Süddeutsche Zeitung - 07.11.2019

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er das Büro von Bettina Reitz be-
tritt, hat ein Problem. Und damit
sind nicht die Probleme gemeint,
die Studierende oder Professoren tagein
tagaus an ihre Chefin herantragen. Als Be-
sucher steckt man in einem anderen Kon-
flikt, einem Luxuskonflikt: Wo nur als ers-
tes hinschauen, was als erstes bestaunen
in diesem großen Büro mit der riesigen
Fensterwand im dritten Stock der Hoch-
schule für Fernsehen und Film, die alle nur
HFF nennen? Sind es die drei Oscars auf
der bodennahen Ablage? Ist es die Aus-
sicht? Ist es das Waldbild an der Wand?


Bettina Reitz fuchtelt zunächst mit dem
Staubwedel herum. „Ich habe meinen
Schreibtisch noch mal schnell abgewe-
delt“, sagt sie und lächelt. Dann beginnt sie
mit ihrer Führung – und kommt schon
bald auf die Aussicht zu sprechen: „So ei-
nen schönen und interessanten Blick hatte
ich noch nie. Man muss sich daran gewöh-
nen, weil er auch ablenkt.“ Man sieht die Al-
te Pinakothek in voller Pracht, die Wiese
davor mit all den Menschen, Daniel Hahns
Schienenbusprojekt Minna Thiel. Seit 2011
hat die HFF ihren Sitz im Kunstareal. Seit
Herbst 2015 ist Reitz Präsidentin, die erste
hauptberufliche Präsidentin. Erst kürzlich
wurde sie in ihrem Amt bestätigt, diesmal
für sechs Jahre.


Vielfältig wie die Bücher und die zur
Schau gestellte Trophäensammlung in ih-
rem Büro ist die Vita der in Frankfurt gebo-
renen Wahl-Münchnerin. Vor ihrer Zeit an
der HFF war sie Fernsehredakteurin, Pro-
duzentin, Autorin und Regisseurin, sie war

beim Hessischen Rundfunk, beim ZDF, Ge-
schäftsführerin bei der Degeto Film und
im Aufsichtsrat des Film-Fernseh-Fonds
Bayern. Von ihrer langen Zeit beim Bayeri-
schen Rundfunk, unter anderem war sie
dort Fernsehspielchefin und Fernsehdirek-

torin, zeugen die drei Oscar-Statuen, die
unterhalb der Fensterwand stehen.
Schlichte Nachbildungen freilich. Sie erin-
nern Bettina Reitz an die prämierten Filme
„Das Leben der anderen“ von Florian Hen-
ckel von Donnersmarck, „Amour“ von Mi-

chael Haneke und „Citizenfour“ von Laura
Poitras. Bei allen Produktionen war der BR
involviert. „In Deutschland ist es doch
recht ungewöhnlich, dass man einmal im
Leben als Co-Produzentin die Oscar-Freu-
de teilen kann.“ Reitz ist das drei Mal gelun-
gen. Sie fügt hinzu: „Ich werde nie wieder
sagen: once in a lifetime.“

Besonders am Herzen liegt ihr der Oscar
aus dem Jahr 2007 für „Das Leben der an-
deren“. Hat Henckel von Donnersmarck
doch mit dem Film sein Studium an der
HFF abgeschlossen. Bettina Reitz hatte sei-
nerseits den jungen Regisseur in einem Te-
lefonat nachhaltig zum Ende des Films in-
spiriert. Sagt sie zumindest. Davon zeugt
auch eine Widmung, die er ihr in ein Buch
geschrieben hat, das ebenfalls im Büro aus-
gestellt ist: „Für Bettina, der ich so viel ver-
danke (unter anderem die Szene, für die
ich am meisten gelobt werde)“, ist da zu le-
sen.
Bei der Frage, wohin der Blick als nächs-
tes wandern soll, fällt auf: Es gibt kein einzi-
ges Filmplakat im Büro der Filmfrau. „Das
mag jetzt erst mal überraschen“, erklärt
sie, „aber letztendlich auch wieder nicht.“
Es habe schlicht damit zu tun, dass sie in ih-
rer Biografie so viele Filme als besonders
und wertvoll betrachte. „Es würde mir
sehr schwer fallen, mich für einzelne zu
entscheiden.“ Um sich nach schwierigen
Entscheidungen zu entspannen, hat sie ei-
nen Liegestuhl und eine Chaiselongue in ih-
rem Büro herumstehen. Um „auch mal die
Beine hochzulegen, einen Moment die Au-
gen zuzumachen, bevor es dann gefühlt
24 Stunden durchgeht“, wie sie sagt. Inne-
re Ruhe verschafft ihr auch das Bild hinter
dem Schreibtisch, das sie zum Abschied

vom BR geschenkt bekommen habe. „Ich
bin ein Naturkind, ich komme aus dem
Taunus, wo ich in einem kleinen Ort groß
geworden bin“, erzählt die 57-Jährige. Mit
ihrem Vater sei sie früher oft im Wald spa-
zieren gegangen. Auch heute noch zieht es
sie regelmäßig in den Wald. „Die Nähe zum
Englischen Garten ist ein Privileg meiner
Wohnung in München.“
Das Porträtfoto zu diesem Text kann
freilich nicht im Wald gemacht werden.
Bettina Reitz zeigt sich flexibel, hat jedoch
einen Wunsch an den Fotografen: bitte
nicht mit dem Staubwedel in der Hand.
Nun gebe es schon mal eine Frau an der
Spitze einer Kunsthochschule, da sollte
man missverständliche Assoziationen ver-
meiden. Haltung hat sie, die Frau Reitz.

Keine Filmplakate, dafür ein Waldbild. „Ich bin ein Naturkind“, sagt Bettina Reitz, die im Taunus aufwuchs.

MÜNCHNER
CHEFZIMMER

München– DerMoment am Flughafen –
Omar Ishak sagt, das kann man nicht be-
schreiben. Das Gefühl, seine Familie wie-
derzusehen, nach vier Jahren Ungewiss-
heit.
2015 hat Omar Ishak, 40, seine Frau und
seine Kinder zum letzten Mal gesehen, zu
Hause in Syrien, wo der Bürgerkrieg tobte
und ganze Familien einfach so verschwan-
den. Geh, wenn Gott es so will, sagte seine
Frau damals. Ishak flüchtete über das
Meer in einem völlig überfüllten Schlauch-
boot, fuhr in Bussen ohne Licht über Grenz-
wege. Im Dezember 2015 erreichte er Ro-
senheim und kam in eine Flüchtlingsunter-
kunft. Von da an skypte er regelmäßig mit
seiner Familie, schrieb Whatsapp-Nach-
richten mit seiner Tochter Lin, 6 Jahre.
Sein Sohn Faroq ist vier. Sie kennen sich
nicht, Vater und Sohn.
Omar Ishak kämpfte um den Familien-
nachzug, doch das Auswärtige Amt lehnte


den Visumsantrag ab. Er könne den Le-
bensunterhalt nicht gewährleisten, die In-
tegration sei nicht gesichert. Ishak lernte
Deutsch und begann eine Ausbildung zum
Busfahrer. Er zählte die Fahrstunden bis
zur Prüfung, bis er hatte, was ihm fehlte: ei-
ne Perspektive für sich und seine Familie.

„Vielleicht kommen sie ja“, sagte er im
Sommer dieses Jahres. Da war er gerade
fertig mit der Busfahrerprüfung. Unter sei-
nem Bett sammelte er Spielsachen für sei-
ne Kinder in einer Papiertüte. Und tatsäch-

lich: Das Auswärtige Amt erteilte seiner
Frau und seinen beiden Kindern vor weni-
gen Wochen ein Visum.
Dann waren sie plötzlich da: Am 29. Ok-
tober landete Ishaks Familie in Frankfurt.
„Meine Frau hat zuerst in die falsche Rich-
tung geschaut, aber meine Tochter kam so-
fort auf mich zu gerannt“, sagt Omar Ishak.
„Und sie hat zu Faroq gesagt, das ist Papa.“
Zu viert bewohnen sie jetzt zwei Einzelzim-
mer in einer Unterkunft in Moosach. Eins
ist das Spielzimmer, im anderen schlafen
sie gemeinsam. „Ich will nicht, dass meine
Kinder alleine schlafen“, sagt Ishak. Er
strich die Wände, putzte die Fenster, kauf-
te einen Teppich, einen bunten. Jetzt be-
ginnt das Leben als Familie, das sie mal hat-
ten und das jetzt so anders sein wird. Lin
muss in eine neue Schule, Ishaks Frau
sucht Arbeit. Und Omar Ishak fährt mit
dem Bus durch München, Linie 170. Er
zählt jetzt keine Fahrstunden mehr. 


Film ist ihre Welt –
ob alsPräsidentin der
Münchner Filmhochschule oder
davor als Fernsehdirektorin des
Bayerischen Rundfunks.
Als Co-Produzentin hat Bettina
Reitz drei Oscars gewonnen. Ihr
Büro mit Blick auf die Alte
Pinakothek ist voller Preise,
Bücher und Erinnerungsstücke.
Und wenn sie sich mal ausruhen
muss, steht eine Chaiselongue
bereit.FOTOS: ROBERT HAAS

Haltung zeigen im Liegestuhl


Mit diesemWintersemester beginnt die zweite Amtszeit von Bettina Reitz als Präsidentin der Hochschule für Fernsehen und Film München.
Von ihrem Schreibtisch aus kann sie auf die Alte Pinakothek blicken – oder auf die drei Oscar-Statuen, die sie als Co-Produzentin gewonnen hat

Im Sommer 2017 feierte man in der
Hochschule für Fernsehen und Film
ein rauschendes Jubiläum mit Gala
und Retrospektive. Die HFF wurde
50 Jahre alt. Gegründet wurde sie be-
reits 1966, der Lehrbetrieb begann


  1. Zunächst in einer Villa in der Max-
    vorstadt beheimatet, dann in einer
    ehemaligen Bettfedernfabrik in Ober-
    giesing, bekam sie 2011 ihr derzeiti-
    ges, modernes Zuhause am Bernd-
    Eichinger-Platz im Kunstareal. Der Na-
    mensgeber hatte in den Siebzigerjah-
    ren an der HFF Regie studiert. Weitere
    Prominente unter den mehr als
    1800 Absolventen sind Caroline Link,
    Doris Dörrie, Florian Henckel von Don-
    nersmarck, Wim Wenders und Roland
    Emmerich. Etwa 4000 Filme sind in
    50 Jahren entstanden. Das Lehrange-
    bot unter der Präsidentin Bettina Reitz
    reicht von Creative Writing über Fern-
    sehjournalismus bis zur Werbung. BLÖ


Ein Besuch beiBettina Reitz
von der Hochschule
für Fernsehen und Film
SZ-Serie · Folge 18

Zählt keine Fahrstunden mehr: Omar Ishak in der Linie 170 FOTO: CORINNA GUTHKNECHT

Die drei CSU-PolitikerAloisGlück,Johan-
nesSinghammerundChrista Stewenser-
halten eine der höchsten päpstlichen Aus-
zeichnungen für Laien. Der Münchner Kar-
dinal Reinhard Marx wird ihnen am 10. No-
vember in München den Gregoriusorden,
der 1831 von Papst Gregor XVI. gestiftet
wurde, überreichen. Glück war bayeri-
scher Landtagspräsident und danach Vor-
sitzender des Zentralkomitees der deut-
schen Katholiken. Singhammer wirkte als
Vizepräsident des Deutschen Bundestags
und Stewens als bayerische Sozialministe-
rin. Insgesamt werden an diesem Tag 13
Frauen und Männer aus dem Erzbistum
München und Freising geehrt. Weitere Aus-
zeichnungen erhalten unter anderemJoa-
chim Unterländer(CSU), Ex-Landtagsab-
geordneter und jetzt Vorsitzender des Lan-
deskomitees der Katholiken in Bayern,
Max Bertl, Landesvorsitzender des Bayeri-
schen Trachtenverbands, sowie die Ex-
LandtagsabgeordneteHildegard Krona-
witter(SPD). 

WAS WURDE AUS...


„Das ist Papa“


Omar Ishakflüchtete 2015 von Syrien nach Deutschland. In München wurde er Busfahrer – erst dann erteilte das Auswärtige Amt seiner Familie ein Visum


LEUTE DES TAGES


Besondersam Herzen liegt ihr
der Oscar für den Film
„Das Leben der anderen“

... dem Busfahrer, der seine
Familie aus Syrien
nachholen wollte?

HFF


R6 (^) LEUTE Donnerstag, 7. November 2019, Nr. 257 DEFGH

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