22 KULTUR DIE WELIE WELIE WELTKOMPAKTTKOMPAKT DONNERSTAG,31.OKTOBER2019
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A
ls Briefe und Tagebü-
cher noch die Fahr-
tenschreiber unseres
Lebens waren, muss-
te man schon einige kriminelle
Energie aufwenden, um hinter
das mögliche Geheimnis des
geliebten Nächsten zu kom-
men. Einen geschlossenen Um-
schlag über Wasserdampf hal-
ten zum Beispiel und nach der
Lektüre des Inhalts zur Vertu-
schung des Getanen wieder mit
irgendwas verkleben. Sah am
Ende nicht nur bei handwerk-
lich Ungeschickten – nun ja –
scheiße aus.
VON ELMAR KREKELER
Den Fahrtenschreiber unse-
res gegenwärtigen Lebens und
damit unserem Leben sein Ge-
heimnis zu entreißen, ist dem-
gegenüber Kinderkram. Er
schreit geradezu danach. Sie
liegen herum, brummen, leuch-
ten, klingeln, wenn es irgend-
was Neues gibt, wenn irgend-
wer was Neues will. Man will
nicht, auf gar keinen Fall, aber
man schaut drauf. Wäre uns
wahrscheinlich viel erspart ge-
blieben, wären wir in der Brie-
fära hängen geblieben. Streite-
reien, vielleicht sogar Morde –
vor allem aber Dagtekins Kam-
merspielkomödie „Das perfek-
te Geheimnis“. Wobei Dagte-
kin, Hauptautor von „Türkisch
für Anfänger“, Erfinder und Re-
gisseur von „Fuck ju Göhte“.
eigentlich gar nicht so viel da-
für kann. „Das perfekte Ge-
heimnis“ kennt nämlich seit
gut vier Jahren mindestens die
halbe Welt. Paolo Genovese hat
2016 zum ersten Mal Frauen
und Männer um einen Tisch
versammelt und bei einem ei-
gentlich lauschigen, wenn auch
miesen Abendessen mit an-
schließender Mondfinsternis-
beobachtung ein Spiel spielen
lassen. Geht so ähnlich wie
„Wahrheit oder Pflicht“. Alle
Handys kommen auf den Tisch.
Flugmodus aus. Klingelton an.
Jeder Anruf wird laut gestellt,
jede Textbotschaft vorgelesen.
Das war ein Hammererfolg
in Italien. Und weil es das war
und Originalideen in der so ge-
nannten Filmindustrie selten
sind wie geheimnislose Mo-
bilphone-Benutzer, dürfte
„Perfetti sconociutti“ die am
meisten nachgedrehte Komö-
die der Filmgeschichte sein
(anderthalb Dutzend Re-
makes). Die Geheimnisse des
Freundeskreises werden in In-
dien gelüftet, in der Türkei und
in Südkorea.
Ergebnis einer Art Plot-
Franchising, das deswegen so
erfolgreich ist, weil die Ge-
schichte – leicht modifiziert
und den regionalen Gepflogen-
heiten und Geschmäckern an-
gepasst wie die Speisekarte glo-
bal agierender Burgerbräter –
überall auf der Welt funktio-
niert, sieht man vielleicht mal
von indigenen Völkern im Ama-
zonas-Urwald ab. Nun sind al-
so versammelt in einem luxu-
riösen Dachgeschoss über
München, geschmackvoll ein-
gerichtet, voller Bücher, ausge-
leuchtet wie in einer bayerische
Kaffeerösterwerbung: Rocco
und Eva, er Schönheitschirurg
und feinfühliger Vater, sie Psy-
chologin, die jeden Raum drei
Grad kälter macht, den sie be-
tritt. Carlotta und Leo, sie als
Karrieristin mehr oder weniger
allein unter Werbern, er mehr
oder weniger als Ex-Werber in
Elternzeit mehr oder weniger
alleinerziehend mit Zwillingen.
Bianca und Simon, sie alles
sonnenbescheinende Tierärz-
tin, er taxifahrender Job- und
Beziehungshopper; und Pepe,
Lehrer mit ungesichertem Be-
ziehungsstatus. Die Jungs ken-
nen sich, seit sie Pfeil und Bo-
gen auf dem Schulhof gerade
halten konnten. Die Frauen ka-
men irgendwann dazu. Nun sit-
zen sie da. Rocco hat gekocht,
viel und schlecht. Das muss
man sich schön trinken. Den
Rest des Abends auch.
Was nur bedingt daran liegt,
dass Alkohol ja eine Wahrheits-
droge sein soll, sondern viel-
mehr daran, dass mit den
Handys zu den missratenen Ta-
pas und dem schrecklichen
Schokohuhn natürlich (bei-
nahe) alles auf den Tisch
kommt, was zwischen den
Jungs und den Mädels bisher
sicher verwahrt im Datenspei-
cher der Handys verborgen
war.
„Das perfekte Geheimnis“ ist
- man ahnt es schon – sozusa-
gen die dritte Ableitung von
Yasmina Rezas „Gott des Ge-
metzels“. Der Esstisch hat – zu-
mindest auf der Bühne und im
Kino – als Ort der psychologi-
schen Vivisektion die Couch
abgelöst. Man setzt sich dran,
es fliegen die Fetzen, und am
Ende haben sich alle derart in
die Horrorclownversion ihrer
selbst verwandelt, dass sie we-
der einander noch sich selbst
ins Gesicht sehen können. So
läuft das normalerweise ab.
Wenn es gut und böse und lus-
tig und natürlich ziemlich trau-
rig und wahr ist. „Das perfekte
Geheimnis“ ist ein bisschen
lustig. Vielleicht fangen wir mal
mit dem Ende an. „Das perfekte
Geheimnis“ hat nämlich keins.
Das heißt: Es hat mehrere, es
findet lange kein richtiges. So
lange, bis die deutsche Horror-
show etwas bekommen hat, was
den anderen Franchise-Filmen
fehlt. Ein Wohlfühlfinale. Die
Clowns, die sich zerfleischt ha-
ben, denen nichts heilig war, am
Ende nicht mal mehr ihre
Freundschaft, wischen sich –
Fußball spielt neben diversen
Unterleibsgeschichten immer
wieder eine Rolle – den Mund
ab und machen weiter. Liegen
sich weinend in den Armen.
Wahre Kumpels halten zusam-
men – auch wenn sie sich als
homophobe, misogyne Arschlö-
cher gezeigt haben. Womit wir
bei den Frauen wären. Fassen
wir mal kurz zusammen, was
Frauen wollen: vielleicht gar
keine Karriere machen, sie seh-
nen sich danach, Muttertiere zu
sein. Frauen werden von Män-
nern betrogen. Frauen bleiben
bei ihren Männern. Es ist – Aus-
nahmen bestätigen die Regel –
wie in den Fünfzigerjahren.
Die Bilder haben einen dazu
passenden alles herunter dim-
menden Samtglanz. Die Dialo-
ge werden ungefähr so lebendig
wie Roccos Schokohuhn. Stän-
dig raschelt das Papier im
Mund von Wotan Wilke Möh-
ring, von Jessica Schwarz, von
Elyas M’Barek, von Karoline
Herfurth und den anderen. Die
Pointen ergeben sich mehr, als
sie zuschlagen, haben dafür ei-
ne gewaltige Unterleibsun-
wucht. So etwas wie Wahrhaf-
tigkeit kriegen eigentlich nur
Florian David Fitz (Pepe) und
Jella Haase (Bianca) hin.
Irgendwann, als alles ausei-
nander geflogen zu sein
scheint, schwenkt die Kamera
vom Balkon der Paartherapie-
bedürftigen herunter ins Nach-
barhaus. Da steht ein altes Ehe-
paar, umarmt sich, herzt sich.
Sieht aus wie eine Rentenversi-
cherungswerbung. Alles seufzt.
Spätestens da möchte man mit
Tapas auf die Leinwand werfen.
Wer gerade keine zur Hand hat:
Tacos mit Käsesauce tun es
auch.
WWWenn sich alte Freunde zu einem schönen Abend treffen: Elyas M’Barek & Co. in „Das perfekte Geheimnis“enn sich alte Freunde zu einem schönen Abend treffen: Elyas M’Barek & Co. in „Das perfekte Geheimnis“
©
LUCIA FARAIG / CONSTANTIN FILM VERLEIH GMBH
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Sieben Freunde und sieben Handys:
In „Ein perfektes Geheimnis“ veranstaltet
der „Göhte“-Erfinder Bora Dagtekin
eine Psychokinokomödie