Handelsblatt - 07.11.2019

(Darren Dugan) #1
Ursula von der Leyen: Die künftige
Chefin der EU-Kommission kämpft um
ihren Antrittstermin.

AFP

Ursula von der Leyen


Nervenkrieg um


EU-Kommissare


BRÜSSEL Ursula von
der Leyen läuft die Zeit
davon. Das Ziel der
61-Jährigen, am 1. De-
zember den Vorsitz
der EU-Kommission zu
übernehmen, wird im-
mer unwägbarer. Vor
allem in London hakt
es: Am Mittwoch hat
die CDU-Politikerin
und ehemalige deut-
sche Verteidigungsmi-
nisterin den britischen
Premierminister Boris
Johnson in einem Brief
gedrängt, rasch einen
Kandidaten vorzu-
schlagen.
Die Nominierung ist
nötig geworden, weil
der EU-Austritt Groß-
britanniens verscho-
ben wurde.
Die rumänische Regie-
rung hat inzwischen
mit Adina Valean und


Siegfried Muresan
zwei neue Namen
nach Brüssel ge-
schickt. Die vorherige
Kandidatin hatte das
EU-Parlament wegen
eines Interessenkon-
flikts gestoppt.
Die Nachnominierten
aus Großbritannien,
Rumänien, Frankreich
und Ungarn müssen
noch vom Parlament
geprüft werden, was
zusätzliche Zeit kostet.
Sollte sich der Start
der Kommission er-
neut verzögern, wäre
der 1. Januar als Stich-
tag denkbar – von der
Leyen hält jedoch am


  1. Dezember fest. Ur-
    sprünglich hatte sie
    die Nachfolge von
    Jean-Claude Juncker
    schon am 1. November
    antreten sollen. HB


Annett Meiritz Washington

V


iele demokratische Präsident-
schaftsbewerber drängen im US-
Wahlkampf auf einen Neustart,
ganz so, als könne man die Ära
Donald Trump einfach wegwi-
schen. Nicht so Pete Buttigieg, Bürgermeister
der kleineren Stadt South Bend im Mittleren
Westen der USA. „Ich bitte euch, darüber
nachzudenken, wie es am Tag nach der Wahl
sein wird“, sagte er kürzlich vor Anhängern.
„Unser Land wird noch gespaltener sein als
heute, die Nation wird erschöpft sein vom
Kämpfen.“
Es ist genau diese Portion Realismus, die
das Publikum aufhorchen lässt, wenn Butti-
gieg spricht. Der 37-Jährige steht für den po-
litischen Nachwuchs der Partei und beein-
druckt mit starker Bühnenpräsenz. Im kom-
menden Jahr wollen die Demokraten einen
Trump-Herausforderer nominieren. Buttigieg
fährt mittlerweile Umfragewerte ein, die ihm
anfangs kaum jemand zugetraut hätte.
Er ist nicht nur der erste schwule Präsi-
dentschaftsbewerber der Demokraten, son-
dern auch der jüngste der 17 verbliebenen
Kandidaten. Zum Start seiner Kampagne
konnte mit seinem Namen kaum jemand et-
was anfangen – geschweige denn, ihn aus-
sprechen. Auf Twitter gibt Buttigieg Nachhil-
fe: „Boot-edge-edge“ lautet die englische
Lautsprache. Sein Nachname stammt aus
Malta, wie sein Vater, der erst vor wenigen
Monaten verstarb. Der Einfachheit halber
nennen ihn seine Anhänger „Mayor Pete“,
Bürgermeister Pete, was ihm das Image des
netten Typen von nebenan verleiht.
Auch sonst gelingt es Buttigieg, aus ver-
meintlichen Schwächen Stärken zu zaubern.
So inszeniert er sich als Vorreiter eines Gene-
rationswechsels, und das trifft einen Nerv:
Sowohl der US-Präsident als auch die drei de-
mokratischen Favoriten Joe Biden, Elizabeth
Warren und Bernie Sanders sind über 70 Jah-
re alt. Im US-Bundesstaat Iowa, der im Febru-
ar frühe Vorwahlen abhält, kämpfte sich But-
tigieg auf die Spitzenplätze der Beliebtheit
vor. In nationalen Umfragen rangiert er zwar
weiter hinten, auch in der Wählergruppe der
Afroamerikaner ist er bedeutungslos. Aber
selbst wenn es am Ende nicht für die eigene
Kandidatur reichen sollte, empfiehlt sich But-
tigieg mit seiner Kampagne für einen hohen
Posten im Schattenkabinett des letztlich sieg-
reichen demokratischen Kandidaten.
Buttigieg will Einkommensunterschiede
bekämpfen, Umweltschutz und Gewerkschaf-
ten stärken, Waffenkontrollen ausweiten. Er
wirkt frischer als Joe Biden, und er trägt
kaum politische Altlasten mit sich herum. Zu-
gleich sind seine Ideen weniger radikal als die
der Parteilinken Warren, die für eine kom-
plett staatliche Krankenversicherung eintritt
und für die Zerschlagung von Tech-Konzer-
nen wirbt. Buttigieg tritt als Pragmatiker auf
und verspricht „echte Lösungen, nicht mehr
Polarisierung“. Langweilig kommt er trotz-
dem nicht rüber, allein schon durch seine
Biografie. Nach seinem Studium der Ge-
schichte und Literatur an der Eliteuni Har-
vard arbeitete er unter anderem als McKin-

sey-Berater und ehrenamtlich für die Präsi-
dentschaftskampagnen von John Kerry und
Obama. Seit 2011 ist er Bürgermeister von
South Bend, mitten im republikanisch ge-
prägten Bundesstaat Indiana.
2014 ließ er sich von seinem Amt beurlau-
ben, um als Geheimdienstoffizier nach Afgha-
nistan zu gehen. Buttigieg spricht Norwe-
gisch und Arabisch, spielt Gitarre und Kla-
vier, und er ist verheiratet mit Chasten
Buttigieg, einem Lehrer, den er über eine Da-
ting-App kennen lernte. Es habe Zeiten in sei-
nem Leben gegeben, „in denen ich das, was
mich schwul gemacht hat, mit dem Messer
hätte rausschneiden wollen“, sagt der Demo-
krat über sein jahrelanges Hadern mit seiner
Sexualität. Heute spricht er selbstbewusst
über seine Ehe – und nutzt seine Erfahrun-
gen, um im Wahlkampf seine persönliche Be-
ziehung zu Gott zu veranschaulichen.
„Ich wünsche mir, dass die Mike Pences
dieser Welt eines verstehen“, sagte Buttigieg
in Anspielung auf Trumps Vizepräsidenten,
der die gleichgeschlechtliche Ehe ablehnt:
„Wenn du ein Problem damit hast, wer ich
bin, dann musst du dich an Gott, unseren
Schöpfer, wenden.“

Pete Buttigieg


Die Stimme des


jungen Amerika


Die prominentesten demokratischen Präsidentschaftsbewerber sind


jenseits der 70. Doch in Iowa liegt ein 37-Jähriger vorn.


Pete Buttigieg:
Erster schwuler
Präsident-
schaftsbewerber
der Demokraten.

AFP

Wenn du ein


Problem


damit hast,


wer ich bin,


dann musst du


dich an Gott,


unseren


Schöpfer,


wenden.


Pete Buttigieg
demokratischer
Bewerber um die
Präsidentschafts -
kandidatur

Pierre Krähenbühl


UN-Funktionär im


Korruptionssumpf


GENF Korruptions-
skandal bei den Ver-
einten Nationen: Der
Chef des Hilfswerks
für palästinensische
Flüchtlinge, Pierre
Krähenbühl, muss
sein Amt ruhen lassen,
wie es offiziell heißt.
Eine Rückkehr des
53-jährigen Schweizer
Politologen als Gene-
ralkommissar des
UNRWA gilt jedoch als
ausgeschlossen.
Der dreifache Vater, so
heißt es in einem UN-
Ermittlerreport, habe
seiner Geliebten einen
lukrativen Job beim
UNRWA zugeschanzt.
Zudem entdeckten die
Inspektoren auf der
UNRWA-Führungebe-


ne sexuelles Fehlver-
halten, Diskriminie-
rung und Machtmiss-
brauch.
Als Interimslösung be-
traute UN-Generalse-
kretär António Guter-
res den Briten Christi-
an Saunders mit der
Führung der Instituti-
on, die 5,5 Millionen
Palästinenser unter-
stützt. Die Affäre trifft
die UN in unruhigen
Zeiten. Zum einen
schwelt eine Finanz-
krise, zum anderen
steuert das wichtigste
Mitglied, die USA un-
ter Präsident Donald
Trump, einen offenen
Konfrontationskurs ge-
gen die UN.
Jan Dirk Herbermann

Namen


des Tages


DONNERSTAG, 7. NOVEMBER 2019, NR. 215
54

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