Handelsblatt - 31.10.2019

(Michael S) #1
Spezial
DONNERSTAG, 31. OKTOBER 2019, NR. 210

40


Einblick


Zwischen


Frust und


Fortschritt


D


ie Erwartungen sind hoch



  • die ersten Ergebnisse im-
    mer wieder ernüchternd.


Von der Zusammenarbeit zwischen


etablierten Unternehmen und Start-


ups versprechen sich beide Seiten


eine Menge: Konzerne und Mittel-


ständler erhoffen sich eine schnel-


lere Produktentwicklung und eine


Injektion an agiler Kultur, die jun-


gen Tech-Firmen einen ordentli-


chen Schub für Reputation und Ein-


nahmen. Auch auf der Erfinder-


Fachmesse „iENA“, die heute in


Nürnberg beginnt, suchen Jungun-


ternehmen den Kontakt zu Koope-


rationspartnern und Investoren.


Eine Untersuchung der Beratung


Boston Consulting Group aus dem


Sommer zeigt jedoch, dass sich die


Erwartungen häufig nicht erfüllen



  • und dass sich solche Projekte den-


noch lohnen. Fast jedes dritte Start-


up in der Umfrage erhofft sich etwa


durch die Kooperation einen leich-


teren Zugang zu Risikokapital – in


nur 17 Prozent der Fälle klappt das


auch. Umgekehrt versprechen sich


fast 40 Prozent der Traditionsunter-


nehmen durch die Zusammenarbeit


direkt neue Umsatzquellen – nur je-


des zweite von ihnen konnte das


tatsächlich realisieren. „Momentan


herrscht bei Kooperationen häufig


Frust“, sagt Stefan Gross-Selbeck,


Geschäftsführer des BCG-eigenen


Company-Builders Digital Ventures.


Die Berater warnen davor, nach ei-


nem Fehlschlag auf den Ideenaus-


tausch zu verzichten. Es sei viel-


mehr wichtig, die „Partnerschaften


mit klareren, realistischeren Erwar-


tungen zu gestalten“. Die Zusam-


menarbeit müsse als Teil einer lang-


fristigen Strategie betrachtet wer-


den. So steigern Start-ups durch ein


Projekt mit einem renommierten


Unternehmen ihre Reputation. Das


kann noch Jahre später die Türen


zu anderen Industriefirmen öffnen.


Und Konzernmitarbeiter lernen et-


wa, dass Prototypen ohne zahlrei-


che Entscheidungsgremien schnel-


ler entstehen können – und über-


nehmen das für die nächste eigene


Entwicklung. Manuel Heckel


IMPRESSUM


Redaktion: Manuel Heckel,
Thomas Mersch, Stefan Merx


Zu langsam, zu unklar
Aus diesen Gründen scheiterten
Kooperationsprojekte – jeweils aus


Sicht v. Konzernen und Start-ups.


Schwierige und
langwierige Ent-
scheidungswege

Keine klare Projekt-
steuerung und
-verantwortung

Intransparente/inkom-
patible Erwartungen
Kein klarer Anwend-
ungsfall definiert

20 % 25 %


21 % 19 %


20 % 1 %


22 %  %


Umfrage unter 112 Konzernen und 62 Start-
ups, Mehrfachnennungen mögl., Auswahl, 2019
HANDELSBLATT • Quelle: BCG

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ullstein bild - Westend61

Miriam Binner Köln


W


ie funktionierte Carsharing im
Jahr 1993? Elektroingenieur
Uwe Latsch, damals wissen-
schaftlicher Mitarbeiter der
Uni Siegen, tüftelte eine Lö-
sung aus, die eine persönliche Schlüsselübergabe
überflüssig machte. Dafür rüstete er die damals
üblichen Telefonkarten mit Extrachips aus. Mit
denen konnten Nutzer die Autotür öffnen und
über ein Modul im Handschuhfach auch ihre
Fahrten bezahlen. „Als Ingenieur im Uni-Umfeld
war es klar, dass ich für meine Erfindung ein Pa-
tent anmelde“, sagt Latsch. „Das war damals der
wichtigste Schritt für Gründer.“
Den Nutzen des Schutzrechts bewertet Latsch
rückblickend jedoch als gering. Im Alleingang er-
arbeitet, habe es Schwächen bei der Formulie-
rung des Produkts gegeben. „Wasserdicht war das
nicht“, sagt Latsch. Nach einigen Jahren stellte er
die Zahlung der jährlichen Gebühren ein – und
ließ das Patent verfallen. Latsch ist im Mobilitäts-
sektor dennoch erfolgreich: Seine Firma Invers ist
mit 130 Beschäftigten inzwischen auf Telematik-
und Softwarelösungen für Mobilitätsdienstleistun-
gen spezialisiert. Der Berliner Ride-Pooling-Anbie-

ter Clevershuttle, E-Roller-Vermieter Coup und
der Carsharing-Dienst Miles zählen zu seinen Kun-
den. „Im schnelllebigen Softwaregeschäft ist der
Zeitvorsprung oft entscheidend“, sagt Latsch. Ob-
wohl es Zeit kostet, hat er seine Entwicklungen
auch mit Patenten abgesichert.

Balanceakt für junge Firmen


Viele Gründer kennen die Zwickmühle: Soll ich
meine Ideen schützen und zu fertigen Produkten
entwickeln? Oder doch bereits Testversionen oh-
ne wasserdichte rechtliche Absicherung auf den
Markt bringen, um bloß nicht überholt zu wer-
den? Anwälte warnen: Ohne Schutzrechte droht
der Kontrollverlust über Innovationen. Business-
Experten dagegen verachten die zeitfressende Pa-
pierarbeit und drängen zur raschen Vermarktung.
Investoren wiederum verlangen Klarheit über die
Rechte, um Risiken zu verringern. Es gilt, die Ba-
lance zu finden. „Gründer müssen sich bewusst
sein, dass Erfolg heute vor allem eine Frage der
Geschwindigkeit ist“, sagt Sebastian Borek, Ge-
schäftsführer der Bielefelder Start-up-Schmiede
Founders Foundation. „Wer dabei allerdings die
Rechte am geistigen Eigentum vernachlässigt,

Geistiges Eigentum


Tüftler in


der Zwickmühle


Schneller Markteintritt ist das Mantra der Gründerwelt. Wer aber


dabei seine Ideen nicht absichert, riskiert empfindliche Folgen.


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PATENTE


wurden im
vergangenen Jahr
in Bayern pro
100 000 Einwohner
angemeldet.
Damit ist der Freistaat
Spitzenreiter in
Deutschland.

Quelle: Deutsches
Patent- und Markenamt
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