Neue Zürcher Zeitung - 06.11.2019

(Michael S) #1

22 PANORAMA Mittwoch, 6. November 2019


ZAHLENRÄTSEL NR. 258

SPIELREGELN«KR INGEL»:Die Ziffern 1
bis 7 sind so einzutragen, dass sie i n jeder
Reihe einmalvorkommen.Zwischenzwei
Feldern gilt: Ausgefüllt er Kreis: Eine Zahl
ist das Doppelte der anderen. Leerer Kreis:
Eine Zahl is t um 1 grösser als die andere.
Kein Kreis: Keine der beiden Eigenschaften
trifft zu.

Auflösung:
Zahlenrätsel Nr. 257

Kein Anschluss in dieser Kabine


Bald montiert die Swisscomihr letztes Publifonab– dochmanch ein Häuschen lebt mit neuem Zweck weiter


TOBIAS SEDLMAIER


Es ist einer jener schleichenden Pro­
zesse, von denen man erst dasResultat
bemerkt und sich sogleich fragt: Hoppla,
war da nicht einmal etwas?Wohin ist
das denn entschwunden? DieRede ist
von den SchweizerTelefonkabinen, die
bis Ende November, zumindest in ihrer
ursprünglichen Funktion, vollständig
verschwunden sein werden.Durch die
Digitalisierung hat das Publifon schlicht
seine Öffentlichkeit unddie Daseins­
berechtigung verloren, die jahrelang so
selbstverständlich schien.
Die Telefonkabine war zugleich
Heimstatt für Nostalgiker undRoman­
tiker als auch praktisches Objekt, das
zahlreicheFunktionen in sich zu ver­
einen wusste:Kinder konntenihre ab­
holbereiten Eltern ebenso erreichen wie
Verliebte das Ziel ihrer Sehnsucht.Aus­
ländische Arbeiter und Asylsuchende
überbrückten die Distanz zu fernen An­
gehörigen. Jugendliche fanden einen
Platz zum Abhängen, für ersteKüsse und
Biere.Graffitisprayer verewigten sich
anTüren und Scheiben, ebenso andere
Künstler mit kryptischen Nachrichten.
Die Kabine selbst bot Schutz vor
nächtlicher Kälte und kurzzeitige Zu­
flucht vor dem Gewimmel in denFuss­
gängerzonen.Früherkonnte man mit
einem Griff zumroten Hörer mit dreiziff­
rigen DienstnummernWaren bestellen,
Börsenkurse, Ortsauskünfte oder Sport­
ergebnisse erfragen. So wurde aus einer
technischen Einrichtung ein sozialer
Tr effpunkt, der gleich in mehrfacher Hin­
sicht verband, unterschiedliche Alters­
gruppen und gesellschaftliche Schichten
an einem Platz versammelte.


Zu teuer, zu aufwendig


Die jetzigeWehmut, die manche beim
Verschwinden der Glashäuschen über­
fällt, mag ihreUrsache wohl auch in einer
gewissen Sperrigkeit des Gegenstands
haben. Manchmal entsteht dieFreude
an einer Sache erst durch den Preis der
Überwindung, der Spannung verheissen
kann. Ein Smartphone aus dem Hosen­
sack zu ziehen, isteinfach, das kann jeder
sofort und schnell.Daweicht der Spass
schnell derRoutine – und manch einer
sehnt sich plötzlich paradoxerweise nach
einemVorgang zurück, der doch um so
vieles umständlicher durchzuführen war
und der einer nostalgischen Begutach­
tung bei näherem Licht kaum standhält.
Daheute neunvon zehn Schweizern
ein Smartphone besitzen und das Mobil­
funknetz so weitausgebaut ist, dass die
flächendeckende Einführung von 5Gun­
mittelbar bevorsteht, haben sich die tele­
kommunikativen Spielregeln grundsätz­
lich gewandelt: Seit 20 18 gehört das Pu­
blifon nacheinem Entscheid des Bun­


desrats nicht mehr zur Grundversorgung.
LautSwisscom ist die Benutzung der
Telefonkabine von 2004 bis 20 16 um 95
Prozent zurückgegangen.Damit ist sie
zumRelikt derVergangenheit geworden,
das nicht mehrkostendeckend aufrecht­
erhalten werden kann. Der Unterhalt
warzuteuer und die Beschaffung von
Ersatzteilen zu aufwendig geworden.
Seitdem gab dieSwisscom nach und
nach ihre öffentlichen Anschlüsse auf.
Während Mitte der 90erJahre noch rund
60000 Publifone in der Schweizexistier­
ten, waren rund 90 Prozent von ihnen
2018 bereits verschwunden. Diesen
November trifft es die letzten, sicher­
lich von vielen unbemerkt.Dabei istum
einzelne Kabinen ein kleinerKult ent­
standen:InBasel etwa galt dieTelefon­
kabine auf demBarfüsserplatz als Insti­
tution, war für fast 40Jahre zentraler
Tr effpunkt für ausgangsfreudigeBasler.
ImAugust wurde sie abmontiert, weh­
mütig mit Apéro und Gesang vomBarfi
verabschiedet. IhrPensionistendasein
fristet sie nun im Historischen Museum
Basel, wo sie ab 2021Teil derAusstel­
lung «Zeitsprünge» werden soll.
Während in derWestschweiz bereits
das letzte Stündchen derTelefonkabine
geschlagen hat,sind in der Deutsch­
schweiz noch vereinzelte Exemplarean­
zutreffen. Eines vonihnen,amBahnhof
Romanshorn, wird imLaufe des Novem­

bers weichen müssen.Das allerletzte
wird am Donnerstag,28. November, im
Badener Kappelerhofquartier abgebaut
werden – und damit auch die Zäsur in
der Zeitenwende derKommunikation
markieren.Wie dieBaslerkönnen auch
dieBadener bei einer Zeremonie von
ihrem Dinosaurier Abschied nehmen.
Dann wandert dieTelefonkabine ins
Museum fürKommunikation in Bern
und ist endgültig Geschichte für zukünf­
tige Generationen, die in ihnen vielleicht
antikeRaumkapseln sehen werden.

Bücherschrankoder Hofladen


Oder auch nicht. Denn wie bei anderen
vermeintlich ausgestorbenen Gegen­
ständen der Technikgeschichte wie
dem Plattenspieler oder derDampf­
lok ist auch diesesVerschwindenrela­
tiv. Swisscom bietet Gemeinden auf An­
frage die Kabinen an ihren Standorten
zur weiterenVerwendung an. Und da­
für haben sich etliche Möglichkeiten ge­
funden: An vielen Ortenin derRoman­
die wurden aus denTelefonkabinen
Bücherschränke, mithilfe deren die Bür­
ger fröhlich Literatur tauschenkönnen.
Auf dem Klosterplatz in Olten ist eine
interaktiveRätselkabine entstanden, in
derTouristen per Knopfdruck weitere
Details zum Schweizer Schriftsteller­
weg erfahrenkönnen. Etwas essenziel­

ler gehtes imTessin zu, wo Defibrillato­
ren in den Kabinen angebracht wurden.
Eine Zeitlang gab es zumindest noch
denVersuch, monetär noch etwas aus
demRelikt herauszuholen:Für 35 00
Franken inklusiveTr ansportkonnte man
privatTelefonkabinen erwerben, eine
Aktion, die lautSwisscom nichtvon allzu
grossem Erfolg gekrönt war. Ein ande­
res Modell klingt vielversprechender:
Die Allgemeine Plakatgesellschaft hat
angekündigt, die ihr gehörenden runden
Glaskabinen weiterhin alsWerbefläche
zu nutzen. Schliesslich sind die meisten
ZellenkeinFall fürs Museum, viele ste­
hen als von den silbrigen Armaturen be­
freites Skelett an Standorten, die öffent­
lich hervorragend frequentiert werden.
Kreative Geister beleben indes die
alten Häuschen für ganz neue Zwecke:
Bei einem unter dem Hashtag #byebye­
publifon laufenden Gewinnspiel wur­
den letztesJahr die originellstenIdeen
für eine Kabinennutzung von derSwiss­
com mit den letztenTelefonzellen aus
dem Bestand prämiert. Einer der Ge­
winner war eineFamilie aus demThur­
gau, die nun einen kleinen Hofladen auf
rund einem Quadratmeter führt.Jedem
Ende wohnt ebenauchein Zauber inne:
Man wird sich zukünftig noch so man­
ches Mal wundern und freuen dürfen,
was sich mit einem vermeintlich nutz­
losen Objekt alles anstellen lässt.

Die öffentlicheTelefonzelle (hierimbündnerischen Soglio) hat endgültig ausgedient. GORAN BASIC/ NZZ

Mehrere Erdstösse


erschüttern


das Wallis


Epizentren nördlichvon Sitten –
keine Schädengemeldet

(sda)· Mindestens sieben leichte Erd­
bebenhaben in der Nacht auf Diens­
tag und am Dienstagmorgen dasWal­
li s erschüttert.Die Epizentren befan­
den sich nördlich von Sitten in Richtung
desWildhorns in den westlichen Berner
Alpen und unweit des Sanetschpasses.
Die ersten Beben ereigneten sich um
1 Uhr 54 und um 4 Uhr 36. Beide er­
reichten eine Magnitude von 3,3 auf der
Richterskala,wie der Schweizerische
Erdbebendienstan derETH Zürich
(SED) mitteilte. Die Erdstösse wieder­
holten sich inregelmässigenAbständen
bis weit in den Morgen hinein. Zwei von
ihnen wurden um6Uhr 55 beziehungs­
weise um 7 Uhr in der Nähe des Arpeli­
stocksregistriert, eines weiteren Gipfels
an der Grenze zwischen den Kantonen
Wallis und Bern. Diese beiden Beben
hatten Stärken von 2,5 und 2,9 auf der
Richterskala.

Über50 N achbeben


Um 8 Uhr 18 erschütterte ein fünftes
Beben der Stärke 3,0 dieRegionWild­
horn. Ein neuerlicher Erdstoss der
Stärke 2,7 folgte um 8 Uhr 47 in der
Nähe von Anzère. Das letzte Beben mit
der gleichen Stärke wurde um 9 Uhr
54 wiederum in Richtung des Arpeli­
stocksregistriert. Zwischen den ver­
schiedenen Beben zeichnete der SED
über 50 Nachbeben auf, von denen ein­
zelne ebenfalls spürbar waren.
Dass es gleich zu mehreren Beben ge­
kommen sei, sei nicht aussergewöhnlich,
sagte SED­Seismologe Philipp Kästli
auf Anfrage derNachrichtenagentur
Keystone­SDA. Beim Erdbebendienst
gingen in der Nacht über hundert Mel­
dungen vonMenschen ein, welche die
Erdstösse bemerkten, vor allem aus Sit­
ten, aber auch aus dem Berner Ober­
land.Bei derWalliser Kantonspolizei
gingen zunächstkeine Hinweise auf
Schäden ein, wie Sprecher Mathias
Volken auf Anfrage sagte.

Region mithöchster Gefährdung


In der Schweizkommt es immer wie­
der zu meist kleineren Erdbeben.Für
das laufendeJahr zählte der SED bis­
her gut 1200 Erdstösse. Von der Bevöl­
kerung tatsächlich gespürt werden pro
Jahretwa 10 bis 20 Beben mit Magni­
tuden ab etwa 2,5.Insgesamt liegt die
Erdbebengefährdung der Schweiz im
europäischenVergleich auf mittlerem
Niveau. StarkeErdbeben bis zu einer
Magnitude von7 sind möglich, aber
deutlich seltener als in hochgefährdeten
Gebieten wie Italien oder derTürkei.
Das Wallis ist dieRegion mit der
höchsten Gefährdung, vorBasel, Grau­
bünden, dem St. Galler Rheintal, der
Zentral­ und der übrigen Schweiz.

Deutsche Bundesländer verbieten Kita-Spiel


Bei Original Playrangeln Männer mit fremden Kindern –dabei solles zu sexuellen Übergriffengekommen sein


JONAS HERMANN, BERLIN


Auf dem Boden liegen Matten, darauf
krabbeln die Männer und greifen sich
immer wieder eines oder zwei Kinder,
um mit ihnen zurangeln. Eskommt zu
engemKörperkontakt. Die Kinder und
die Männerkennen sich nicht.Auch die
Leitung der Kita weiss nicht viel über
die Männer,diekein polizeilichesFüh­
rungszeugnis vorlegen mussten.Was
nach einerPanne in einer einzelnen Kita
klingt, hatte in Einrichtungen in Berlin
und HamburgSystem. ImRahmen von
Original Play fanden dort immer wieder
solche Szenen statt.
Ein «ursprüngliches Spiel» soll es an­
geblich sein, doch Original Play ist in
Deutschland inVerruf geraten. In Berlin
und Brandenburg wurde es verboten, aus
Sorge um das Kindeswohl. Entwickelt
hat dasKonzept der 76­jährige Ameri­
kanerFredO.Donaldson. Er verstehtes
als Methode, um das Miteinander zu ver­


bessern und Aggression durch «Freund­
lichkeit und Liebe» zu ersetzen. Original
Play birgt jedoch die Gefahr, dass Kinder
sexuell missbraucht werden. Ein Spre­
cher des Bundesfamilienministeriums
sagte der NZZ:«Wir lehnen grundsätz­
lich pädagogischeKonzepte ab, die das
professionelle Nähe­ und Distanz­Ver­
hältnis von Kindern zu fremden Erwach­
senen aufheben.» Original Play sehe man
daher «äusserst kritisch». EinVerbot sei
aber Sache der Bundesländer.

Strafanzeige wegen Missbrauchs


In Berlin stellten Eltern Strafanzeige
wegen sexuellen Missbrauchs.EinJunge
hatte seinemVater von traumatischen Er­
fahrungen im Zusammenhang mit Origi­
nal Play berichtet. Die Eltern gingen mit
ihm zu einerTherapeutin. Diese hat sich
in der ARD­Sendung«Kontraste» geäus­
sert und hält die Schilderungen des Kna­
ben fürglaubhaft. Seit der Beitrag Ende

Oktober ausgestrahlt wurde, diskutieren
Experten und Eltern über Original Play.
DerFacharzt für Kinder­ undJugend­
psychiatrie, Oliver Dierssen, schrieb auf
Twitter,die Original­Play­«Trainer» soll­
ten sichvon Kinderkörpern fernhalten.
Eine Einladung für Übergriffe sieht die
Tr aumatherapeutin Michaela Huber
in demKonzept. Ähnlich formuliert es
die bayrische SozialministerinKerstin
Schreyer (CSU): «Original Play öffnet
dem MissbrauchTür undTor. In Kitas
hat das nichts verloren.» Die Berichte
über das Spiel seien «erschreckend».
WenigeTage nachdem der «Kon­
traste»­Beitrag ausgestrahlt worden
war, beschlossen Berlin und Branden­
burg,Original Play zu verbieten. Man
könne nicht ausschliessen, dassesda­
bei zu Grenzüberschreitungen und zur
Gefährdung des Kindeswohlskomme,
schrieb Bildungsstaatssekretärin Sigrid
Klebba in einem Brief an die Kita­Trä­
ger desLandes Berlin.Laut «Kontraste»

wurde Original Play meist in kirchlichen
Kitas praktiziert. Gemäss dem Bericht
vor allem in Hamburg, Berlin, Dresden,
Regensburg und München.

Auch in derSchweiz praktiziert


In welchen Kitas «gespielt» wurde, sagen
di eVerantwortlichen laut einem Bericht
der «FAZ» nicht. Ein Mann aus Ham­
burg hatte laut der Zeitung mehrere
Workshops organisiert und selber unter
demVerdacht des Kindesmissbrauchs
gestanden.DieWebsite des Mannes ist
nicht mehr erreichbar. Bei diesenWork­
shops werden dieTeilnehmer zu «Lehr­
lingen» ausgebildet.Diese «Lehrlinge»
organisieren dann die Mattenspiele in
den Kitas. Nach einem polizeilichenFüh­
rungszeugnis fragt auch bei denWork­
shops niemand.DieInternationalFoun­
dation for Original Play bietet ihreKurse
in zahlreichenLändern an.Auch in der
Schweiz wird Original Play praktiziert.
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