24 LIFESTYLE DIE WELIE WELIE WELTKOMPAKTTKOMPAKT MITTWOCH,6.NOVEMBER2019
ZWISCHEN
MENSCHEN
Weniger
Handy!
L
ängst ist das Problem von
zu viel „Screen Time“ im
Bewusstsein angekom-
men, iPhone und Instagram
messen die Zeit, die man mit ih-
nen verbringt, es gibt Apps, die
verhindern sollen, dass man das
Telefon in die Hand nimmt. Und
das zeigt: Es ist inzwischen et-
was Besonderes, mal nicht auf
das Handy zu schauen. Wir müs-
sen es uns erarbeiten, erzwin-
gen, brauchen Hilfsmittel.
Das Problem dabei: zu wenig
Kontrolle über die eigene Auf-
merksamkeit, falscher Fokus.
Und wie trainiert man jetzt ge-
nau das? Es ist gar nicht so
schwer. Wie bei so vielen The-
men hilft zunächst: gut schlafen
und Sport machen. In „The Dis-
tracted Mind“ schreibt der Neu-
rowissenschaftler Adam Gazza-
ley, dass schon eine einzige Ein-
heit sportlicher Betätigung ei-
nen „Boost“ in den Fähigkeiten
zur kognitiven Kontrolle auslöse
- und eine einzige schlecht ge-
schlafene Nacht die Fähigkeiten
verschlechtere. Zudem rät er
von Multitasking ab: „Der Pro-
zess, zwischen den Aufgaben zu
switchen, führt zu einer Vermin-
derung der Genauigkeit – und
man braucht länger.“
Auch die Umgebung kann hel-
fen: weg mit Ablenkungen, also
dem Handy. Es kann helfen,
wenn man aufstehen muss, um
es greifen zu können. In einen
anderen Raum damit. Alle Be-
nachrichtigungen am Telefon
ausschalten. Kein Blinken, keine
Meldungen, die aufpoppen und
aktiv weggeschoben werden
müssen. Kein Entsperren per
Fingerabdruck oder Gesichtser-
kennung. Stattdessen sollte man
ein kompliziertes Passwort wäh-
len, eine Hürde, das jedes Mal
einzutippen. Aber man kann
sich und seine Fokus-Kontrolle
auch explizit trainieren. Eine
große Meta-Analyse berichtet,
dass regelmäßige Meditation Ef-
fekte auf die Hirnaktivität hat
und den Aufmerksamkeitsfokus
stärken kann und das „Mind
Wandering“ reduzieren.
Es geht bei allem aber auch
um eine Veränderung des Den-
kens: Man braucht nicht mehr
Urlaub, mehr Geld, mehr aufre-
gende Erlebnisse, um glücklich
zu sein. Sondern erst mal mehr
Aufmerksamkeit auf das, was
schon da ist, was das Potenzial
hat, glücklich zu machen. Das
Handy ist es meist nicht.
VON
NICOLA ERDMANN
E
nde der 80er besetzte
Jens van Tricht in Ams-
terdam noch Häuser. In
diesen Häusern, sagt
der Däne heute, habe er den Fe-
minismus kennengelernt. Als er
begriff, dass die Ziele der Frauen-
bewegung mit seinen Ambitio-
nen, die Welt radikal zu verän-
dern und zu verbessern, prima
zusammenpassen, sei das ein
„Wow-Effekt“ gewesen. So fand
van Tricht zu seinem Stecken-
pferd: den Themen Männer und
Männlichkeit.
VON ANNA EUBE
Seit 25 Jahren macht er sich
Gedanken dazu, gerade ist sein
Buch „Warum Feminismus gut
fffür Männer ist“ im Ch. Linksür Männer ist“ im Ch. Links
VVVerlag auf Deutsch erschienen.erlag auf Deutsch erschienen.
Eine der Thesen: „Auch Männer
leiden unter den ungerechten
Geschlechterverhältnissen, die
sie selbst geschaffen haben.“
Am Telefon erzählt van Tricht,
was er damit meint. Und dass
seine Arbeit manchmal einem
Minenfeld gleiche: „Man muss
sich sehr gut ausdrücken, es ent-
stehen so leicht Missverständ-
nisse.“
WELT:Sind Sie Feminist?
JENS VAN TRICHT:Ja, ich bin Fe-
minist.
Viele Männer befürworten die
Gleichberechtigung, wollen
sich aber nicht als Feminist be-
zeichnen.
Es gibt Männer, die profeminis-
tisch sind, aber glauben, sie dürf-
ten sich die Bezeichnung „Femi-
nist“ nicht aneignen. Sie denken,
nur Frauen dürften Feministin-
nen sein. Aber es gibt auch Män-
ner, die zwar für Gleichberechti-
gung sind, aber fürchten, der Fe-
minismus sei gegen sie und wer-
de dazu führen, dass wir eines
Tages im Matriarchat leben. Ihre
Angst ist, dass Frauen mit Män-
nern das tun, was Männer mit
Frauen getan haben.
Haben viele Männer nicht auch
das Bild von der anstrengen-
den, wutentbrannten Feminis-
tin?
Die meisten Feministinnen, die
ich getroffen habe, waren weder
verbittert noch Männerhasserin-
nen. Das ist eine von Männern
geschaffene Karikatur, um den
Feminismus nicht ernst nehmen
zu müssen. Natürlich gab und
gibt es zu Recht empörte Frauen,
sonst gäbe es keinen Feminis-
mus. Und ja, so eine fundamenta-
le Veränderung, wie der Feminis-
mus sie fordert, läuft nicht süß
und lieb ab.
Was meinen Sie mit fundamen-
taler Veränderung?
Bei der Kritik am patriarchalen
System geht es nicht darum, dass
Frauen wie Männer werden sol-
len. Alles soll sich ändern, auch
die Männer! Es geht darum, den
Status quo zu hinterfragen und
die Mechanismen, die Unrecht
verursachen, zu ändern. Der Fe-
minismus, dem ich anhänge, ist
radikal.
Wovor haben Männer konkret
Angst?
Männer haben Angst, weil sie
wissen, dass die Kritik an ihnen
gerechtfertigt ist und sie sich än-
dern müssen. Würden sie sich
ändern, könnten sie aber als
Nicht-Männer gesehen werden,
und sie wissen, wie schlecht
Nicht-Männer in der Gesell-
schaft behandelt werden.
Wieso müssen sich Männer
denn ändern?
Männer müssen immer wieder
beweisen, dass sie männlich sind
- so ist Männlichkeit in unserer
Welt definiert. Das Erste, was
Jungs lernen, ist: Männer dürfen
nicht weiblich sein. Männlichkeit
ist körperlich stark, sexuell aktiv,
rational, hart arbeitend, und sie
überschreitet Grenzen, die eige-
nen und die von anderen Män-
nern und Frauen. Männer wis-
sen, dass sie bescheuerte Sachen
machen, um ihre Männlichkeit
zu beweisen. Wir leben ja in einer
zivilisierten Gesellschaft, in der
jeder um die Grenzen weiß. Die-
se Männlichkeitsbeweise schaf-
fen Probleme. Persönliche und
psychische Probleme bei den
Männern, Gewaltprobleme, se-
xuelle Probleme. Doch wenn
man darauf zeigt, fühlen sich
Männer leicht angegriffen, sie
sind verletzlich. Sie wissen nicht,
wie sie anders Mensch sein
können, sie haben gelernt:
Mannsein ist wichtiger als
Menschsein.
„Kraft
ist nicht
wertvoller
als
Weichheit“
Seit 25 Jahren beschäftigt sich Jens van
Tricht mit Männern und Männlichkeit.
Und den Problemen, die sie verursachen.
Feminismus könnte sie lösen – davon
würden gerade Männer profitieren
Sieht sich selbst
als Feminist:
JJJens van Trichtens van Tricht
JELMER DE HAAS