Neue Zürcher Zeitung - 08.11.2019

(Steven Felgate) #1

Freitag, 8.November 2019 SPORT37


INTERNATIONALE AUSGABE


Mit Komparsen nach Krefeld

Die Schweizer Eishockey-Nationalmannschaft reist mit wenigen WM-Kandidaten an den Deutschland-Cup


NICOLA BERGER


Am Mittwochreiste die Schweizer Eis-
hockey-Nationalmannschaft nach Kre-
feld, woTestspiele gegen die Slowakei,
Deutschland undRussland stattfinden.
Die deutsche Provinz ist die erste
Etappe des Nationalteams auf demWeg
zu einem ambitionierten Saisonziel: Die-
ses hat derVerbandSwiss Ice Hockey
mit dem ausrätselhaften Gründen in
Englisch gehaltenen Leitsatz «let’s make
history» zusammengefasst. Der erste
Weltmeistertitel der Geschichte wird
avisiert. Es wird die erste WM im eige-
nen Land seit 2009 sein,einemTurnier,
von dem vor allem in Erinnerung geblie-
ben ist, dass der damalige Nationaltrai-
ner Ralph Krueger von einem «Heim-
nachteil» sprach.Die Schweiz scheiterte
schon in der Gruppenphase.


FünfDebütanten


2020 soll alles anders werden.Von den
25 vomTrainerPatrickFischer für den
sportlich bedeutungslosen Deutschland-
Cup nominierten Spielern wird kaum je-
mand im Mai mitwirken beimVersuch,
Geschichte zu schreiben. DerTermin ist
eine Pflichtübung, er ist vomWeltver-
band IIHF geschützt.
Gewiss:Für junge Spieler ist jeder
internationaleAuftritt eine willkom-
mene Gelegenheit, um Erfahrungen zu
sammeln. Aber für die Schweizer WM-
Mission spielt Krefeldkeine Rolle,das
zeigt nur schon dieRetrospektive.Vom
November-Aufgebot aus dem Vor-
jahr schafften es 5 von 25 Spielern an
die WM nach Bratislava: die Verteidi-
ger MichaelFora (Ambri-Piotta) und
LukasFrick (Lausanne) sowie die An-


greifer Christoph Bertschy (Lausanne),
Lino Martschini (Zug) und NoahRod
(Genf/Servette).
2019 dürfte die Quote noch tiefer
liegen.Fischer baut in Krefeld auf ein
jungesTeam, er hat fünf Debütanten
nominiert: denTorhüter Melvin Nyffe-
ler (Rapperswil-Jona), die Abwehrspie-
ler Dominik Egli (Rapperswil-Jona) und
Simon Le Coultre (Genf/Servette) sowie
die Stürmer Guillaume Maillard (Genf/

Servette) undTyler Moy (Lausanne).
Die besten WM-Aussichten dürften
Pius Suter, der offensiveWunderknabe
der ZSC Lions, sowie der offensiv starke
BielerVerteidigerYannickRathgebbe-
sitzen.Fischer hat imVorjahr mit den
Nominationen der Nachwuchshoffnun-
gen Janis Moser (Biel) und Philipp
Kuraschew (Rockford/AHL) bewie-
sen, dass er sich nicht vor überraschen-
den Personalentscheiden scheut – was

die zahlreichenAussenseiter im erwei-
terten Kreis des Nationalteamszumin-
dest hoffen lässt.
Der Deutschland-Cup ist der erste
von drei Zusammenzügen während des
WM-Jahres,bevor im April die eigent-
licheTurniervorbereitung beginnt. An
einem Dreiländerturnier mit Norwe-
gen, der Slowakei undRussland inVisp
bestreiten die Schweizer am 12. und


  1. Dezember zweiTestspiele in «Best-
    besetzung» – wobei das eine irrefüh-
    rende Beschreibung ist, weil die wich-
    tigsten Individualisten, die NHL-Profis,
    selbstverständlich nicht zurVerfügung
    stehen werden. Die Abhängigkeit von
    den in Nordamerika engagiertenAkteu-
    ren ist unverändert enorm. Die WM-
    Perspektiven werden wesentlich davon
    abhängen, wer in den NHL-Play-offs
    früh scheitert oder sie verpasst. Spieler
    wie Roman Josi, Nino Niederreiter und
    Timo Meier sind für den Nationalcoach
    nicht zu ersetzen.
    Ein dritterTermin ist für denFebruar
    fixiert, dann testet dieSchweiz zweimal
    gegen Deutschland; für jeneVergleiche
    wird ein Kader mitPerspektivspielern
    nominiert werden. DieAufgebote sind
    aus der Not geboreneKonzessionen an
    den engmaschigen Spielplan. Die bes-
    ten Profis sollen nicht zu stark forciert
    werden, schon gar nicht inPartien ohne
    Relevanz.Die wechselhaftenAufgebote
    dokumentieren einmal mehr, dass es im
    Terminkalender einerReform bedarf.


LeuenbergersRückkehr


Die interessanteste SchweizerPersona-
lie am Deutschland-Cup wird unter die-
sen Umständen jemand sein,der gar nicht
auf dem Eissteht: Lars Leuenberger wird
als Assistent wirken, es ist sein erster Ein-
satz alsTrainer nach langerAbsenz. Drei-
einhalbJahre hat Leuenberger, 43-jährig,
nicht mehr gecoacht. ImFrühjahr 20 16
hatte er den SC Bern zum Meistertitel ge-
führt,ehe er KariJalonen weichen musste
und trotz demTitelgewinn verblüffender-
weise auch sonst nirgends eineAnstellung
als Coach fand, obwohl er mit mehreren
Klubs verhandelte. Leuenberger arbeitet
inzwischen beim SCB als Chefscout und
Stratege,aberesheisst,erwäreeinerRück-
kehr insTrainergeschäft nicht abgeneigt.
Wenn Krefeld schon nicht für allzu
manchen Spieler als Sprungbrett taugen
wird,dann womöglich immerhin für den
Trainer Leuenberger.

Angekommen im Haifischbecken


Die Schweizer Golferin Albane Valenzuela ist ab 2020auf der lukrativsten Profitour spielberechtigt


STEFAN OSWALT


AlbaneValenzuela hat schonimmer
ihren eigenenWeg gesucht und hohe
Anforderungen an sich selbst gestellt.
Jetzt ist das grosse Golftalent aus der
Romandie schneller ans Ziel gekommen
als geplant. Und dies nicht zum ersten
Mal. 2016 hatte sie sich fürs olympische
Turnier qualifiziert, obschon das eigent-
lich erst für 2020 vorgesehen war.
DieserTage hat sie die Spielberech-
tigung für 2020 in derLadies Professio-
nal Golf Association (LPGA) erreicht.
Und zwar höchst souverän:In Pine-
hurstim US-Gliedstaat North Carolina
belegte sie im Qualifikations-Finale den



  1. Schlussrang – die besten 45 erhielten
    die begehrte Karte. Acht Runden über
    18 Spielbahnen mussten die Anwärte-
    rinnen bewältigen, die Schweizerin blieb
    in der Endabrechnung sieben Schläge
    unter dem Platzstandard. Sie habe das
    Gefühl gehabt, «noch morgen weiter-
    spielen zumüssen», sagteValenzuela
    zum Marathon, den sie als beste Euro-
    päerin und mit Abstand beste Amateu-
    rin abschloss. Sie hat sich als erst dritte
    Schweizerin qualifiziert, 26Jahre nach
    der Zürcherin Evelyn Orley, deren US-
    Abenteuer nur einen Sommer dauerte.
    Valenzuela zeigte an den entschei-
    dendenTagen kaum Schwächen und


wackelte auch nicht, als sich das Errei-
chen des grossen Ziels abzeichnete. Das
war nicht immer so gewesen.2017 führte
sie an derAmateur-EM inLausanne vor
der Schlussrundemit sieben Schlägen
Vorsprung – und wurde zuletzt «nur»
Zweite;und auch bei gelegentlichenAb-
stechern zu den grossen Profiturnieren
verpasste sie bisweilen noch bessere Er-
gebnisse, weil sie in derFinalrunde Ner-
ven zeigte.Aber dass die Amateurin im
Feld derWeltbesten, am US Open oder
im Millionenturnier von Evian, über-
haupt mithaltenkonnte, bestätigte ihr
immensesTalent. In Evian in diesem
Sommer hätte sie rund 50000 Dollar
Preisgeld gewonnen,wäre sie nicht noch
Amateurin gewesen.
Wenn sie sich nicht für die Profitour
qualifiziert hätte,wäre sie ein weiteres
Jahr als Amateurin in den USA geblie-
ben und hätte es dann noch einmal ver-
sucht. Die zweite amerikanische Liga,
die Symetra Tour, reizte sie ebenso we-
nig wie Europa,wo die Ladies European
Tour (LET) gegen Zerfallserscheinun-
gen ankämpft.In der LPGA aber gibt es
an denTurnieren Millionen an Preisgeld
zu gewinnen, und dort spielt dieWelt-
elite – was für die Genferin noch wich-
tiger ist.
Das Beste musste es auch sein, als
AlbaneValenzuela eine Universität

suchte, wo sich Spitzengolf und Studium
ideal vereinbaren lassen. EineAusbil-
dung in den USA, um danach die Profi-
karriere zu lancieren – diesenWeg schla-
gen einige Schweizer Golferinnen ein.
Valenzuela aber landete in der kaliforni-
schen Eliteuniversität von Stanford, wo
sie politischeWissenschaft studiert und
eine Beraterin mit grossem Namen zur
Seite hat:Condoleezza Rice, die frühere
US-Aussenministerin.
In NewYork auf dieWelt gekommen,
die ersten Jahre in Mexiko verbracht,als
Sechsjährige mit den Eltern nach Genf
gezogen, der Vater gebürtigerMexika-
ner, die Mutter ursprünglichFranzö-
sin – die 21-Jährige ist eineWeltenbür-
gerin par excellence.Aber sie fühle sich
durch und durch als Schweizerin,betont
sie. Das ist im Individualsport Golf nur
alle vierJahre von Bedeutung: an den
Olympischen Spielen, wo seit 2016 wie-
der Golf gespielt wird. InTokio 2020 zu

starten,war stetsValenzuelas Ziel gewe-
sen, aber noch ist sie nicht qualifiziert.
Als gute Planerin der eigenen Kar-
riere hatte sie vorgesorgt: Sie belegte im
Sommer zusätzliche Studiengänge, um
dank einem vorzeitigen Abschluss be-
reit zu sein für die LPGA. Dort ist sie
jetzt angelangt, auf einem langenWeg,
den sie schwindelerregend schnell zu-
rückgelegt hat. «Das Unternehmen
Valenzuela ist ideal», sagt Paolo Qui-
rici, der Sportdirektor desVerbandes
Swiss Golf. «Als Albane zehnJahre alt
war, wurde dieserWeg konsequent ein-
geschlagen, und stets wurden die richti-
ge n Entscheide gefällt.»Für Quirici sind
die guten Beziehungen desVaters, der
einst ein Spitzen-Amateurgolfer war,
ein wichtigerFaktor. Aber natürlich
vor allem die Qualitäten seinerTochter.
«Sie ist eine gute Athletin und schlägt
die Bälle sehr weit, obschon sie nicht
die Grösste und nicht die Stärkste ist»,
analysiert Quirici.«Und sie hat auch das
kurze Spiel verbessert.»
Der ehemalige Golfprofi weiss zwar,
dass «Albane nun in einen Seevoller
Fischekommt, die nicht alle nett sein
werden zu ihr.»
Doch dass sie sich in diesem Hai-
fischbecken behaupten kann, sofern sie
gesund bleibt, daran zweifelt auch der
Tessiner nicht.

AlbaneValenzuela
KEYSTONE Golferin

Aufgebot Deutschland-Cup


Torhüter (3):Gauthier Descloux (Genf/Servette), Melvin
Nyffeler (Rapperswil), Joren van Pottelberghe (Davos).


Verteidiger (8):Dominik Egli (Rapperswil), Andrea
Glauser (SCLTigers), Fabian Heldner (Lausanne), Roger
Karrer (Genève-Servette), Samuel Kreis (Biel-Bienne),
Simon Le Coultre (Genf/Servette), Claude-Curdin
Paschoud (Davos),Yannick Rathgeb (Biel).


Stürmer (13):Jérôme Bachofner (Zug), Thierry Bader
(Davos), Alessio Bertaggia (Lugano), Luca Fazzini
(Lugano), Jason Fuchs (Biel), Guillaume Maillard
(Genf/Servette), Noah Rod (Genf/Servette),Tyler Moy
(Lausanne), Marco Müller (Ambri), Raphael Prassl
(ZSC Lions), Damien Riat (Biel), Dario Simion (Zug),
Pius Suter (ZSC Lions).


Einer derwenigenmit WM-Perspektiven: ZSC-Spieler Pius Suter. URS FLÜELER / KEYSTONE

Arsenal


enttäuscht auch


imEuropacup


Ohne Xhaka 1:1 in Guimarães


(sda)·Arsenal kann nach der 4.Runde
der Europa League noch nicht defini-
tiv dieTeilnahme an der K.-o.-Phase
planen. Ohne Granit Xhaka kamen die
Londoner beimTabellenletzten,Vito-
ria Guimarães, nicht über ein 1:1 hin-
aus. Bisher war die Europa League für
denTrainer UnaiEmery und Arsenal
ein e Wohlfühloase. Im NordenPortu-
gals enttäuschten sie nun erstmals auch
im Europacup. Gegen die zuvor punkte-
losen Portugiesen mussten sich die
«Gunners» mit einemRemis begnügen,
wobei auch eine Niederlage der Gäste
keineswegs unverdient gewesen wäre.
Arsenal offenbarte erneut,woran der
Klub krankt. In der Offensive traten die
Gäste ohneRezept auf, und die Defen-
sive hinterliesskeinen gefestigten Ein-
druck.Ohne Xhaka,den an seiner Stelle
zum Captain ernannten Pierre-Emerick
Aubameyang und Mesut Özil, die alle
in London geblieben waren, hinterliess
der Klub einen zwiespältigen Eindruck.

Applaus,


aber kein Jubel


Die Bayern steh en im Achtelfinal
der Champions League

(dpa)·Kurz klatschte HansiFlick in
die Hände, aberJubelstimmung kam
beimAushilfschef des FCBayern Mün-
chen nicht auf. Doch den erstenAuftrag
hat der frühere Assistentvon Joachim
Löw mit dem Einzug in denAchtelfinal
der Champions League erfüllt.Dank
Robert Lewandowski und IvanPeri-
sic mühte sich ein taktisch und perso-
nell neuausgerichteter deutscher Meis-
ter im Premierenspiel von Flick zu einem
2:0 (0:0) gegen Olympiakos Piräus. Mit
seinem 21.Pflichtspieltor der Saison er-
löste Lewandowski am Mittwoch in der


  1. Minute im ersten Spiel nach Niko
    Kovac vor allem den beförderten Flick;
    Perisic machte Sekunden nach seiner
    Einwechslung alles klar (88.).
    Der Auftritt des deutschenFussball-
    Serienmeistersvor70000Zuschauernin
    der ausverkauftenAllianz-Arena dürfte
    Borussia Dortmund vor dem Bundes-
    liga-Topspiel am Samstag aberkeinen
    Schrecken einflössen. Flick übte seine
    neueRolle am Spielfeldrand zurückhal-
    tend aus. Die angenehmste Erkenntnis
    für ihn war, dass dieBayern vierTage
    nach dem 1:5 inFrankfurt gegen harm-
    lose GriechenkeinenTreff er zuliessen.
    «Für unser Selbstbewusstseininder De-
    fensive ist das sehr wichtig»,sagte der
    Captain Manuel Neuer. Flick setzte bei
    seiner Premiere klare Zeichen:Drei per-
    sonelle Umstellungen nahm der 54-Jäh-
    rige imVergleich mit dem letzten Spiel
    unterKovac vor.Am auffälligsten war
    die Massnahme, die Künstler Philippe
    Coutinho undThiago auf dieBank zu
    setzen.ImAbwehrzentrum ersetzteJavi
    MartinezJérôme Boateng.Dazu wurde
    Joshua Kimmich wie unter Löw im
    NationalteaminsMittelfeldvorgezogen.
    Doch auch Flickkonnte dieBay-
    ern nicht sofort zu alter Stärke führen.
    Über weite Strecken wirkte das Münch-
    nerSpielgehemmt.EsfehlteanSchwung
    und Kreativität.Nach den vielen Gegen-
    treffern in den letztenWochen wollten
    die Bayern vor allemFehler vermeiden.
    Über ein einfachesPassspiel sollte die
    Sicherheitzurückkehren.Ungeachtetder
    hohenBallbesitzquotemangelteesgegen
    die limitierten Griechen aber auffällig an
    Inspiration und Entschlossenheit.Auch
    die Flanken blieben häufig zu unpräzis.
    So blieben die Münchner erstmals
    seit September 2014 in einemKönigs-
    klassen-Gruppenspiel vor heimischem
    Publikum in der ersten Halbzeit ohne
    Torerfolg. Entsprechend ernüchtert
    schauten dieBayern-Chefsauf derTri-
    büne drein. Olympiakos Piräus war alles
    andere als ein Gegner von internationa-
    lem Format.Erst in der zweiten Halbzeit
    erhöhten die Münchner dasTempo und
    kamen zu mehr Chancen.

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