Donnerstag, 31. Oktober 2019 WIRTSCHAFT 23
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Ein Peugeot 3008 am Ende derFertigungslinieimPSA-WerkinSochaux bei Montbéliard. STEFAN WERMUTH/ BLOOMBERG
PSA – eine unkomplizierte Braut
Eine Fusion mit Peugeot wäre für Fiat Chrysler attr akti v, weil der französische Staat kein strategischer Teilhaber ist
NINA BELZ,PARIS
Ist die PSA-Gruppe mit den Marken
Peugeot, Citroën und Opel dasTrost-
pflaster fürFiat Chrysler (FCA),nach-
dem dieFusion mitRenault Nissan im
Juni geplatzt ist? In der französischen
Presse wird geraunt, FCA-Präsident
John Elkann habe immer noch Präfe-
renzen fürRenault.Doch fest steht,dass
für Elkann selbst wie auch seinenVor-
gänger Marchionne PSAschon seit ei-
nigenJahren als möglicherPartner galt.
Kooperationen gibtes zwischen den bei-
den Konzernen bereits seitJahrzehnten,
etwa beimBau von Nutzfahrzeugen.
Wie auch beiRenault würden die Ita-
liener bei PSA die Innovationen finden,
die sie in den vergangenenJahren ver-
nachlässigt haben. Und auch bezüglich
der erschlossenen Märkte ergäbensich
Synergien – diesmal weniger inAsien als
in den USA und Europa.
Die Gefahr, dass die «politischen Be-
dingungen» in Frankreich dasVorhaben
zu Fall bringen, ist bei PSA deutlich ge-
ringer. Im Juni hatten dieForderungen
des grössten Renault-Aktionärs,des
französischen Staats, die Italiener dazu
gebracht,ihrAngebotrelativ überhastet
zurückzuziehen. DerWirtschaftsminis-
ter hatte um mehr Zeit für die Gesprä-
che gebeten, weil er die eindeutige Zu-
stimmung desRenault-Partners Nissan
haben wollte. Die japanisch-französi-
scheAllianz,das wurde damit klar, hatte
für die französischeRegierung absolute
Priorität.Die Italiener aber verloren die
Geduld– warum,ist bis heute unklar.
SchwierigesChinageschäft
Auch an PSA hält der französische Staat
Anteile.Allerdings ist diese Beteiligung
nicht historisch bedingt, sondern einer
Rettungsaktion vor fünfJahren geschul-
det,alsesPSAsehrschlechtging.Zusam-
men mit dem chinesischenAutobauer
Dongfeng griff der Staat PSA unter die
Arme. Heute bilden die beiden zusam-
men mit derFamiliePeugeot (über die
Investmentgesellschaft FFP) das An-
kera ktionariat von PSA.Jeder der drei
Parteien hält derzeit 12,2%. Sie haben
ein Stillhalteabkommen bis 2024 unter-
zeichnet,wonachkeiner von ihnen ohne
die Zustimmung der anderen seine An-
teile erhöhen kann. Die staatliche Betei-
ligungsagentur(APE)tratihrePSA-An-
teil e2017andie öffentlicheInvestitions-
bankBPIFranceab,umanliquideMittel
zukommen.EsistaberaucheinZeichen
dafür,dassdieBeteiligungeheralsInves-
titionshilfe denn als strategischerWert
gesehen wird. Im Gegensatz zu Dong-
feng und FFP mit je19,5% Stimmrecht
verfügt die BPI bis jetzt nur über ein-
faches Stimmrecht (9,7%).
ÜberdieHaltungderChinesenistbis
heutewenigbekannt.VoreinigenMona-
tengab es Gerüchte,Dongfeng erwäge,
seine Beteiligung an PSA zureduzieren
oder gar abzustossen.Das Joint Venture
von PSA und Dongfeng, DPCA,hat sich
weniger gut entwickelt als erwartet.Erst
im August wurde die Schliessung zweier
von vierFertigungswerken beschlossen.
DieNachrichtenagenturReuterszitierte
ein Mitglied der Unternehmensleitung,
wonach PSA kurz davor sei, sich aus
China zurückzuziehen.
Die FamiliePeugeot dürfte dem
Fusionsangebot grundsätzlich posi-
tiv gegenüberstehen. Im März äusserte
sich Robert Peugeot, der die FFP leitet,
positiv gegenüber Zusammenschlüssen
mit anderenAutobauern und nahm da-
bei explizit Bezug auf FCA. Er lobte in
einem Interview mit «Les Echos» aus-
serdem das Ergebnis der Opel-Über-
nahme 2017, von der man nicht geglaubt
habe, dass die Sanierung so schnell abge-
schlossen sein würde. Ein deutliches Lob
an dieAdresse vonCEOCarlosTava-
res, der sich seit seinemAmtsantritt 2014
mit seiner Entschlossenheit einenRuf
als strenger Sanierer erarbeitet hat.
Verlagerung von Arbeitsplätzen
Nicht anders als beiRenault käme auch
bei einerFusion zwischen PSA undFCA
zwangsläufig dieFrage auf, wie dieSyn-
ergien der beiden Unternehmen effi-
zient genutzt werdenkönnen. Hier kom-
men die Interessen des französischen
Staates ins Spiel:Auf keinen Fall sollen
in Frankreichs Industrie Arbeitsplätze
abgebaut werden. In einer ersten Stel-
lungnahme hiess es aus demWirtschafts-
ministerium, man verfolge die Gesprä-
che aufmerksam.Sie stünden im Zeichen
der Konsolidierung derAutomobilbran-
che , die nötig sei und in derFrankreich
einen Platz haben wolle. Man sei beson-
ders wachsam bezüglich derFolgen für
die Industrie und derFührungsstruktur
des neuen Unternehmens. Schliesslich
betonte das Ministerium, man erwarte,
dass das neueUnternehmen sich weiter-
hin zur eu ropäischenBatteriefabrik für
Elektroautos bekenne, die Frankreich
mit Deutschland aufbauen will.
Laut einer Studie des Unternehmens
IHS Markit dürfte dieAutoproduktion
in Frankreich ohnehin bereits imkom-
mendenJahr stark zurückgehen.Das
sei einerseits dem prognostiziertenVer-
kaufsrückgang geschuldet.Hauptverant-
wortlich für diese Entwicklung ist aber
eine Verlagerung der Arbeitsplätze.So
wird der Peugeot 2008 künftig in Spa-
nien produziert, das Modell208 kommt
künftig aus Marokko und der Opel
Grandland X aus Deutschland.
Vielleicht ein Rettungsanker für Italiens Autoindustrie
awy. Rom·Es ist vor allem das gut aus-
gebauteVertriebsnetz in Nordamerika,
das der italo-amerikanischeAutokon-
zern FCA in die «Ehe» mit PSA einbrin-
gen würde. Es würde dem französischen
Autokonzern zustattenkommen beim
geplanten Markteinstieg vonPeugeot
in Amerika. Zudem ist FCA im Besitz
der WeltmarkeJeep und damit stark im
Wachstumsmarkt der geländegängigen
Stadtautos (SUV). Die Pick-up-Trucks
scheinen aus europäischer Sicht weniger
attraktiv, aber auch da ist FCA im ameri-
kanischen Markt gut aufgestellt.
In Italien hat FCA hingegen nicht
viel zu bieten. Der Autobauist hier in
den letzten dreiJahrzehnten geradezu
verkümmert. ImJahr 2018 rollten etwa
600000 Personenwagenaus italieni-
schenWerken. In denJahren vor der
Krise von 2008 waren es jährlich fast
doppelt so viele. Die aktuellenVerkaufs-
zahlen sind rückläufig.Von allenAutos,
die in der EU produziert werden, stam-
men nur noch 4% aus Italien;der An-
teil Deutschlands liegt bei über 30%,
Frankreich und Grossbritannien halten
je 10%, Spanien bringt es auf14%, und
Tschechien und die Slowakei zusammen
haben denselben Anteil.
Drei Faktoren werden für den Krebs-
gangder italienischenAutoindustrie
verantwortlich gemacht. Sie kämpft mit
einem Heimmarkt,der seit zwanzigJah-
ren nicht wächst, das ist ein offensicht-
licher Nachteil. Zudem liege Italien am
Rande Europas, so wird angeführt, und
sei durch die Alpen abgeschnitten von
den Industriezentren des Nordens und
damit von denFertigungsnetzwerken
der international verzweigtenJust-in-
Time-Produktion. Dies ist ein nichtiges
Argument, eskönnte auch für Spanien
geltend gemacht werden.
Entscheidend scheint hingegen, dass
bei Fiat in den letzten 30Jahren kaum
noch inForschung und Entwicklung
investiert wurde. Neue Branchentrends
wie dieFertigungin Modulen und den
Elektroantriebhatmanverpasst.DerBe-
sitzerfamilieAgnelli-Elkannwirdvorge-
wor fen, sie habe Chrysler günstig über-
nommen und dafür dieAutoproduktion
von Italien nachAmerika verlagert.So
sei enArbeitsplätze in den USA gerettet,
in Italien aber geopfert worden.
Früher galtFiat gewissermassen als
Teil der Seele Italiens, als Industrie-
Ikone,als Grund für Nationalstolz (und
in Turin für Lokalstolz). Heute hat die
MarkeFiat ihren Glanz weitgehend ver-
loren. Die Italiener zeigen auch beim
Autofahren oderAutokauf nur nochwe-
nig Patriotismus. Zwar liegen dieFiat-
Modelle immer noch an der Spitze der
Verkäufe in Italien. Aber nur noch 29
Prozent der neu gekauftenWagen sind
in Italien produziert. In andernLändern
mit eigenerAutoindustrie wieFrank-
reich oder Deutschland liegt der Anteil
bei über 50 Prozent.
Nunkönnte man in Italien hoffen,
dass das Zusammengehen von FCA
mit PSA der italienischenAutoindus-
trie eine Überlebenschance eröffnet
oder sogar zu einem neuenAufschwung
verhilft. Immerhin bietet sich die Ge-
legenheit, den Anschluss an verpasste
technologische Neuerungen wiederher-
zustellen. Doch vonRegierungsseitewill
mankeine Stellung nehmen. Dies sei
eine Operation am Markt, man beob-
achte, was dakomme, meinte Stefano
Patuanelli, der Minister für wirtschaft-
liche Entwicklung. Der Gewerkschafts-
vertreter Michele DePalma äusserte
sich besorgt wegen möglicher Arbeits-
pl atzverluste. Er forderte dieRegie-
rung auf, sich fürForschung und Ent-
wicklung in Italien einzusetzen.Davon
hänge die Zukunft desAutomobilsek-
tors in Italien ab.
Die Nothilfe fürFiat
nützt auchPeugeot
Kommentar auf Seite 11
WirhaltenWort.
Verlässliche Fakten schaffen,
statteinfach Marktkonsens
übernehmen.