Handelsblatt - 14.11.2019

(Steven Felgate) #1

Florian Kolf Düsseldorf


A


uf den ersten Blick
wirkt es unscheinbar.
Sechs verschiedene Sor-
ten Wein bietet Amazon
künftig unter der Eigen-
marke „Compass Road“ an. Die klas-
sischen Rebsorten sind dabei, vom
Riesling über Chardonnay bis zum
Merlot. Als „einfache, aber dennoch
wohlschmeckende Weine“, preist das
Unternehmen sie mit leichtem Un-
derstatement an.
Doch hinter dem Angebot verbirgt
sich eine Kampfansage. Nicht nur,
dass die Flaschen im Sechserpack für
19,99 Euro verkauft werden. Der US-
Gigant lässt auch keinen Zweifel da-
ran, dass dies erst der Anfang ist.
„Das Angebot wird im Laufe der Zeit
erweitert“, teilt er mit. Und er be-
zeichnet „Compass Road“ als neue
Wein- und Spirituosenmarke.
Im Oktober erst hatte Amazon zu-
sätzlich die Marke „Tovess“ für Spiri-
tuosen lanciert. Aktuell verkauft er
unter diesem Namen einen Premi-
um-Gin für 24,99 Euro , der in alten
Kupferkesseln in Birmingham destil-
liert wird. Beim edel gestalteten Eti-
kett in Gold und Grün dürfte kaum
ein Kunde an eine billige Eigenmarke
denken.
Mit der neuen Lebensmittel-Offen-
sive dürfte Amazon immer stärker

zum Konkurrenten von Aldi und Lidl
werden. Denn das Geschäftsmodell
der Discounter basiert darauf, preis-
werte Eigenmarken mit hoher Quali-
tät als Alternative zu Markenartikeln
zu bieten. Dieses Geschäft könnte
Amazon mit dem E-Commerce und
eigenen neuen Läden in die Zange
nehmen.
Rewe-Chef Lionel Souque be-
schreibt Amazon nicht zu Unrecht
gerne als „Kampfmaschine“. Denn
während sich Amazon mit dem Ver-
senden von Lebensmitteln speziell in
Deutschland immer noch schwertut,
hat es sich in vielen Ländern schon
eine Marktmacht aufgebaut – und
setzt jetzt zur nächsten großen Offen-
sive an.
So hat das Unternehmen in den
USA im vergangenen Jahr mit Le-
bensmitteln im Netz bereits 8,2 Milli-
arden US-Dollar umgesetzt, wie der
Marktforscher Edge by Ascential be-
rechnet hat. Das ist mehr als die
sechs größten klassischen Einzel-
händler gemeinsam über ihre Web-
Shops verkauften.
In Deutschland sieht Marktfor-
scher LZ Retailytics Amazon unter
den Händlern mit einem Gesamtum-
satz von 15 Milliarden Euro schon auf
Platz fünf – vor der Metro. Noch sind
dafür im großen Maß Non-Food-Wa-

ren und Drogerieartikel verantwort-
lich. Doch der Lebensmittelverkauf
wächst mit zweistelligen Wachstums-
raten.
Der Schlüssel zum Lebensmittel-
markt, insbesondere im preiswerte-
ren Segment, sind dabei genau die Ei-
genmarken. „Durch die Nutzung von
Eigenmarken kann Amazon sich im
Sortiment differenzieren, Kunden
stärker an sich binden und die Marke
emotionaler aufladen“, erklärt Tho-
mas Täuber, Geschäftsführer der Ma-
nagementberatung Accenture.
Doch das Wichtigste: Sie erlaubten
einen attraktiven Preis und stärkten
zugleich die Marge – was gerade bei
den zu erwartenden Investitionen
von Vorteil sei. Und genau dieses Seg-
ment baut der Angreifer jetzt massiv
aus. So bietet Amazon in Deutsch-
land unter der Marke Whole Foods
bereits Trockenfrüchte und Nüsse an,
die Marke Happy Belly steht ebenfalls
für Nüsse, aber auch für Kaffee und
Kekse.
Besonders breit ist das Angebot un-
ter dem Namen Solimo: Es reicht von
Schokolade über Nahrungsergän-
zungsmittel und Reis bis zu Katzen-
futter und Shampoo. Allein in den
USA werden mit Lebensmitteln rund
800 Milliarden US-Dollar im Jahr um-
gesetzt.

Amazon lässt keinen Zweifel da-
ran, dass es ein großes Stück von die-
sem gigantischen Markt abhaben
möchte. Und dafür möchte es nicht
warten, bis sich auch in dem Seg-
ment der E-Commerce durchsetzt.
So hat Amazon jetzt bestätigt, dass
das Unternehmen eine neue Kette
von Supermärkten in den USA aufzie-
hen will.
„Amazon eröffnet einen Lebens-
mittelladen in Woodland Hills im Jahr
2020“, erklärt ein Amazon-Sprecher
auf Anfrage des Handelsblatts. Wie
genau das erste Geschäft in der Nähe
von Los Angeles aussehen wird und
wie es heißen soll, verrät das Unter-
nehmen nicht.
Doch einige Details sind schon be-
kannt. Es soll eine „Ergänzung“ zu
den bisherigen Formaten sein, also
zu der Bioladenkette Whole Foods
und dem kassenlosen Supermarkt
Amazon Go. Es wird ein klassischer
Supermarkt mit Kassen sein, wohl
stärker preisaggressiv als Whole
Foods. Integriert sein soll jedoch der
Lieferdienst.
Ein Schwerpunkt in dem neuen
Ladenkonzept – und wohl auch bei
den Lieferungen – wird auf jeden Fall
auch das Spirituosen-Geschäft. So hat
Amazon extra dafür eine Lizenz zum
Verkauf von Alkohol beantragt, wie
ein Schild im Fenster des neuen La-
dens bestätigt. Das Gebäude ist ein
ehemaliger Markt von Toys’R’Us und
wird zurzeit umgebaut.

Alibaba als Vorbild


In Stellenanzeigen beschreibt das Un-
ternehmen den neuen Laden als
„Amazons erstes Lebensmittelge-
schäft“. Da der Konzern ja schon die
Kette Whole Foods betreibt, könnte
das bedeuten, dass das neue Konzept
unter dem Namen „Amazon“ auftre-
ten soll. Das „Wall Street Journal“ will
erfahren haben, dass die nächsten
Läden in Chicago und Philadelphia
entstehen könnten.
Handelsexperte Täuber sieht als
mögliches Vorbild für die Amazon-
Läden das Konzept Freshippo, das
Alibaba in China betreibt. Freshippo
kombiniert ein breites frisches Ange-
bot mit umfangreichen Serviceleis-
tungen. Außerdem liefert der Laden
im Umkreis von drei Kilometern in
30 Minuten – rund um die Uhr.
„Amazon kann sich mit einem Le-
bensmittelkonzept den emotionalen
Zugang zum Kunden aufbauen“, er-
klärt Täuber die Motivation des On-
lineriesen. Gewinnen werde in die-
sem Markt aber nur, wer ein nahtlo-
ses Omnichannel-Konzept anbietet,
also ein Angebot über alle Kanäle.
Darum müsse Amazon auch seine
Off line-Kompetenz ausbauen mit ei-
genen Geschäften.
Er geht deshalb davon aus, dass
Amazon bald auch in Europa mit sta-
tionären Läden an den Start gehen
könnte. „Das ist mittelfristig eine logi-
sche Konsequenz“, so Täuber. Vo-
raussetzung dafür sei natürlich die
erfolgreiche Umsetzung der neuen
Formate in den USA.
Täuber rät der Branche, Amazons
Vorstoß sehr ernst zu nehmen.
„Wenn es seine positiven Erfahrun-
gen ausrollt und neben den städti-
schen auch ländliche Gebiete kosten-
los beliefert, könnte das kurz über
lang für die größeren Einzelhändler
gefährlich werden“, sagt er, „zumal
Amazons Kapitalkraft und Investiti-
onsbereitschaft ungezügelt sind.“

Amazon


Angriff auf Aldi und Lidl


Der US-Konzern setzt auf preiswerte Eigenmarken und neue Supermärkte.


Amazon Fresh in
Berlin: Der US-Kon-
zern startet eine Le-
bensmitteloffensive.

Hans Christian Plambeck/laif

8,


MILLIARDEN


Dollar hat Amazon in
den USA 2018 mit
Lebensmitteln im
Netz umgesetzt.

Quelle:
Edge by Ascential

Unternehmen & Märkte


1


DONNERSTAG, 14. NOVEMBER 2019, NR. 220


16

Free download pdf