Handelsblatt - 31.10.2019

(Michael S) #1

Veränderung der weltweiten Kapi-


talmärkte seit langer Zeit“.


Dass die große Umwälzung an


den Märkten bislang nicht Realität


geworden ist, liegt aus Sicht von


Briscoe an der geringen Anpas-


sungsfähigkeit der Finanzbranche


in Europa und den USA. Doch es


dürfte auch im Interesse westli-


cher Geldmanager sein, das zu


ändern, sagt Raymond Sagayam,


Chefanlagestratege für Anleihen


beim Vermögensverwalter Pictet.


„Der chinesische Anleihemarkt


wird deutlich an Dynamik gewin-


nen.“ Besonders für Europäer sei


China angesichts negativer Rendi-


ten auf Staatsanleihen interessant.


Denn in Europa hätten Investo-


ren lediglich die Wahl, negative


Renditen zu akzeptieren oder ein


höheres Risiko einzugehen. „Aus


meiner Sicht stehen Ertrag und Ri-


siko in keinem Verhältnis“, sagt


Sagayam. Anders sieht es bei chi-


nesischen Staatsanleihen aus: Pa-


piere mit fünfjähriger Laufzeit


werfen aktuell 3,1 Prozent Rendite


ab. Bei deutschen Staatsanleihen


mit gleicher Laufzeit sind es minus


0,6 Prozent. In China können In-


vestoren daher mit einem Mehr -


ertrag von 3,7 Prozent pro Jahr ge-


genüber Bundesanleihen rechnen.


Dabei ist der chinesische Staat


ein solider Schuldner. Ratingagen-


turen wie S&P, Moody’s oder Fitch


bewerten das Land mit „A+“. Ein


Zahlungsausfall ist damit nahezu


ausgeschlossen. Bei einem Ausver-


kauf an den Börsen steigen die Pa-


piere im Kurs. „Chinesische Staats-


anleihen handeln wie andere si-


chere Häfen an den Märkten“, sagt


UBS-Manager Briscoe.


Anleger müssen sich bei einem


China-Engagement jedoch die Fra-


ge stellen, wie sie mit dem Wech-
selkursrisiko umgehen. Konser -
vativ agierende Anleiheinvestoren
sichern sich häufig gegen Wechsel-
kursschwankungen ab, weil diese
als kaum prognostizierbar gelten
und die Erträge empfindlich
schmälern können. Doch Pictet-
Stratege Sagayam rät Investoren
dazu, auf eine Absicherung gegen
einen schwachen Yuan zu verzich-
ten. Er erwartet: „Die chinesische
Währung dürfte zumindest stabil
bleiben und nicht deutlich abstür-
zen.“

Stabiler Yuan


Der Handelskonflikt mit den USA
könne China zwar kurzfristig
schwächen und auch die Währung
unter Druck setzen. Das wiederum
könnte die Zinserträge mit chinesi-
schen Titeln in Euro drücken.
Doch an der Exportstärke Chinas
und der daraus resultierenden
Nachfrage nach Yuan dürfte sich
aus Sagayams Sicht nichts ändern.
Hinzu kommt die wachsende
Bedeutung der chinesischen Wäh-
rung für die Reserven der weltwei-
ten Zentralbanken. So hat sich der
Internationale Währungsfonds
(IWF) bereits 2016 das Ziel gesetzt,
zwischen elf und zwölf Prozent
seines eigenen Währungsportfo-
lios, die sogenannten „Sonder -
ziehungsrechte“, in Yuan anzule-
gen. „Davon ist der IWF noch weit
entfernt“, sagt Sagayam. Das trage
zu einer stabilen Währung bei.
„Wer kann, sollte chinesische An-
leihen kaufen, ohne das Wäh-
rungsrisiko abzusichern.“
Für viele Geldmanager dürfte
das eine Umgewöhnung bedeuten.
Doch Vermögensverwalter müss-
ten ohnehin grundlegend umden-
ken, sagt Briscoe: „Es reicht nicht
mehr, einfach in den Global Aggre-
gate Index zu investieren.“ Viel-
mehr müssten Portfoliomanager
und Anlagestrategen gezielt Län-
der auswählen. „Es ist sinnvoll,
40 Prozent in US-Zinspapiere zu
investieren, 40 Prozent in chinesi-
sche Papiere und 20 Prozent in
Anleihen von Australien, Neusee-
land oder dem Vereinigten König-
reich, wo es immerhin noch etwas
Rendite gibt“, sagt Briscoe.
Bis chinesische Anleihen einen
derart hohen Stellenwert in euro-
päischen Portfolios einnehmen, ist
es noch ein langer Weg. Doch je
länger die Niedrigzinsphase an-
hält, umso größer wird der Druck
auf die Geldmanager.

Märkte


Vorsichtiger Optimismus


Wird 2019 noch ein gutes


Börsenjahr? Die Experten


sind zurückhaltend, aber


hoffnungsvoll. Das gilt auch


für Private Equity.


Frank Wiebe Frankfurt


L


angsam kommt das Jahres-
ende in Sicht und damit die
Frage: Was für ein Börsen-
jahr wird 2019 letztendlich sein?
Die größte Sorge ist, dass sich die
Entwicklung des vergangenen Jah-
res wiederholen könnte. Damals
waren in den letzten Wochen die
Kurse deutlich eingebrochen. Die
größte Hoffnung ist, dass die Bör-
sen den Ängsten vor politischem
Streit und einer möglichen Rezes-
sion trotzen. Diese Hoffnungen
stützen sich vor allem auf die
Geldpolitik.
Zu den Optimisten zählt Florian
Ielpo vom Vermögensverwalter
Unigestion. Sein stärkstes Argu-
ment: Weil der Inflationsdruck
schwach bleibt, werden die Noten-
banken im Zweifel bei einer ex-
pansiven Geldpolitik bleiben und
damit die Märkte unterstützen.
Ähnlich urteilt auch die Fondsge-
sellschaft Carmignac: Die Geldpoli-
tik spielt die entscheidende Rolle,
weniger die Frage, was US-Präsi-
dent Donald Trump oder der briti-
sche Premier Boris Johnson gera-
de wieder aushecken. Wichtig in
dem Zusammenhang: Die Börsen-
schwäche im vergangenen Jahr
wurde vor allem durch die Sorge
ausgelöst, die US-Notenbank (Fed)
ignoriere mögliche wirtschaftliche
Probleme und werde ihre Zinser-
höhungen fortsetzen. Inzwischen
ist sie aber längst zu Zinssenkun-
gen übergegangen.
Davon abgesehen glaubt Ielpo:
„Das makroökonomische Umfeld
ist nicht so schlecht, wie viele den-
ken.“ Eine Bestätigung lieferten
die jüngsten Zahlen zum Wirt-
schaftswachstum in den USA. Es
lag im Sommerquartal bei 1,9 Pro-
zent aufs Jahr hochgerechnet –
und damit besser als von vielen
Experten erwartet. Wie die
NordLB schreibt, fällt auf, dass der
private Konsum in den USA immer

noch die wirtschaftliche Entwick-
lung stützt.
Der Experte von Unigestion
glaubt zudem, dass die Stimmung
zu pessimistisch ist. Die Anleger
seien „unterinvestiert und über-
mäßig abgesichert“. Sollte er mit
seiner Einschätzung richtig liegen,
wäre gegen Jahresende noch ein
Kursaufschwung möglich. Denn
an der Börse heißt Pessimismus
immer auch, dass noch nicht alle
Investoren ihre Mittel voll einge-
setzt haben. Zu viel Optimismus
ist gefährlicher: Er bedeutet, dass
fast alle Mittel schon investiert
sind und daher nicht mehr viel Zu-
strom möglich ist.

Gespaltene Erwartungen
David Wehner von Do Investment
setzt einen anderen Akzent. Er
hält die geopolitischen Ereignisse
für ausschlaggebend. Dabei hält er
eine Beruhigung im Handelsstreit
zwischen den USA und China für
relativ wahrscheinlich. Sein Argu-
ment: „Donald Trump möchte ei-
ne Wiederwahl – und dafür benö-
tigt er ein solides wirtschaftliches
Umfeld und einen steigenden Ak-
tienmarkt.“ Im laufenden Jahr hat
Trump allerdings keine Scheu vor
belastendem Streit gezeigt und da-
für die Fed unter Druck gesetzt,
diese Belastungen mit möglichst
niedrigen Zinsen auszugleichen.

Wehner findet die Konjunktur-
daten nicht sehr ermutigend und
spricht von „belasteten Unterneh-
mensergebnissen“. Die gute Nach-
richt allerdings: Diese Schwach-
punkte sind seiner Meinung schon
in den Kursen enthalten. Fazit
hier: Kühlt sich der Handelsstreit
ab, könnte es zu einer „Entspan-
nungsrally“ kommen. Wehner
würde in dem Fall bei den zehn-
jährigen Bundesanleihen eine
Rendite zwischen minus 0,2 und
0,0 Prozent für möglich halten –
also etwas weniger Minuszins, was
aber mit einem nachgebenden
Kurs verbunden wäre.
Sehr gespalten sind die Erwar-
tungen der Experten im Bereich
von Private Equity, also nicht an
der Börse notierten Unterneh-
mensbeteiligungen. Das Kapital-
marktpanel von Cometis, eine
Umfrage unter rund 350 Exper-
ten, zeigt für die zweite Jahreshälf-
te, dass genau die Hälfte hier mehr
und die andere Hälfte weniger Be-
reitschaft zu Investitionen erwar-
tet. Die einen fürchten sich vor ei-
ner Rezession. Für die anderen
wiegt schwerer, dass sie Private
Equity für aussichtsreicher als an-
dere Anlageklassen halten. Als be-
vorzugten Ausstieg aus Beteiligun-
gen erwarten die Experten nicht
Börsengänge, sondern Verkäufe
an andere Finanzinvestoren.

500


MILLIARDEN


Dollar von ausländischen Inves-
toren könnten in den kommen-
den zwei Jahren in chinesische
Staatsanleihen fließen.

Quelle: UBS Asset Management


Bulle oder Bär? Noch ist nicht klar, als was sich das Börsenjahr 2019
verbuchen lässt.

Oliver Ruether/laif

 
      
 
 



   
 
 


  


 
 

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Private Geldanlage


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DONNERSTAG, 31. OKTOBER 2019, NR. 210


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