Neue Zürcher Zeitung - 30.10.2019

(Michael S) #1

Donnerstag, 31. Oktober 2019 ZÜRICH UNDREGION 19


Anwohner am Grossmünster haben


die Nase voll vom vorweihnächtlichen Käse


Die«Fondue-Alp» und derRummel in der Advent szeit lösen in der Altstadt Unmut aus


ALOIS FEUSI


«Karl, das duftet herrlich», stehtingel-
ben Lettern auf einerFensterscheibe des
Restaurants Karl beim Grossmünster-
platz.Das mag sein. Manchen Anwoh-
nern allerdings wird’s in derkommenden
Vorweihnachtszeit stinken – und zwar
im buchstäblichen wie im übertragenen
Sinn desWortes. Denn vom 21.Novem-
ber bis zum 23. Dezember steht auf dem
Kopfsteinpflaster zur Kirchgasse hin
wieder die «Fondue-Alp».
Die im Chaletstil gehaltene Holz-
hütte samt Küchencontainer,Abfall-
behältern und mobilerToilettenanlage
warbereitsin derVorweihnachtszeit
2018 alsTeil desWeihnachtsmarkts im
Niederdorf an diesem Ort aufgerichtet
worden.Das erste Mal hatte die Käse-
hütte imJahr 20 17 im Oberdorfgestan-
den, damals auf dem nahenZwingliplatz.


Umzugum die Ecke


Die «Fondue-Alp» erzürnte nicht nur die
dortige Anwohnerschaft, sondern pro-
vozierte auch Beschwerden der Pfarrei
Grossmünster. Diese stiess sich beson-
ders an der sechswöchigenDauer der Be-
legungdes Platzes bei der Pforte des Got-
teshauses. In Gesprächen mit der Stadt-
polizei stimmten die Kritiker jener ersten
Standortwahl schliesslich demVorschlag
zu, die «Fondue-Alp» um die Ecke auf
den Grossmünsterplatz zu zügeln.
Aber auch dort ist der rustikale Holz-
bau nicht rundum willkommen. Den
Anwohnern beschere der grosseFon-
due-Plausch Abend für Abend Tr u-
bel undLärm bis weit nach 22 Uhr, ein
Kühlaggregat im Dauerbetrieb, übel-
riechendeKüchenabluft und den Blick
aus ihrenFenstern auf wenig ästhetische
Installationen an derRückseite derFest-
hütte sowie auf zu Haufen gestapelte
Müllsäcke,sagt der an der Kirchgasse
wohnende AlessandroVassella.Wäh-
rend die Stände im Niederdorf bereits
an Heiligabend verschwänden, bleibe
di e«Fondue-Alp» über dieFesttage
stehen und werde erst am 27.Dezem-
ber demontiert, ergänzt der auf öko-
logisches und nachhaltigesBauen spe-
zialisierte Architekt. Dies missfalle –
genauso wie derLärm und der Gestank –
nicht nur ihm, sondern auch den anderen
Mietern in seinem Haus und vielen wei-
teren Anwohnern.


Seinen Ärger formulierteVassella
bereits im April in einem Schreiben an
die städtischePolizeivorsteherin Karin
Rykart. Die Stadträtin hatte die «Fon-
due-Alp» unter Berufung auf einenAus-
nahmeparagrafen in den städtischen
Veranstaltungsrichtlinien bezüglich
der zeitlichenDauer der Nutzung des
öffentlichenRaums bewilligt. Grund-
sätzlich dürfen derartige Nutzungen des
öffentlichenRaums höchstens dreiTage
dauern. Artikel 17 dieserVerordnung
hält aber fest, dass dieVorsteherin oder
derVorsteher desPolizeidepartements
ermächtigt werde,«fürVeranstaltun-
gen Bewilligungen in Abweichung von
diesen Richtlinien zu erteilen, wenn ein
öffentliches Interesse vorliegt».
Auf dieses öffentliche Interesse so-
wohl was die Bevölkerung als auch was
denTourismus angehe, beruft sich Karin
Rykart in ihrer Antwort anVassella.
Sie bekundetVerständnis dafür, dass

er als Anwohner für das Grossmüns-
ter und seine Umgebung eine dezente
und würdevolle Belegung währendder
Adventszeit wünsche. DochFondue-
Chalets gälten als «klassische Elemente
vonWeihnachtsmärkten» und müssten
dort integriert werden, wo Platz vorhan-
den sei.Leider böten weder das Nieder-
noch das Oberdorf eine bessere Alter-
native zur Placierung der «Fondue-Alp».

«Eventitis» greift um sich


So wie AlessandroVassella ergeht es
manchen Bewohnern der ZürcherAlt-
stadt. Die vorweihnächtliche «Eventitis»
hat beträchtlicheAusmasse angenom-
men.Früher einmal mag dieAdventszeit
still und besinnlichgewesen sein. Heute
bringt sie geschäftiges Gedränge, und
das Klingeln in den Kassen verdrängt
feinen Glockenklang.
Sei es am ältestenWeihnachtsmarkt
im Niederdorf, sei es im grossen«Wie-
nachtsdorf» am Bellevue, sei es auf den
Märkten an derBahnhofstrasse und am
Werdmühleplatz, oder sei es am «Christ-
kindlimarkt» in derBahnhofshalle mit
dem 15 MeterhohenSwarovski-Christ-
baum: Die Leutekönnen nichtgenug be-
kommen von Lebkuchen,Weihnachts-
gebäck, Nidelzältli, Marzipan, Manda-
rinen und Nüssen, Glühwein, Zimtduft,
Samichlausmützen und Engelshaar, Plas-
tiktannenzweigen, elektrischemKerzen-
schimmer,Flitter, Kitsch undTand. Und
diesesJahr gibt es erstmals auch einen
Weihnachtsmarkt auf dem Münsterhof.
Der forcierte,ganz und gar nicht
zwinglianischeWeihnachtszauber be-
deutet Mehrarbeit für viele städtische
Angestellte. Nach Angaben der Medien-
stelle des Sicherheitsdepartements be-
schert dieVorweihnachtszeit zum Bei-
spiel der Stadtpolizei einigen zusätz-
lichenAufwand bei derAufrechterhal-
tung von öffentlicher Sicherheit und
Ordnung.Auch die städtischen Müll-
männer von ERZ haben im Dezember
mehr zu tun. Zwar sind dieVeranstal-
ter selber für dieReinigung derWeih-
nachtsmärkte besorgt. Doch wegen der
vielen Leute, die in den Geschäften und
auf denWeihnachtsmärkten Geschenke
einkaufen, setzt die Stadtreinigung im
Kreis 1 im Dezember jeweils auch zwi-
schen 19 und 22 Uhr Mitarbeiter ein.
DerRummel verursacht der Stadt
allerdings nicht nurKosten,sondern er
spült auch Geld in die Kasse. Die Betrei-
ber vonWarenverkaufsständen müssen
proLaufmeter undTag9Franken Miete
bezahlen. Essens- und Getränkeständen

mit sofortigemVerzehr werden 8Fran-
ken verrechnet, und die Gastronomie mit
Sitzplätzen muss4 Franken pro Quadrat-
meter undTag berappen. Im vergange-
nenJa hr ergab dies Gesamteinnahmen
von 340 700Franken. Mit 235 300Fran-
ken trug das«Wienachtsdorf» auf dem
Sechseläutenplatz den Löwenanteil bei.
Dass die öffentliche Hand–undfolg-
lich die Öffentlichkeit – von diesen Ab-
gaben profitiert, bestreitet Alessandro
Vassellakeineswegs. Doch ein öffent-
liches Interessean einemFondue-Chalet
auf dem Grossmünsterplatz mag er nicht
erkennen. In einem weiteren BriefAn-
fang Oktober schriebVassella derPolizei-
vorsteherin, dass die Altstadt angesichts
desWeihnachtsrummels auf dem Sechse-
läutenplatz und dem Münsterhof, im Nie-
derdorf, an der Bahnhofstrasse und im
Hauptbahnhof einen Ort derRuhe und
Besinnung brauche. Er erinnert an die
biblische Geschichte von derVertreibung
der Händler und Geldwechsler aus dem
Tempel und postuliert ein übergeordne-
tes öffentliches Interesse an einem würde-
vollen Umgang mit diesem Ort.
Der Weihnachtsmarkt «Dörfli»
müsse auf das Niederdorf beschränkt
bleiben, fordert er. Dieses ende aber an
der Stüssihofstatt und nicht beim Gross-
münster.Vassella verlangt auch, dass die
«Fondue-Alp» am 24. und nicht erst am
27.Dezember abgeräumt werden müsse,
damit der Platz wenigstens anWeih-
nachten frei sei von diesem «Ungetüm».
DiePolitiker argumentierten jeweils,
dass man als Bewohner der Altstadt halt
damit klarkommen müsse, dass hier viel
los sei. Ein solches Quartier mit einem
Wohnflächenanteil von 90 Prozent brau-
che aber nicht ausgerechnet in derWeih-
nachtszeit noch mehrLärm und Betrieb.

Auch das Züri-Fäscht imVisier


Dass er mit seinenForderungen nicht
durchdringen wird, ist AlessandroVas-
sella klar.Aufgeben will er seinen Kampf
nicht. Im Gegenteil; er nimmt auch den
Lärm und denTr ubel während des Züri-
Fäschts insVisier.Während jener drei
Tage herrsche im Quartier buchstäblich
derAusnahmezustand, und die meisten
Nachbarn verliessen ihreWohnungen.
Vassella plant, gemeinsam mit einem
gleichfalls betroffenenJuristen die Stadt
zur EinrichtungeinesFonds aufzufor-
dern, mit dem dieKosten für auswärtige
Übernachtungen zumindest mitfinan-
ziert werdenkönnten. «Das sollte bei
einem Budget von mehr als 11 Millio-
nenFranken ja wohl noch drinliegen.»

Ist Käsefondue eine klassischeWeihnachtsspezialität? NATHALIETAIANA / NZZ

DERMARKTBUMMLER


So soll


ein Kartoffelstock


sein


Peter Brunner· Kennen SieFrühlings-
kartoffeln?Ja,sicher,die kleinen zar-
ten Knöllchen, auf die jeder Gourmetim
Frühling sehnsüchtig wartet.Kennen Sie
aber auchWinterkartoffeln?Wohl eher
nicht,denn diesen Begriffgibt es meines
Wissens gar nicht. Ich meine damit die
Spätkartoffeln, ohne die man weder einen
guten Kartoffelstock noch Schupfnudeln,
Kroketten oder Gnocchi machen kann.
Für diese Gerichte müssen die Kartoffeln
mehlig sein und beimKochen zerfallen.
Ob Kartoffeln schnittfest oder meh-
lig sind, hängt vomVerhältnis zwischen
ihrem Eiweiss- und ihrem Stärkegehalt
ab. Dieses ist einerseits durch die Sorte
bestimmt, aber eben auch durch den
Anbau, dieWitterung und dieLagerung.
Dummerweise sieht man das den Knol-
len nicht an, und die Angaben auf der
Verpackung sind wegen all dieserFakto-
ren nicht sehr zuverlässig. Nach meiner
Erfahrung gibt es erst ab dem Spätherbst
wirklich mehligeKartoffeln. Nicht zufäl-
li g kochen wir ja vor allem in der kalten
Ja hreszeit die deftigen Kartoffelspeisen.
Mit der optimalen Kartoffel ist der
Kocherfolg jedochnoch lange nicht
garantiert.Worauf man weiter ach-
ten muss, beschreibe ich am Beispiel
des Kartoffelstocks, meinem Lieblings-
gericht desWinters, von dem ich eine
dezidierteVorstellung habe: Er soll luf-
tig sein, gleichzeitig aber auch samtig
weich und doch so fest, dass man ihn
mit einem Löffel abstechen und darin
einen Saucensee formen kann. An die-
serKombination haben wir in unserer
Küche ziemlich lange gepröbelt.
Schritt eins: 750 g mehlige Kar-
toffeln inWürfeln in mindestens 3 l
kochendes, ungesalzenesWasser geben
und sehr weichkochen.DasWasserab-
giessen, und die Kartoffeln sofort auf
einer grossen Fläche verteilen.Dabei
mit einem Kartoffelstampfer oder einer
Schaumkelle leicht zerstampfen, damit
der heisseDampf möglichst schnell ent-
weicht. Man kann dabei zusehen, wie
das Püree langsam dieKonsistenz und
Farbe von Schnee bekommt.Das immer
noch heisse Püree durch ein Sieb oder
am besten durch einPassevite drücken.
Bis hierhin gilt dasVorgehen für alle
mehligen Kartoffelspeisen.
Schritt zwei: In einer Pfanne 2 dl
Milch aufkochen und je nach Ge-
schmack mit Salz, Muskat und Pfeffer
würzen. Das Kartoffelpüree zugeben
und sorgfältig verrühren.Jetztkommt
dasWichtigste: DenTopf zudecken und
bei etwa 80 °C für mindestens 30 Minu-
ten in denBackofen stellen. In die-
ser Zeit wird aus dem festen Kartoffel-
püree ein luftiger Kartoffelstock, ähn-
lich wie bei einem Soufflé.Vor dem Ser-
vieren, je nach Geschmack, 100 bis 200 g
kalte Butterwürfelchen mit einem Spa-
tel darunterziehen. (Die genaue Menge
der Milch hängt, wie oben beschrieben,
von der Qualität der Kartoffeln ab.)
Einen ganz anderen, cremigen Cha-
rakter hat die französischeVariante des
Kartoffelstocks, die ich beispielsweise
für Fischgerichte vorziehe: 750 g fest-
kochende Kartoffeln in kleinenWürfeln
mitWasser knapp bedecken und sehr
weichkochen. DasWasser abgiessen und
die Kartoffeln ausdampfen lassen. Durch
ein Sieb oder einPassevite streichen. 60 g
Butter mit5gSalz haselnussbraun wer-
den lassen und mit 2,4 dlRahm wärmen.
Mit den Kartoffeln mischen und noch-
mals durch das Sieb streichen.Das Püree
ist jetzt ziemlich flüssig. Für mindestens
eineStundezugedeckt neben den war-
men Herd stellen, dabei bekommt es die
Konsistenz einerRahmglace.Vor dem
Servieren nochmals mit dem Schwing-
besen kräftig rühren.
Tipp:Wenn man die Butter durch
ein gutes Olivenöl ersetzt, bekommt das
Püree eine fruchtige, mediterrane Note.

Lokalmarkt


Uraniastrasse9|8001Zürich|+41 43 888 66 66
http://www.brasserie-lipp.ch

„Pourdoubler le bonheur,


il faut le partager.“
Paul Bocuse
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