dorsey sie an die 4,3 Millionen
Follower seines Twitter-Ac-
counts geschickt hat. Der Gründer des
sozialen Netzwerks, der die Firma mittler-
weile auch wieder leitet, wusste freilich,
dass sich diese Botschaft über Likes und
Retweets verbreiten würde, an möglichst
viele der 321 Millionen monatlich aktiven
Nutzer weltweit. Und er wusste, dass über
Berichterstattung in den Mainstream-Me-
dien noch viel mehr Menschen davon er-
fahren dürften. Letztlich jedoch war sie
nur an einen gerichtet: an Facebook-Chef
Mark Zuckerberg.


Das beschreibt die Funktionalität und
das Geschäftsprinzip von Twitter recht
deutlich: Das Unternehmen setzt auf mas-
senhafte Verbreitung von Themen, des-
halb gibt es Hashtags, Trend-Funktion
und Momente-Bereich. „Trending“ kann
vieles sein: eine politische Debatte, der
Tod eines Prominenten, gehässige Bild-
Kompositionen über Gescheiterte (soge-
nannte Memes über sogenannte Epic
Fails) oder auch ein Video, in dem Heidi
Klum von mehreren Assistenten in ein Hal-
loween-Kostüm gestopft wird.
Dorsey hat Zuckerberg in seiner Bot-
schaft nicht explizit erwähnt, der letzte
Eintrag von dessen Twitter-Account (@f-
inkd) stammt ohnehin vom Januar 2012
und lautet, kein Witz: „Sagt euren Abgeord-
neten, dass ihr pro Internet seid.“ Nun
wird es interessant, denn Dorsey schrieb:
„Wir haben uns entschieden, sämtliche po-
litische Werbung auf Twitter weltweit zu
stoppen.” Es ist, als hätte er seine Bot-
schaft in einen riesigen Saal voller Leute
gerufen in der Gewissheit, dass die hinaus-
eilen und die Abwesenden darüber infor-
mieren werden.
Zuckerberg hat diese Botschaft nicht
gleich gesehen – auch deshalb, weil er zu
diesem Zeitpunkt die gegensätzliche Stra-
tegie von Facebook verteidigte. „Einige


Leute werfen uns vor, dass wir das erlau-
ben, weil wir möglichst viel Geld verdie-
nen wollen – das stimmt nicht”, sagte er
während eines Telefonats mit Journalis-
ten und Experten anlässlich der Quartals-
zahlen. Politische Werbeanzeigen mach-
ten weniger als 0,5 Prozent des Gesamtum-
satzes aus. „Ich glaube einfach nicht, dass
es sich für private Unternehmen geziemt,
Politiker zu zensieren”, sagte Zuckerberg.
Und das beschreibt das Geschäftsprin-
zip von Facebook: Das Unternehmen setzt
auf zielgenaue Werbung, deshalb will es
möglichst viel über seine Nutzer erfahren.
Bier-Trinker sollen Bier-Werbung sehen,
unentschlossene Wähler sollen überzeugt

werden, und die Heidi-Klum-Selbstinsze-
nierung soll möglichst niemand sehen, der
das doof findet. Das ist die berüchtigte Fil-
terblase, beim Zuckerberg-Telefonat ist es
ähnlich: Er erklärt die Strategie einigen we-
nigen, die sollen seine Ausführungen so in-
terpretieren, wie er das gerne hätte – dass
er ein Verfechter der freien Meinungsäuße-
rung ist.
Das Wahlkampf-Team von Donald
Trump hat auf die Botschaft von Dorsey re-
agiert und gesagt, dass das Unternehmen
dadurch bis zur Präsidentschaftswahl im
kommenden Jahr etwa zehn Millionen Dol-
lar weniger einnehmen werde. Bei Face-
book investiert das Strategie-Team deut-

lich mehr, allein in diesem Jahr bereits
13,7 Millionen Dollar. Es ist, vereinfacht
ausgedrückt, so: Bei Twitter plärrt
Trump seinen 66,4 Millionen Abonnen-
ten seine (oftmals falschen) Botschaften
zu, auf Facebook nimmt das Wahlkampf-
Team die Nutzer gezielt und einzeln bei-
seite und sagt: „Guck’ mal, wie das wirk-
lich läuft in der Welt – deshalb solltest du
für Trump stimmen.“

Die Botschaften mögen ähnlich sein,
sie werden jedoch anders formuliert und
verbreitet. Kandidaten der Demokraten
haben bisher in diesem Jahr insgesamt
32 Millionen Dollar bei Facebook inves-
tiert. Elizabeth Warren zum Beispiel schal-
tete eine Anzeige, in der sie behauptete,
Zuckerberg unterstütze Trump – um zu
zeigen, wie absurd die Facebook-Rege-
lung ist. Zuckerberg tut so, als wolle er
sich aus politischen Konflikten raushal-
ten. Nur: Wer sich aus Konflikten raus-
hält, der sorgt durch Untätigkeit dafür,
dass nicht der gewinnt, der richtig liegt,
sondern der, der dem anderen kräftiger
aufs Maul hauen kann.
Es wäre einfach, Dorsey als jemanden
hinzustellen, der mit einem machiavellis-
tischen Eintrag dem Bösewicht Zucker-
berg mal gezeigt hat, wie ein Silicon-Val-
ley-Chef handeln muss, wenn er seiner ge-
sellschaftlichen Verantwortung gerecht
werden will. Nur: Es wäre zu einfach. Twit-
ter ist nicht das einzige und auch nicht

das erste soziale Netzwerk, das politische
Werbung verbietet, Linkedin, Pinterest
und Tiktok verfahren ebenso. Zudem ver-
dient Twitter mit diesen Anzeigen nur
einen Bruchteil dessen, was Facebook ein-
nimmt: Finanzchef Ned Segal teilte seinen
9817 Followern am Donnerstag mit, dass
es anlässlich der US-Midterms im vergan-
genen Jahr insgesamt weniger als drei Mil-
lionen Dollar gewesen seien.
„Es gibt zwei extreme Positionen. Face-
book sagt: Alles geht. Twitter dagegen:
Nichts geht”, sagt Daniel Kreiss, Professor
für politische Kommunikation an der Uni-
versity of North Carolina: „Es muss einen
Mittelweg geben: Warum erlauben wir
nicht politische Anzeigen, verzichten je-
doch auf das extreme Targeting?” Also:
Warum erlaubt Facebook seinen Werbe-
kunden, anhand der Datenanalyse perfekt
zugeschnittene Anzeigen zu schalten und
(oftmals falsche) Botschaften zu verbrei-
ten?
Ein Verzicht darauf würde heftig ins
Geschäftsmodell von Facebook eingrei-
fen. Die wirklich entlarvende Botschaft lie-
ferte Zuckerberg am Donnerstag deshalb
mit dem, was er nicht sagte. Er ließ sich
wie immer eine Tür offen, seine Haltung
zu ändern: „Ich habe darüber nachge-
dacht, diese Anzeigen nicht zuzulassen,
und ich werde weiterhin darüber nachden-
ken.” Er sagte jedoch kein Wort darüber,
dass er die wahren Probleme – die Analyse
und Monetarisierung der Daten – bald
und konsequent angehen wolle. So lange
er das nicht tut, ist völlig klar, dass es ihm
weniger um das Recht auf freie Meinungs-
äußerung geht als vielmehr um die Einnah-
men für sein Unternehmen.

Berlin– Radfahrer sollen künftig mehr
Möglichkeiten haben, ihr Rad in Fernzü-
gen mitzunehmen. 2025 sollen auf allen
Strecken Stellplätze verfügbar sein, wenn
auch noch nicht in jedem Zug. Ziel bis da-
hin sind Mitnahmemöglichkeiten in 60
Prozent des Fernverkehrsangebots, teilte
das Bundesverkehrsministerium mit. Heu-
te liegt der Anteil bei 47 Prozent. Künftig
werde die Bahn nur noch Personenzüge
mit Radstellplätzen bestellen, antwortete
das Ministerium auf eine Anfrage der Grü-
nen im Bundestag.
„Fahrradmitnahme sollte so selbstver-
ständlich sein wie Strom und Wlan im
Zug“, forderte der Allgemeine Deutsche
Fahrrad-Club. Denn während Platz für
Fahrräder in Regionalzügen Standard ist,
gibt es bislang nur in einem Teil der Fern-
züge Platz für Fahrräder: in den rund
180 Intercity-Zügen sowie in 59 ICE-T-Zü-
gen, wo sie nachgerüstet wurden. In die
ICE der Baureihen 1 bis 3 können Reisende

kein Rad mitnehmen. Diese will das Unter-
nehmen auch nicht umrüsten – zu großer
Aufwand. Dagegen hat der neue ICE 4 ein
Fahrradabteil. 39 dieser Züge hat die Bahn
schon im Bestand, bis 2023 folgen weitere


  1. Die Bahn sicherte auch zu, bei künfti-
    gen Umbauten in Bahnhöfen auf den Ein-
    bau von Aufzügen achten, die groß genug
    für Fahrräder sind. Wer mit Fahrrad rei-
    sen will, sollte aber reservieren.
    Während Intercity-Züge heute 8 bis 16,
    in Einzelfällen sogar 24 Stellplätze haben,
    werden es in neuen Zügen künftig weni-
    ger sein. Geplant sind acht Plätze pro Zug.
    Die Bahn geht damit nicht über die Min-
    destvorgabe einer EU-Richtlinie hinaus.


Bedürfnisse der Reisenden und wirtschaft-
liche Belange müssten berücksichtigt wer-
den, hieß es zur Begründung. Schließlich
seien Fahrradplätze im Fernverkehr im
Schnitt nur zu 21 Prozent ausgelastet,
Sitzplätze für Fahrgäste hingegen zu
56 Prozent. „Acht Stellplätze in jedem Zug
sind schon mal ein guter Anfang“, sagte
Fahrrad-Club-Geschäftsführer Burkhard
Stork. Das habe die Bahn aber schon 2011
zugesagt. „Die Umsetzung erfolgt leider in
sehr kleinen Schritten.“
Wichtig seien für Radfahrer auch die
Details: dass sie Fahrradabteile schnell fin-
den können, dass Türen breit genug sind
und dass sich die Räder ohne große An-
strengung abstellen lassen. Außerdem

müsse die Bahn flexibel planen: „Acht Plät-
ze können in vielen Fällen reichen, aber in
Hotspots des Radreisens, wie in Passau
und in den Anrainerstädten des Donaurad-
wegs, müssen es saisonal deutlich mehr
sein.“ Das Ministerium bestätigte, dass in
„Einzelfällen“ schon Reisende mit Fahr-
rad trotz Reservierung nicht mitgenom-
men werden konnten – etwa wenn ein Er-
satzzug ohne Stellplätze zum Einsatz
kam. Das soll dank neuer Züge künftig sel-
tener vorkommen.
Für Lastenräder bleiben die Züge aber
tabu. Sie versperrten Durchgänge, seien
durch ihre Aufbauten nicht sicher zu befes-
tigen und bereiteten Probleme beim Ein-
und Aussteigen, hieß es. dpa

von simon hurtz

W


er jemanden auf Twitter bloß-
stellen will, greift gern zum
Subtweet: Man zieht über einen
anderen Nutzer her, ohne seinen Namen
zu erwähnen. Der Angesprochene be-
kommt meist nichts davon mit und kann
sich nicht wehren. Der langen Reihe le-
gendärer Subtweets hat Twitter-Chef
Jack Dorsey nun einen besonders bemer-
kenswerten hinzufügt. „Wir haben uns
entschieden, sämtliche politische Wer-
bung auf Twitter weltweit zu stoppen“,
schrieb er. Dorsey musste Facebooks
Gründer Zuckerberg nicht erwähnen, da-
mit die Botschaft klar wurde: „Hey Mark,
so macht man das. Jetzt bist du dran.“
Twitter schafft es seit Jahren nicht,
Nutzer vor Beleidigungen, Belästigungen
und Bedrohungen zu schützen. Andere
werden aus fadenscheinigen Gründen ge-
sperrt und aus den Debatten ausgeschlos-
sen. Dennoch hat Dorsey recht: Zucker-
berg muss handeln. Die aktuellen Regeln
schaden nicht nur Facebook, sondern der
Demokratie.

Um zu verstehen, warum der Zwerg
Twitter den Riesen Facebook vorführt,
muss man die Vorgeschichte kennen.
Facebooks Ärger beginnt im September.
Damals weigerte sich das Unternehmen,
eine Anzeige von Donald Trump zu entfer-
nen, die Falschaussagen über den Demo-
kraten Joe Biden enthielt. Google, Twit-
ter und viele Medien entschieden genau-
so und brachten die Anzeigen, doch Face-
book zog wie so oft die größte Empörung
auf sich. Kurz darauf legte Facebook
nach: Politiker dürfen auf Facebook lü-
gen und gegen die eigenen Gemein-
schaftsstandards des Netzwerks versto-
ßen. Beiträge werden nur in Ausnahme-
fällen entfernt, etwa wenn sie Gewalt aus-
lösen könnten. Das gilt sogar für Anzei-
gen: Wer politisch aktiv ist, kann Geld da-
für bezahlen, dass Facebook-Nutzer Lü-
gen vorgesetzt bekommen.
Zuckerberg will sein Unternehmen
aus politischen Konflikten heraushalten.
Er möchte nicht entscheiden, was Wahr-
heit und was Lüge ist. Er preist öffentlich
Meinungsfreiheit als hohes Gut, und da-
mit hat er recht: Tatsächlich sollten priva-
te Unternehmen nur in eindeutigen Fäl-
len eingreifen. Den Graubereich überlas-
sen sie besser Gerichten oder ausgebilde-
ten Faktenprüfern.
Das gilt aber nicht für Anzeigen. In den
USA ist Redefreiheit heilig, doch kein Ge-
setz der Welt garantiert Politikern, dass
sie sich mit Geld ein Millionenpublikum
für ihre Lügen erkaufen dürfen. Die Ein-
nahmen durch politische Werbung ma-
chen weniger als 0,5 Prozent des Jahres-
umsatzes von Facebook aus. Zuckerberg
könnte es Twitter also nachmachen und
darauf verzichten. Zumindest sollte er
prüfen lassen, was Politiker in die Welt po-
saunen wollen. Denn wer sich aus allem
heraushält, überlässt jenen die Bühne,
die am lautesten schreien und am scham-
losesten ausnutzen, dass es keine Regeln
gibt. Seit Trump im Amt ist, hat er mehr
als 13 000 irreführende oder falsche Be-
hauptungen aufgestellt. Es ist gefährlich,
wenn Populisten wie er gegen Bezahlung
Menschen anlügen dürfen.

Ich glaube
einfach nicht,
dass es
sich für private
Unternehmen geziemt,
Politiker
zu zensieren.“

Mark Zuckerberg

Zwei Extreme


Twitter-Chef Dorsey will auf politische Werbung verzichten, Facebook-Gründer Zuckerberg nicht. Er verteidigt
die gegensätzliche Strategie. Mit dem Recht auf freie Meinungsäußerung hat das aber wenig zu tun

Mit dem Rad in den Fernzug


Die Bahn will auf allen Strecken Stellplätze einrichten – in begrenzter Zahl


Die aktuellen Regeln
schaden nichtnur Facebook,
sondern auch der Demokratie

Für Lastenräder
bleibt der
Zug ein Tabu

Die wirklich entlarvende
Botschaft lieferte er durch
das, was er nicht sagte

26 WIRTSCHAFT HF2 Samstag/Sonntag,2./3. November 2019, Nr. 253 DEFGH


Ein Fahrgast und eine Zugführerin verstauen ein Fahrrad am Ostbahnhof in Mün-
chenineinem ICE 4. FOTO: ANDREAS GEBERT/DPA

Gigant und Zwerg:
Facebook-Chef
Zuckerberg (links)
bietet Politikern gegen
Geld eine Werbeplattform.
Twitter-Chef Dorsey
lehnt das ab.
FOTOS: AFP, AP

KOMMENTAR

Krumme Geschäfte


mit Lügen


Menschen im


Gesundes Immunsystem, starke Psyche.


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