Die Welt Kompakt - 31.10.2019

(Brent) #1

einmal aufgewachsen ist, und die
mit uns getreulich älter gewor-
den sind.
Dass in den nichtchronologi-
schen Werkdurchgang auch man-
che Arbeiten jüngeren Datums
untergemischt sind, trägt zur
Atelierfrische kaum bei. Und mit
dem burschikosen „Markus“-Sig-
net werden die Bilder auch nicht
jünger. So deutlich jedenfalls ist
er noch nie aufgefallen, dieser
Lüpertz-Hang zur willentlichen
Frühvergreisung. Als gelte es, al-
les daran zu setzen, die Ge-
schichte der Bilder, ihre Dramen
des Gelingens und Scheiterns
schnellstens zu versiegeln.
Kaum zu glauben, dass die
moosgrünen Stahlhelme, die der
Meister aus Deutschland der-
einst in Serie auf den Markt warf,
fffür politische Aufregung gesorgtür politische Aufregung gesorgt
haben, so naturtrüb und fallobst-
mäßig, wie sie heute vor einem
liegen.
Markus Lüpertz war ein Maler
der siebziger und achtziger Jah-
re. Damals war er ein Star und
sagte es laut, dass er ein Star sei.
Der Kunstmarkt huldigte seinem
brachialen Ich-Kult, und der
KKKunsthändler Michael Wernerunsthändler Michael Werner
rührte unermüdlich die Trom-
mel. Der Ausstellungsbetrieb in-
des ließ sich vom Genialitätsver-
sprechen nie recht beeindru-
cken. Und wenn man die letzten
vier Jahrzehnte Revue passieren
lässt, dann ist es recht einsam
geworden um Lüpertz und die
Lüpertziana.


Fast erschreckend, wie die Zeit
über das Werk hinweggegangen
ist, und der ganze aufgestylte Bil-
der-Corpus irgendwann aus der
Geschichte gefallen sein muss.
Im Rückblick kommt einem diese
ins Gigantische spielende Kunst-
anstrengung vor wie eine einzige
Inszenierung kolossaler Leere.
Ohne Höhepunkte, ohne die Fie-
berkurve, die eine Werkphase
einmal glühen lassen würde.
WWWomöglich hat diese Malereiomöglich hat diese Malerei
ja nie etwas mit jetzt und heute
zu tun haben wollen. Das würde
man ihr nicht einmal anrechnen,
wenn man in den Irgendwie-Al-
lusionen auf eine Irgendwie-An-
tike außer hoch angesetzten Tö-
nen noch irgendetwas fände,
was einen interessieren könnte.
Figuren, Szenen, Gegenstände –
aber was wollen sie sagen? Male-
rei als Beschwörung des Verlore-
nen, für das es keine Sehnsucht
mehr gibt.
Pamela Kort, die Kuratorin,
entdeckt einen „kinematografi-
schen Blick“ im Werk. Dass er
ein Filmfan sei, hat Lüpertz ja
selbst immer wieder von sich er-
zählt. Und dass seine Serien, sei-
ne „Dithyramben“, die Rhyth-
men des bacchantischen Mythos,
die der Maler immer wieder zi-
tiert, auch auf visuelle Eigen-
schaften der bewegten Bilder an-
spielen könnten, ist zwar nicht
offensichtlich, aber tapfer ge-
dacht. Jedenfalls stimmt es, dass
sich Lüpertz, als er sich in den
fffrühen sechziger Jahren noch inrühen sechziger Jahren noch in
der freien Luft der Abstraktion
aufhielt, ungleich zugehöriger
ausnahm. Aber das eben ist lange
her, und der kinematografische
Blick muss bald einmal trübe ge-
worden sein.
Manche Senioren aus der Lü-
pertz-Generation in den Sälen.
Aber auch viele junge Gesichter.
Ratlos. Alle mit Audioguides an
den Ohren. Man möchte nicht
wissen, was ihnen da erzählt
wird. Es ist ja nicht das Altweiß-
männliche allein. Das auch, na-
türlich. Die Medici-artige Selbst-
aufrüstung, der Dünkel, mit der
der bald achtzigjährige Künstler
seine Teilhabe an der Gottbegna-
deten-Liga zur Schau stellt, das
alles muss einer Generation mit
und ohne Hipsterbart vorkom-
men, als sei einer aus einem der
alten Porträtschinken an der Mu-
seumswand aus seinem Rahmen
gestiegen und tapse mit seinem
Gehstock durch ein fremdes
Jahrhundert.
So wenig Lüpertz’ Bilder oder
Skulpturen ein Publikum für sich
einnehmen konnten, so wenig
haben sie auch seine Kollegen in-
teressiert. Lüpertz war nie ein
Künstler-Künstler. Die Spuren,
die er als Düsseldorfer Akade-
mie-Direktor hinterlassen hat,
sind die eines rabiaten Prinzi-
pals, der keinem markigen Auf-
tritt auswich. Aber dass er als
Maler Schule gemacht hätte,
könnte man schwerlich behaup-
ten. Tragisch? Vielleicht ist es ja
auch tragisch, wie da einer nicht
in Ehren ergraut, sondern in der
aufgeblasenen Bedeutungslosig-

keit verschwunden ist. Das Haus
der Kunst als Edel-Gruft? Es wä-
re nicht ganz fair, wenn man nur
von weg gezerrten Grabplatten
berichten würde. Die noch von
Okwui Enwezor konzipierte Aus-
stellung des in Ghana geborenen
Künstlers El Anatsui haben über
200.000 Leute sehen wollen. Der
gerade abgeschlossene Werkbe-

richt der fabelhaften Miriam
Cahn war ein großer Erfolg. Und
neben Markus Lüpertz – doch
hermetisch abgetrennt, darauf
hat der alte Mann bestanden –
hat der dreißig Jahre jüngere
Thaster Gates eine Installation
aufgebaut, für die man keinen
Audioguide braucht. Man setzt
sich aufs Original-Sofa, das für

die vom afroamerikanischen Ver-
leger John Johnson gegründete
Publishing Company in Chicago
entworfen worden ist. Auf einem
Plakatwechsler rauschen Mode-
Fotografien aus den Johnson-
Magazinen „Ebony“ und „Jet“
auf und ab. Man steht vor Vitri-
nen voller afrikanischer Masken
und kunsthandwerklicher Ge-
genstände. Man geht in den Ne-
benraum mit den Video-Sequen-
zen und der Plattensammlung
des legendären Leichtathleten
Jesse Owens, der 1936 bei der Na-
zi-Olympiade in Berlin vier Gold-
medaillien holte – und hat in der
bildmächtigen Versammlung der
dramaturgischen Teile längst die
Symbolik schwarzer Identität
entdeckt.
Marmorfliesen da und dort.
Gemischte Gefühle. Friedhofsru-
he und lebendiger Diskurs. Das
Haus der Kunst wird auch das In-
terregnum bestehen. Und wo-
möglich kommt ja doch einmal
die Zeit, in der einem nicht mehr
die gespenstischen Reitstiefel im
Ohr hallen.

DIE WELIE WELIE WELT KOMPAKTT KOMPAKT DONNERSTAG, 31. OKTOBER 2019 KULTUR 21


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Neuer Leiter des Hauses der Kunst: Andrea Lissoni

DPA

/ PETER KNEFFEL
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