Die Welt - 09.11.2019

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09.11.19 Samstag, 9. November 2019DWBE-VP1


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DWBE-VP1

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34 STIL DIE WELT SAMSTAG, 9. NOVEMBER 2019


Die Geschichte hier ist eigentlich vor-
bei, bevor sie richtig angefangen hat.
Nach seinem Ausscheiden aus dem
Vorstand bei Marc O’ Polo 2018 be-
schlossen Bernd Keller und seine Frau
Christina, dass sie es wagen würden,
eine eigene Marke aufzubauen. Know-
how und Erfahrungen hatte er als
Designer und Manager reichlich, dazu
ein Gefühl für den Bedarf an unkom-
plizierter, klassisch-moderner Kleidung
bester Qualität. Keiner riet ab, als er
sein True-Standard-Konzept – eine Art
Kaschmir für Körper und Seele, nach-
haltig und fair – Freunden und Wegge-
fährten präsentierte. Es machte Sinn.
Die Kellers ackerten, brachten ihr
eigenes Geld ein und fanden eine In-
vestorin. Alles war auf einem guten
Weg. Selbst den Schock, dass sein
Freund Peter Lindbergh starb, wenige
Tage vor dem Shooting, das er für die
erste Kampagne zugesagt hatte, steckte
Keller im Namen der Zukunft weg.
Berappelte sich in seiner Trauer um
den Freund, fand einen Fotografen, der
bereit war, Lindberghs Konzept, über
das die Männer lange gesprochen hat-
ten, umzusetzen.
Die nachstehende Geschichte er-
zählt von diesem Shootingtag in
Bamberg am 21. September. Ein Tag
voller Energie und Fröhlichkeit. Nie-
mand ahnte, dass wenige Wochen
später der Anruf der Investorin alle
Pläne zunichte machen würde. Sie
traue sich doch nicht, sagte sie. Al-
lein können die Kellers die finanziel-
le Belastung, die mit einer neuen
Marke einhergeht, nicht stemmen.
„Das Leben hat gerade wenige schö-
ne Nachrichten für mich“, schrieb mir
Bernd Keller am Tag danach. Vor-
würfe macht er niemanden. Der
Traum ist geplatzt. Aber er hat, wie
immer, seine Familie. Er selbst ist jetzt
wieder am Markt. Und wir drucken die
Geschichte, weil das Ganze so viel
erzählt über die Mode in Zeiten von
Disruption. IG

B


amberg also. Ein kleines,
beschauliches Städtchen
am Rand des Steigerwalds.
Wie Rom auf sieben Hügeln
erbaut, Weltkulturerbe mit
Kaiserdom, 2400 denkmalgeschützten
Fachwerkhäusern und verwinkelten
Gässchen, der historische Ortskern auf
zwei Seiten von der Regnitz umflossen.
Am nördlichen Ende der Insel liegt die
ehemalige Spinnerei, in der ab 1858
Baumwolle erstmals mechanisch verar-
beitet wurde – die damals knapp 52.000
Spindeln und 750 Webstühle angetrie-
ben von Wasserkraft und einer Dampf-
maschine.

VON GABY ULLMANN

Das alte Backsteingebäude hat viel
von seinem Charme aus der Zeit der In-
dustrialisierung bewahrt und erwacht,
nachdem es mit dem Niedergang der
fränkischen Textilwirtschaft in den
1990er Jahren in einen langen Dornrös-
chenschlaf verfallen war, gerade wieder
zu neuem Leben. Bernd Keller, geboren
in Pegnitz, rund 60 Kilometer westlich
der Bischofsstadt gelegen, hat das Loft
im Januar bezogen, es ist der Firmen-
sitz von True Standard, seinem ersten
eigenen Modelabel. „Ich hatte das Ge-
fühl, dass es gerade in der heutigen Zeit
wichtig ist, mit einem klaren Konzept
Stil und Werte in der Modeindustrie
neu zu verbinden: Cooles kann auch
verantwortlich produziert sein!“, sagt
der 53-Jährige, der als Designer, Kreativ-
direktor und Manager bei Unternehmen
wie Hugo Boss, Adidas und Puma gear-
beitet hat und zuletzt Vorstandsmit-
glied bei Marc O’Polo war. Dass er mit
seinem Start-up ein Risiko eingeht, ist
ihm klar. Allerdings weiß er aber auch,
was er kann und was er will – und vor al-
lem, was er eben nicht (mehr) will.
Kellers Kollektion setzt auf Nachhal-
tigkeit und ist entweder handgefertigt
in kleinen, lokalen Betrieben, ökolo-
gisch, recycelt oder vegan – jedes Pro-
dukt soll eine eigene Geschichte erzäh-
len. Die Idee Fair-Fashion zu produzie-

ren, ist natürlich nicht neu, schon gar
nicht für Bernd Keller selbst. Schon in
seinen Anfangszeiten bei Marc O’Polo
vor über 25 Jahren hat er den Claim
„Only nature materials, only nature
simplicity“ verinnerlicht. Später dann,
bei Hugo Boss, war er es, der eine Studie
mitinitiierte, bei der 80.000 Menschen
befragt wurden, welche ethischen Er-
wartungen sie an ein modernes Mode-
unternehmen stellen.
„Das Thema Nachhaltigkeit“, sagt er,
„ist ein Wirtschaftsfaktor, der immer
bedeutsamer wird, weil es dabei auch
um Risikominimierung und Zukunftssi-
cherung geht.“ Der Lifestyle kehrt lang-
sam, aber spürbar zurück zur Vernunft,
kein Unternehmen könne es sich des-
halb künftig noch leisten, in die Recht-
fertigungsrolle gedrängt zu werden,
weil es Umweltschutz oder soziale Ge-

rechtigkeit nicht ernst nimmt. Als ana-
lytisch denkender Mensch, der sich mit
jedem Berufsjahr und jeder Jobstation
immer noch intensiver mit Verkaufs-
psychologie und Umsatzoptimierung
beschäftigt hat, sieht Bernd Keller das
ganz nüchtern: „Erfolg heißt: die Verän-
derung beim Konsumenten verstehen.“
Seine langjährige Erfahrung gibt
Bernd Keller inzwischen auch als Bera-
ter an die Industrie weiter. Dennoch ist
er alles andere als ein kühl kalkulieren-
der Geschäftsmann. Verantwortung zu
übernehmen und gut zu sein, liegt ihm
sehr am Herzen. Eine schwierige Aufga-
be – gerade in der Textilbranche. Wie
wichtig ihm Ehrlichkeit und Echtheit
sind, drückt er mit seinem Firmenna-
men „tRue Standard“ aus. Auch der
kleingeschriebene Anfangsbuchstabe
hat eine Bedeutung. Das „t“ steht für
ein Kreuz – ein versteckter Hinweis da-
rauf, dass der Designer praktizierender
Christ ist. „Der Glaube“, erzählt er,
„spielt in meinem Leben eine große
Rolle. In meiner Familie wurde man seit
Generationen entweder Arzt oder
Priester, und auch wenn ich einen ande-
ren Weg eingeschlagen habe, haben
christliche Werte meine Persönlichkeit
tief geprägt. Ich bin dankbar für die Ga-
ben, die mir von Gott mitgegeben wur-
den und möchte versuchen, sie so ein-
zusetzen, dass sie eine Sinnhaftigkeit
ergeben.“
Immer an seiner Seite: Ehefrau
Christina. Er kennt sie seit seiner Kind-
heit in Pegnitz und liebt sie seit der 12.
Klasse am Gymnasium. Drei Kinder ha-
ben die beiden, Lena ist 25, Justus 22
und Leopold 18. Die Familie, zu der auch
die beiden Bulldoggen Kalle und Twiggy
gehören, ist seine größte Stütze und im-
mer da, wenn Bernd Keller sie braucht.
So wie an diesem Tag, an dem das Kam-
pagnenshooting für das neue Label
stattfindet. Das Loft ist voller Men-
schen. Mitarbeiter, Models, Foto- und
Kamerateam, Stylisten, Make-up-Artis-
ten – alle sind in vollem Einsatz. An den
Kleiderstangen hängen Kellers aktuelle
Designs für die Herbst-/Wintersaison,
acht Strickteile für Frauen und acht für
Männer, sowie bereits einiges aus der
Frühjahr-/Sommer-Kollektion.
Der Stil: Relaxed, lässig und dabei
überraschend elegant. Bernd Keller er-
zählt, dass er beim Entwerfen den „con-
temporary performer“ im Kopf hatte:
Männer und Frauen ab 45 (seine Proto-
typen nennt er Hannes und Maja), die
beruflich etabliert sind, repräsentieren,
häufig reisen und Wert auf Komfort und
Qualität legen, sich aber einen „spirit of
revolution“ erhalten haben. Maja mit
subtilem Sexappeal, Hannes mit kerli-
ger Sportlichkeit. Und alle zusammen
mit viel Spaß am Leben. Bernd Keller
versteht seine Kleider außerdem als
perfekte „travel items“, weil „alle Teile
unkompliziert miteinander kombinier-
bar sind, nicht knittern und man sie für
business wie auch casual stylen kann“.
Gefittet wird ausnahmslos an Men-
schen aus der anvisierten Zielgruppe –
mit ganz normalen Figuren. Ein Feed-
back der Models ist ausdrücklich er-
wünscht, um die optimale Passform zu
finden. „Ich möchte emotionale Mode
machen“, so Bernd Keller. „Kleidung, in
der man sich rundum wohlfühlt.“ Dafür
arbeitet der Designer auch mit kleinen
Kniffen, seinen „Body-Wonders“: raffi-
nierte Schnittführungen beispielsweise,
wohlwollende Lagenlooks oder fließen-
de Materialien, die freundlich die Figur
umspielen.
Dennoch soll sich Kellers Kollektion
nicht nur auf eine Generation beschrän-
ken. Das schönste Kompliment für ei-
nen Designer sei es schließlich, wenn
sich Kinder am Kleiderschrank ihrer El-
tern bedienen und die Sachen auf ihre
eigene Weise interpretieren. „Style uni-
fies“ bildet deshalb auch die Basis des
Fotoshootings, für das Bernd Keller ne-
ben den Schauspielern Andrew Cooper
(„The Royals“), Anatole Taubman
(„James Bond“) und Artjom Gilz („Cha-
rité“) tatsächlich auch eine Familie ge-
bucht hat: Eliza, 19, eine frühere Schul-
freundin seines Sohnes Leopold, und
ihre Schwester Lola, 20, arbeiten beide
international als Profimodels, Mama
Melanie und die 13-jährige Josie erwei-
sen sich vor der Kamera aber ebenfalls
als Naturtalente.
Fotograf Benedikt Frank hat für die
Umsetzung eine narrative Bildsprache
gewählt, klar und kraftvoll. Es ist auch
eine Hommage an den kürzlich verstor-
benen Peter Lindbergh, der die Kampa-
gne ursprünglich shooten sollte und da-
für von Paris nach Bamberg kommen
wollte. „Wir hatten das Konzept ge-
meinsam entwickelt. Unsere Idee war
es, eine Geschichte rund um die alte
Spinnerei, Gemeinsamkeit, Stil, Traditi-
on, Weitergeben von Werten zu erzäh-
len.“ Der Verlust seines Freundes und
langjährigen Weggefährten hat Bernd
Keller tief getroffen: „Er war alles, was
mir an einem Menschen wichtig ist –
warmherzig, bodenständig, bescheiden,
unverfälscht.“ True eben.

Anatole Taubman, Andrew Cooper und Artjom Gilz standen Model für eine Kollektion, die keine werden kann

TRUE STANDARD

. FOTOGRAF: BENEDIKT FRANK; HAIR AND MAKE UP: JOHN ELLIOT + ANDREA STÖCKL; MODELS: ELIZA UND LOLA KALLMANN, ANDREW COOPER, ARTJOM GILZ, ANATOLE TAUBMAN


Wenn der


TRAUM nicht


wahr wird


Bernd Keller ist


seit Jahrzehnten


eine Größe in der


Modeindustrie.


All seine


Erfahrungen


steckte er im


vergangenen


Jahr in den Aufbau


seiner eigenen


Marke True


Standard. Bis


plötzlich


vergangene Woche


der vernichtende


Anruf kam


A


ls Gucci im
September in
Mailand zur
Präsentation der Früh-
jahr/Sommer-Kollekti-
on lud, war die Span-
nung ziemlich groß.
Im Vorfeld war darü-
ber spekuliert worden,
ob Alessandro Michele
wieder seinen typi-
schen Look zeigen
würde, also diese exzentrische, amü-
sante, überdekorierte Community
vorführen würde – begleitet von der
Frage, wie lange das noch funktionie-
ren könnte. Eine Frage, die seit ziem-
lich vielen Saisons immer gestellt
wurde und die die Kunden jedes Mal
wieder mit einem klaren „Ja, läuft!“
beantworteten. Die Sehnsucht nach
der guten alten Flower-Power-Zeit
war eine Weile so überbordend, dass
Gucci exorbitante Umsatzzahlen vor-
zeigen konnte. Doch je erfolgreicher
Michele mit der gestalterischen Um-
setzung seiner großartigen Fantasie
war, desto reflexhafter kamen Zweifel
auf, wie lange das wohl gut gehen
könne. Die Mode ist halt noch schwie-
riger als das Glück, das gern ver-
schwindet, wenn es sich nicht unter-
halten fühlt, wie Wolfgang Joop es
mal formuliert hat.
Man musste nicht mit dem Kosmos
eine besondere Beziehung führen, um
zu erahnen, dass Veränderungen an-
stehen. Vielleicht dauert die Disrupti-
on schon zu lange an, jedenfalls
scheint das „Wir-wollen-Spaß“-Ver-
steck nicht mehr so sicher wie ge-
dacht. Der Ernst des Lebens ist wie
Herbstnebel in Norddeutschland, er
kriecht in jede Masche. Da er das auch
im Frühjahr noch tun könnte, um im
Bild zu bleiben, hat die Mode umge-

schaltet. Es ist Zeit, ei-
ne andere Rüstung an-
zulegen, eine gewisse
Ernsthaftigkeit ist zu-
rückgekehrt. Anzüge,
Haltung, Schnitte,
Strenge.
Und wenn für die
kommende Saison ein
Revival der Männer-
Modewochen ange-
kündigt ist, zahlt diese
Entwicklung zwar vor allem darauf
ein, dass das Interesse an Mode bei
Männern wächst. Aber es ist eben
auch ein Hinweis darauf, dass sie
nicht nur Mitläufer im Frauen-Zirkus
sein wollen wie in den letzten Sai-
sons. Der Punkt Diversität ist gesetzt,
jetzt kann ruhig auch mal wieder un-
entschieden stehen. Nun muss man in
Mode nicht alles hineininterpretieren,
doch sie ist der Wettervogel auf dem
Zeitgeist-Dach. Und bestimmt haben
sie bei Gucci darüber nachgedacht, ob
auf das eine Erfolgsmuster nicht doch
mal ein neues geliefert werden muss.
Schließlich gilt Alessandro Michele
als derart begabt, dass man ihm auch
nicht nachsagen will, er könne nur ei-
ne Masche. Und trotzdem war seine
Show eine Überraschung, begleitet
von dem halb mulmigen Gefühl, dass
die Zeiten sich tatsächlich ändern.
Optisch nicht unbedingt zum
Schlechteren muss man sagen, aber
halt weniger Verrücktheit. Für Gucci-
Verhältnisse gerade zu pur gekleidet
glitten die Models auf Rollbändern,
wie man sie von Flughäfen kennt, am
Publikum vorbei. Nein, nicht als Sym-
bol dafür, dass uns das Leben entglei-
tet. Das wäre wirklich zu gewollt.
Aber der Stil ändert sich, und da
die Sehnsucht nach Haltung und ei-
nem gewissen Anstand groß ist, kann
man die neue Mode auch als Indiz für
Hoffnung sehen. Alessandro Michele
jedenfalls war beim Gespräch nach
der Show ganz klar: Er wolle keines-
falls neue Kunden, das seien alles
noch „seine Leute“, aber eine neue
Facette zeigen. Erwachsene. Was
nicht mit Alter zu übersetzen ist.
Und so war es dann nur eine kleine
Überraschung, dass Gucci am Diens-
tag ausgerechnet im Hamburger Store
zu einer der begehrten „Towards
Winter“-Veranstaltungen lud. Das ist
ein Store-Event, wie es neudeutsch
heißt, das die Italiener derzeit in nur
einigen Boutiquen veranstalten. Zwar
gibt es das Geschäft am Neuen Wall
schon lange und die verspielten Kol-
lektionen haben sich auch im hansea-
tischen Umfeld gut verkauft, gleich-
wohl gilt Berlin als hipper und ist
München viel häufiger der Ort der
Wahl. Der Laden war brechend voll,
der Pianist Matija Kovac spielte
durchaus anspruchsvolle Stücke vor
gut gekleideten Menschen. Eine ganz
andere Coolness als in Berlin für eine
andere Zeit.

GLOBAL DIARY

KKKorrekte orrekte


Coolness


INGA
GRIESE

Der Pianist Matija Kovac bei Gucci
in Hamburg

INGA GRIESE

D


iese Tasche steht stellvertre-
tend dafür, was passiert,
wenn einer der größte Möbel-
händler der Welt mit einem der ange-
sagtesten Modedesignern der Welt
zusammenarbeitet. Eine Kollektion,
die den Effekt reproduziert, den frü-
her die H&M-Designerkollektionen
hatten: Vor den Filialen campende
Fans (London), limitierte Abgabe-
mengen, leergefegte Regale. Es geht
um Ikea und Virgil Abloh.
AAAbloh ist von Hause aus Architekt,bloh ist von Hause aus Architekt,
trotz seines Streetwear-
Labels Off-White und
seinem Job
als Kreativ-
direktor
der Louis-
VVVuitton-uitton-
Männerli-
nie. Und
DJ. Und
KKKünstler.ünstler.
Seit Don-
nerstag ist
seine 15 Tei-
le umfassende
Ikea-Linie namens Markerad
(zu Deutsch: ausgewählt) mit Preisen
von 8,99 Euro (sehr charmant: ein
WWWerkzeugset mit Aufdruck „Home-erkzeugset mit Aufdruck „Home-
work“) bis 279 Euro (eher langweilig:
ein midcentury-artiger Holztisch mit
ausgestellten Beinen) auch in

Deutschland erhältlich. Besonders be-
gehrt und deswegen auch schon fast
ausverkauft ist der grüne Flauschtep-
pich mit „Wet Grass“-Schriftzug.
In größeren Stückzahlen ist auf je-
den Fall die Tasche aus kunststoff-
verstärktem braunen Papier (12,79
Euro) verfügbar. Virgil Abloh kreuzt
die ikonische blaue Ikea-Tasche (man
erinnere sich an die Lederversion
von Balenciaga) mit der ebenso iko-
nischen amerikanischen brown paper
bagund druckt „Sculpture“ darauf.
Ein ironisches Spiel. Oder wie Virgil
AAAbloh seine Ikea-Kol-bloh seine Ikea-Kol-
lektion erklärt:
„Es geht darum,
die anonymen,
alltäglichen
Symbole hervor-
zuheben, die
man unbemerkt
verwendet.“ und
„Es gibt immer
eine unter-
schwellige Bot-
schaft in meinen
Kreationen. Ein we-
nig Ironie – und eine
VVVerbindung zwischen erbindung zwischen Menschen.“
Wer nach dem Einkauf erschöpft
ist, der kann sich übrigens aufs Mar-
kerad-Daybed aus Kiefernholz legen.
Das ist schlicht schön und ganz uniro-
nisch. ANNEMARIE BALLSCHMITER

FINDLING

Eine Tasche voll Ironie


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