Donnerstag, 31. Oktober 2019 WIRTSCHAFT 25
«Ich habe davon nichts gewusst»
Credit-Suisse-Chef Thiam äussert sich zur Beschattung von Iqbal Khan und zum Ergebnis im dritten Quartal
DANIEL IMWINKELRIED
Eigentlich wollte Credit-Suisse-Chef
TidjaneThiam zur Beschattung des ehe-
maligen Vermögensverwaltungschefs
Iqbal Kahn nicht vieleWorte verlieren, als
er das Ergebnis zum dritten Quartal prä-
sentierte: Er habe nichts davon gewusst
und sei dankbar für die Unterstützung,
die er vonKunden und Aktionären erhal-
ten habe.WeitereKommentare wollte er
zur Angelegenheit nicht abgeben.
Kein enger Freund
Aber das warWunschdenken, denn der
Bankchef wurdemitFragen gelöchert.
Immerhin war es auchThiams erster
öffentlicherAuftritt in der Schweiz, seit-
dem die Beschattungsaktion im Sep-
tember bekanntgeworden war.Thiam
machte nicht den Eindruck, als sei die
Affäre spurlos an ihm vorbeigegangen.
Aber nein,erhabe nie daran gedacht, als
CEO zurückzutreten – schlicht weil er
nichtindie Angelegenheit involviert ge-
wesen sei. Zum ersten Mal habe er davon
vernommen, als die Beschattung aufge-
flogen war; damals riet er den beteilig-
tenPersonen, sich an den Chefjuristen
der CS zu wenden. DenWeggefährten
Pierre-Olivier Bouée, der die CS verlas-
sen musste, würdeThiam übrigens nicht
alsFreund bezeichnen, obwohl er mit
dem ehemaligen Chief Operating Offi-
cer (COO) seitJahren zusammenarbei-
tet. «Ich akzeptiereihn alsFachmann.»
Auf den Geschäftsgang der CS hat
die unglückselige Angelegenheitlaut
ThiamkeineFolgen gehabt. Alles an-
dere hätte aber auch überrascht. Spa-
rer halten ihrerBank in derRegel die
Tr eue, solange sie mit ihrem Berater
zufrieden sind. Ohnehin ist einBank-
wechsel fürKunden mit vielen Umtrie-
ben verbunden. Die Flucht ergreifen sie
daher in derRegel höchstens, wenn sie
an der Solidität eines Instituts zweifeln.
Mittlerweile fällt die CS aber,was die
Kapitalstärkeund die Gewinnkraft be-
trifft, im europäischenVergleich nicht
mehr ab.Die aufwendige und kräfte-
zehrendeRestrukturierung der vergan-
genenJa hre trägtFrüchte.
Das Tagesgeschäft gestaltet sich je-
doch für die CS wie für die übrigen
europäischen Institute schwierig. Die
Bank erzielte im dritten Quartalim
Vergleich mit demVorjahr zwar bei den
Einnahmen einen Zuwachs von 9% (vgl.
Tabelle).Darin enthalten ist jedochauch
einVerkaufsgewinn, so dass aus dem
Tagesgeschäft bloss ein Ertragszuwachs
von 2%resultierte. Die Geschäfte sta-
gnieren also, was dieBankführung wohl
dazu zwingen wird, dieKosten genau im
Auge zu behalten.
Das Ergebnis der CS brachte Ent-
täuschungen, förderte aber auch Über-
raschendes zutage. Im Handel erzielte
dieBank einen Gewinn, während die-
ses Geschäft im dritten Quartal 20 18 mit
einemVerlust abgeschlossen hatte. Im
InvestmentBanking,zu dem der Han-
del zählt, sind derzeit grosseVerän-
derungen im Gang.Die europäischen
Häuser haben jüngstdiverseAktivitä-
ten aufgegeben, wodurch die US-Ban-
ken ihren Marktanteil laufend erhöhen
konnten – selbst in Europa. Die CS ist
offenbar entschlossen, den grossen US-
FinanzhäusernParoli zu bieten und als
die wichtigste europäische Investment-
Bank aus demAusscheidungsrennen
hervorzugehen.Grosse US-Fondsanbie-
ter seien froh, so sagt ein CS-Manager,
wenn sie Alternativen zu den einheimi-
schen Investment-Banken hätten.
WenigerFilialen?
Harzig läuft das Geschäft in Asien, ob-
wohlThiam auf diese Gegend grosse
Hoffnungen setzt.Auch inWachstums-
regionen geht es eben nicht stetig auf-
wärts. Tr otz allen internationalen Ambi-
tionen erzielt die CS daher immer noch
im Heimmarkt den höchstenVorsteuer-
gewinn, auch wenn hier das Geschäft
stagniert.DieNegativzinsen setzen dem
Geschäft Grenzen. Gleichzeitig dürften
im Heimmarkt mittelfristig die grössten
Veränderungenanstehen. Imkommen-
denJahr wird die CS mit DirectBanking
ein neues Angebot lancieren, das sich mit
Basisprodukten an digital aufgeschlos-
seneKunden richtet. EineFrage ist, was
das mittelfristig für dasFilialnetz bedeu-
ten wird. In den vergangenenJahren hat
die CS mehr Niederlassungen geschlos-
sen als die meistenKonkurrenten.Aus
heutiger Sicht sieht es danach aus, als ob
alleSchweizerRetail-Banken im Heim-
markt noch stärker unter Margendruck
geraten werden. Zumal die neuen Smart-
phone-Banken hierzulande einen gewis-
sen Erfolg zu haben scheinen. Es würde
daher nicht überraschen, wenn dieBan-
ken in denkommendenJahren weitere
Filialen schlössen.
Und so ist dieVermögensverwaltung
(IWM) bei der CS diejenige Sparte,in
der am meistenZug drin ist. Doch auch
hier überborden die Geschäfte nicht.
DerVorsteuergewinn vonIWM nahm
imVergleich mit demVorjahr um 8%
zu, der Ertrag um 5%. Immerhin sind es
aber solcheWachstumszahlen, dieKon-
kurrenzbanken der CS auf den Sparten-
chef, Iqbal Khan,aufmerksam gemacht
haben. An seinerPerson kam man also
amTag der Ergebnispräsentation nicht
vorbei.Thiam sagte zumVerhältnis zum
ehemaligen Spartenchef: Er wisse Priva-
tes und Geschäftliches voneinander zu
trennen und habe Khan immer die finan-
ziellen Mittel gegeben, die er für die Ent-
wicklung des Geschäfts benötigt habe.
Credit Suisse in Zahlen
Geldwerte in Mio. Fr. (US-GAAP)
Juli bis September 2018 2019 ±%
Geschäftsertrag 4888 5326 9
Kosten 4152 4112 –1
Vorsteuergewinn 671 1142 70
Reingewinn 424 881 108
Kosten-Ertrag (%) 84,9 77,2 –
Kapitalrendite (Rote, %) 4,5 9–
VerwalteteVermögen (Mrd. Fr.) 1405 1482 6
Mitarbeiter 45 560 47 440 4
Angespannte
Beziehung
Börsenentwicklun g von Clariant
belastet Grossakti onär Sabic
DOMINIK FELDGES
Drei Monate nach dem abruptenAus-
scheiden seines damaligen ChefsErnesto
Occhiello ist dasBaselbieter Chemie-
unternehmen Clariant noch immer auf
der Suche nach einem definitiven Nach-
folger.Am Mittwochkonnte dieFirma
zusammen mit den Geschäftszahlen für
die ersten neun Monate diesesJahres nur
die Ernennung eines neues Geschäfts-
leitungsmitglieds bekanntgeben. Bernd
Högemann wird in derKonzernführung
dieVerantwortung für eineReihe von
Dossiers wie dieVerkaufsregion Asien
sowie die zurVeräusserung bestimmten
Geschäftsbereiche Masterbatches und
Pigmente übernehmen.
Dienenunt er einemAlphatier
Die Gruppenleitung obliegt damit wei-
terhin demVerwaltungsratspräsidenten
HariolfKottmann, der seit demRück-
tri ttOcchiellos die Geschäfte als Exe-
cutive Chairman wieder führt. Bis zu
seinerWahl zumVerwaltungsratspräsi-
denten im Oktober 20 18 warKottmann
bereits während zehnJahren der Ge-
schäftsführung von Clariant vorgestan-
den.Firmeninternhegt man die Erwar-
tung, bis Ende diesesJahres eine Short-
list beisammen zu haben. Gelingt dies,
sollte der neueKonzernchef im ersten
Quartal 2020 der Öffentlichkeit vorge-
st ellt werdenkönnen. Ein Mitsprache-
recht bei der Ernennung besitzt der
saudiarabische Grossaktionär Sabic.
DerPetrochemieriese, der 24,99% des
Kapitals von Clariant hält, hatte grosse
Stücke auf den aus seinen eigenenRei-
hen stammenden Manager Occhiello
gehalten. Doch der Italiener entpuppte
sich nicht einmal einJahr nach seiner
Einsetzung alsFehlgriff.
Ein weiterer Grund, warumdie Be-
ziehungen zwischen Clariant und Sa-
bic angespannt sind,ist das dürftigeAb-
schneiden der Schweizer Chemiefirma
an der Börse. Sabic hatte die Beteili-
gung an Clariant im vergangenenJahr
demVernehmen nach zum Preis von 33
bis 34Fr. proAktie erworben. Mittler-
weile ist derKurs derPapiere aber um
über ein Drittel auf knapp 21Fr. gefal-
len.Sabic musste denn auch amvergan-
genen Sonntag bei der Präsentation der
eigenen Quartalszahlen über eineWert-
berichtigung von umgerechnet rund
40 0Mio.$im Zusammenhang mit dem
Engagement bei Clariant berichten.
Ein solcher Verlust ist auch für
einen Grosskonzern schmerzhaft, der
2018 ineinem noch deutlich besse-
ren Marktumfeld bei einem Umsatz
von 45,1 Mrd. $ einen Gewinn von
6,2Mrd.$erwirtschaftet hatte.Wie
anderePetrochemiefirmen leidetSa-
bic unter branchenweiten Überkapazi-
täten. Die viel stärkerauf Spezialitäten
ausgerichtete Clariant-Gruppe schlägt
sich imVergleich damit wacker. Im fort-
geführten Geschäft nahm der Umsatz
im zurückliegenden dritten Quartal in
Lokalwährungen um 2%zu. Bei den
Aktivitäten in den Bereichen Master-
batches, Pigmenteund Verpackungen
(für den Gesundheitssektor), von denen
sich dieFirma trennen will, bildeten sich
dieVerkäufe ebenfallsunterAusklam-
merung vonWechselkursveränderun-
gen um 2% zurück.
Milliardenerlös imVisier
Das Management ist vor diesem Hinter-
grund überzeugt, mit Blick auf die ge-
plante Bereinigung desPortfolios die
richtigen Entscheidungen getroffen zu
haben.In Marktkreisenkursieren Schät-
zungen, wonach die bis Ende 2020 ange-
strebteVeräusserung der drei Geschäfts-
bereiche Clariant insgesamt bis zu 2,6
Mrd.Fr. einbringenkönnte. Im Gespräch
wollteder FinanzchefPatrickJanykeine
Grössenordnung für den anvisierten Er-
lös nennen. Er betonte indes, dass für
«gute Geschäfte» trotz dem erschwer-
ten Marktumfeld nach wie vor «inter-
essierteParteien» vorhanden seien. Sei-
ner Ansichtnach hates Clariant weiter-
hin «eher mit einemVerkäufer- als mit
einem Käufermarkt» zu tun.
Er habewegen derBeschattungsaffäre nie an Rücktritt gedacht, sagtTidjane Thiam. ENNIOLEANZA/EPA
Die Reallöhne steigen trotz Abkühlung
Schweizer Arbeit nehmer dürften im nächsten Jahr leicht mehr imPortemonnaie haben – es gibt ab er auch Nullrunden
NATALIE GRATWOHL
Die Detailhändler Migros und Coop
haben bereits beschlossen, die Gehäl-
ter im nächstenJahr zu erhöhen. In der
Migros-Gruppe steigt die Lohnsumme
um 0,5 bis 0,9%, bei Coop sind es 1%.
Weitere Einzelhändler dürften diesem
Beispiel folgen.Wie eine Umfrage der
UBS zeigt, ist im Schweizer Detail-
handel mit einer Nominallohnerhöhung
von 1% zurechnen.
Die Prognose für die im Strukturwan-
del steckende Branche liegt damit über
dem SchweizerDurchschnitt. Im nächs-
tenJahr dürften die Nominallöhne in
der Schweiz durchschnittlich um 0,8%
steigen. Zu diesemSchlusskommt die
Grossbank aufgrund einer Befragung bei
335 Unternehmen sowie Arbeitgeber-
und Arbeitnehmerverbänden. Bei einer
erwartetenTeuerung von 0,5% verbleibt
eineReallohnerhöhung von 0,3%.
Gleiche Lohnzuwächse wie im
Detailhandel werden im öffentlichen
Sektor, in der IT-Branche, imFinanz-
sektor oderimTextilbereich prognosti-
ziert (real +0,5%). Am besten sind die
Aussichten für die Arbeitnehmerin der
Chemie- undPharmabranchemit einer
realen Zunahmevon 0,6%.Dagegen
wirdinderAuto-, der Elektro- und der
Metallbranche mit einerrealen Null-
runde gerechnet. Für die Beschäftigten
imTourismus sind dieAussichten am
schlechtesten (real –0,2%).
Folgen des Franken-Schocks
Für das laufendeJa hrrechnet die UBS
damit, dass die Löhnereal um 0,5% stei-
gen werden. DieKonjunkturforschungs-
stelle derETH Zürich (KOF) prognos-
tiziert dagegen für 20 19 eine Zunahme
von 0,2% und für daskommendeJahr
ein Plus von 0,5%.Damit liegt das er-
warteteWachstum derReallöhne immer
noch deutlich unter demjenigen nach
demFranken-Schock imJanuar 2015.
Damals kam es aufgrund derAufwer-
tung desFrankens und der damit ver-
bundenen vermindertenWettbewerbs-
kraft der Unternehmen zu diversen
Nullrunden. Unter dem Strich hatten
die Arbeitnehmer wegen der rückläufi-
genKonsumentenpreise jedoch deutlich
mehr imPortemonnaie. 20 15 stiegen die
Reallöhne um 1,5% und 20 16 um 1,1%.
In derFolge zog dieTeuerung jedoch
wieder an; und in denJahren 20 17 und
2018 mussten die Lohnempfänger einen
Rückgang derReallöhne von 0,1% und
0,4% hinnehmen.
ImRahmen der Lohnrunde 2020
argumentierten die Gewerkschaften
denn auch, dass sich dieReallöhne in
den vergangenenJahren trotzguter
Wirtschaftslage nur schwach entwickelt
hätten. DieArbeitgeber verwiesen je-
doch auf die sich eintrübendeKonjunk-
tur. In derTat haben sich die wirtschaft-
lichenAussichten verschlechtert.Kon-
junkturforscherkorrigieren ihre Pro-
gnosen nach unten und betonen die
konjunkturellen und politischen Risi-
ken, die auchdie hiesigeWirtschaft ver-
stärkt inMitleidenschaft ziehenkönn-
ten. Die Experten des Bundesrechnen
für das laufendeJahr noch mit einem
Wachstum des Schweizer Bruttoinland-
produkts von 0,8%, nachdem sie imJuni
1,2% prognostiziert haben.
Die Entwicklung derWirtschaft habe
allerdingskeinen allzu grossen Einfluss
auf das Lohnwachstum in der Schweiz,
sagt Michael Siegenthaler,Arbeits-
marktspezialist bei derKOF.Vielmehr
sei die Lohnentwicklung in den vergan-
genenJahren vor allem von der Infla-
tion beziehungsweise Deflation geprägt
gewesen. Nach demFranken-Schock
sanken dieKonsumentenpreise über-
raschend, weil durch dieAufwertung des
Schweizerfrankens Güter aus demAus-
land deutlich günstiger wurden. Als sich
die Geschäftslage der Unternehmen
imJahr 20 17 wieder verbesserte,woll-
ten diese zunächst die aufgeschobenen
Investitionen tätigen anstatt Lohnerhö-
hungen zu gewähren.
Überdie Verhältnissegelebt
Längerfristig würden die Löhne in der
Schweiz imAusmass der Arbeitsproduk-
tivität wachsen, sagt Siegenthaler. Der
Anteil der Lohnbezüger am gesamtwirt-
schaftlichenKuchen sei seitJahrzehnten
erstaunlichkonstant. Während die Ange-
stellten nach demFranken-Schock über
ihreVerhältnisse gelebt hatten, schlug das
Pendel in denJahren danach zurück.