DIE WELIE WELIE WELTKOMPAKTTKOMPAKT MITTWOCH, 6. NOVEMBER 2019 LIFESTYLE 25
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Sind Männer Problemverursa-
cher?
Nein, aber die meisten Problem-
verursacher sind Männer, der
Unterschied ist wichtig. Zumin-
dest beim Thema Gewalt ist es
so, die meisten Täter sind Män-
ner. Wir reden bei Gewalttaten
oft darüber, dass es einen reli-
giösen oder fanatischen Hinter-
grund gab, dass sie womöglich
mit Videospielen in Verbindung
stehen. Aber die wichtigste Er-
kenntnis von wissenschaftlichen
Untersuchungen über Gewalt
ist, dass die meisten Täter Män-
ner sind. Natürlich verursachen
alle Menschen Probleme, und al-
le Menschen empfinden auch
Probleme. Für die Welt und für
die Männer wäre es aber gut,
jetzt zu fragen: Was haben diese
Probleme mit Männlichkeit zu
tun? Der gesellschaftliche An-
satz war bislang, Mädchen und
Frauen zu empowern, damit sie
es so wie Männer machen kön-
nen. Das verfehlt die Ursache
der Probleme.
Was können Männer denn tun,
was können sie ändern?
Sie können ihr Dominanz- und
Gewaltverhalten ändern. Es ist
nicht notwendig, es ist im Gegen-
teil sogar problematisch, dass
männliche Grenzüberschreitun-
gen so normal sind. Es liegt an
den Männern, sich selbstkritisch
zu beobachten, sich mit anderen
Männern darüber auszutau-
schen. In einem meiner Kurse
kam gerade die Frage auf, was
man als Mann tun könne, wenn
man nicht selbst Opfer aggressi-
ver Männer werden wolle. Denn
das ist eine Gefahr. Der erste
Schritt ist: das Verhalten der ag-
gressiven Männer nicht bagatelli-
sieren, nicht darüber lachen und
nicht schweigen.
Ändert das denn wirklich et-
was?
Viele denken: Man müsste so vie-
les ändern, wo soll ich da bloß an-
fangen? Ich finde, man muss so
vieles ändern, also kann man
überall anfangen! In meiner Ar-
beit frage ich mich immer, wel-
che Ideen von Männlichkeit jun-
gen Männern vermittelt werden
und wie wir sie erweitern kön-
nen. Das geschieht schon, in klei-
nen Schritten. Die Männer, die
sich mehr um ihre Kinder küm-
mern, sorgen für Veränderung.
Aber auch diese Männer müssen
noch mehr machen, viele von ih-
nen machen nur die tollen Sa-
chen mit ihren Kindern und kei-
ne banale Hausarbeit.
Und Frauen, was können sie
tun?
Ich versuche, Frauen nicht zu sa-
gen, was sie tun und lassen sol-
len, das machen schon so viele
andere, auch Frauen untereinan-
der. Aber wenn die Gesellschaft
diverser werden soll, dann be-
ginnt das zu Hause. Die meisten
Väter halten zum ersten Mal ein
Baby, wenn ihr Kind geboren
wird. Die meisten Frauen be-
kommen schon als Mädchen Ba-
bys in den Arm gedrückt. Das
sollte man mit Jungs genauso
machen!
In Ihrem Buch schreiben Sie,
dass das Patriarchat Männern
Vorteile verschafft, sie dafür
aber auch einen Preis zahlen.
Welchen?
Männer dürfen nicht sie selbst
sein, sie dürfen ihre weibliche
Seite nicht zeigen. Männer haben
Angst vor anderen Männern.
Männer unterdrücken ihre Ver-
letzlichkeit, das erhöht die Ge-
fahr für Suizide und Depressio-
nen, es äußert sich auch in Sucht-
verhalten und Gewalt.
Welche weibliche Seite meinen
Sie?
Empathisch sein, die Fähigkeit zu
pflegen und zuzuhören, verletz-
lich sein. Diese Eigenschaften se-
hen wir als weiblich, so haben wir
es gelernt, dabei kann man sie bei
Männern genauso wie bei Frauen
finden. Männer negieren diese
Eigenschaften, sie unterdrücken
sie und überlagern sie mit Männ-
lichkeit. Männer müssen ihre
Weiblichkeit umarmen, um mehr
Mensch zu werden! Wir müssen
endlich anerkennen, dass Män-
ner und Frauen dasselbe Reper-
toire menschlicher Eigenschaf-
ten in sich tragen und benutzen
dürfen. Und wir müssen diese Ei-
genschaften gleich bewerten,
Kraft ist nicht wertvoller als
Weichheit, Status ist nicht wert-
voller als Zusammenhalt.
Wäre die Welt eine bessere,
wenn alle Feministen und Fe-
ministinnen wären?
Ja, davon bin ich überzeugt. Es
kommt aber nicht auf die Be-
zeichnung Feminist an, es geht
darum, dass der Feminismus um-
gesetzt wird. Nicht alle Probleme
können Männer lösen, sie sind
nur ein Teil des Problems und sie
sollen Teil der Lösung sein. Bis-
lang wird Gleichberechtigung in
allen Gesellschaften als Neben-
bei-Ziel gesehen, die primären
Ziele sind oft wirtschaftlicher
Natur. Das muss sich ändern.
Man hört in Feminismus-Dis-
kussionen immer mal wieder:
„Also irgendwann reicht es
doch mal, was wollen Feminis-
tinnen denn noch?“
Der Feminismus wird nicht auf-
hören, echt nicht. Ich bin ein po-
sitiver Mensch, aber ich glaube,
ich werde in meinem Leben nicht
mehr sagen: „Jetzt haben wir al-
les erreicht.“ Ich mache diese Ar-
beit seit fast 30 Jahren, und
manchmal bin ich auch ent-
täuscht und müde.
Was enttäuscht Sie, was kön-
nen Sie nicht verstehen?
Es gibt so viele Männer, die sich
für Belange engagieren, die sie
nicht betreffen, für die Umwelt,
gegen Nazis, gegen Armut. Doch
mit dem Feminismus können
sich viele Männer nicht verbin-
den, das kapiere ich nicht. Es be-
trifft sie doch selbst, es geht um
ihre Mütter, Schwestern, Frauen,
Töchter, Kolleginnen, Freundin-
nen - und ihre Väter, Brüder,
Partner, Söhne, Kollegen, Freun-
de. Das Peinliche ist, dass Män-
ner Teil des Systems sind. Das
müssen sie realisieren.
GETTY IMAGES/ WESTEND61