Der Spiegel - 09.11.2019

(Jacob Rumans) #1

D


er »Hoffnungsträger für unser
Land«, den der Eröffnungsredner an-
gekündigt hat, will direkt ein Miss-
verständnis ausräumen. »Wenn ich in die-
sem Zusammenhang das ein oder andere
kritisch sage, vorgestern, gestern und auch
heute Abend, dann ist das keine Kritik an
Personen«, sagte Friedrich Merz vor rund
800 Zuschauern im Frankfurter Palmengar-
ten. Man müsse sich »endlich mal wieder
angewöhnen, dass eine Kritik an Sach -
fragen keine Personalkritik ist und eine Kri-
tik an Personen kein Putschversuch ist«.
Merz hatte in der vergangenen Woche
die »Untätigkeit und die mangelnde Füh-
rung« Angela Merkels beklagt, die sich
wie ein Nebelteppich über das Land gelegt
hätten. Manch einer war vermutlich auf
die Idee gekommen, dass sei als Angriff
auf die Kanzlerin gemeint gewesen. Auch
seine Aussage, CDU-Chefin Annegret
Kramp-Karrenbauer sei »nicht die Einzi-
ge«, die Kritik verdiene, wurde – für Merz
offenbar überraschend – als Tadel für die
CDU-Chefin interpretiert.
Nachdem er diese Fehldeutungen also
richtiggestellt hatte, entwarf er auf der Ver-
anstaltung der hessischen Mittelstands -
union eine Art Regierungsprogramm für
das 21. Jahrhundert. Es ging um nichts we-
niger als die »richtigen Antworten für die
Stabilität der Bundesrepublik Deutsch-
land, für die Zukunft der Europäischen
Union, für die Gleichgewichtigkeit, die Eu-
ropäische Union auf gleicher Augenhöhe
mit Amerika und China stehen zu lassen«.
Wem er diese zutraut, musste er seinen be-
geisterten Zuhörern nicht erläutern.
Friedrich Merz ist zwei Wochen vor
dem CDU-Bundesparteitag wieder zurück
auf der großen politischen Bühne. Eigent-
lich wollten die Christdemokraten auf die-
sem Parteitag über die »Zukunftsthemen
Digitalisierung und Stärkung unserer So-
zialen Marktwirtschaft« diskutieren, wie
es in der Einladung heißt. Die Parteivor-
sitzende Annegret Kramp-Karrenbauer
hätte sich damit gern inhaltlich profiliert.
Daraus wird wohl nichts. Die Debatte
wird stattfinden, aber nicht so, wie Kramp-
Karrenbauer sich das vorgestellt hat. Das
eigentliche Zukunftsthema wird lauten:
Wer soll die Partei in die nächste Wahl
führen?
In der CDU ist nach der verlorenen Thü-
ringenwahl eine Personaldebatte ent-
brannt, die in dieser Heftigkeit niemand


erwartet hatte. Die CDU habe eine offene
Führungsfrage, sagte der Vorsitzende der
Jungen Union, Tilman Kuban, nach der
Wahl in Thüringen. Wer auch immer mei-
ne, die Frage der Kanzlerkandidatur müs-
se jetzt geklärt werden, habe auf diesem
Bundesparteitag die Gelegenheit, konterte
Kramp-Karrenbauer.
Die Delegierten erwartet in Leipzig die
Wiederaufführung eines Schauspiels, das
vor ziemlich genau einem Jahr Premiere
hatte: Merz gegen Kramp-Karrenbauer,
die alte Anti-Merkel-CDU gegen die Ver-
traute der Kanzlerin. Damals ging es um
den Parteivorsitz. Kramp-Karrenbauer lag
mit 35 Stimmen vorn.
Merz kann Niederlagen nur schwer ak-
zeptieren. Er hat bis heute nicht überwun-
den, dass er vor 17 Jahren Merkel im
Kampf um den Fraktionsvorsitz weichen
musste. Genauso wenig scheint er damit
im Reinen zu sein, dass er im vergangenen
Jahr den zum Greifen nahe scheinenden
Parteivorsitz nicht erobert hat.
Jetzt sieht er seine Chance gekommen,
auch wenn er das öffentlich bestreitet. »Es
hat ein Ergebnis gegeben, und das Ergeb-
nis steht«, sagte er in Frankfurt. Zugleich
weiß Merz, dass seine Anhänger das Er-
gebnis der Vorsitzendenwahl revidieren
möchten, von der Jungen Union bis hin
zum konservativen Berliner Kreis. Die Fra-
ge ist, ob den Rebellen das auf dem Par-
teitag wirklich gelingen kann.
Ein kurzes Gespräch mit Friedrich Merz
am Rande seines Auftritts. Er müsse noch
mit Frau Kramp-Karrenbauer klären,

wann und wie er reden werde, sagt Merz.
Er habe ihr auch vorher Bescheid gesagt,
dass er auftreten wolle, das sei keine Über-
raschung für sie gewesen. »Fahren Sie es
ein bisschen runter«, lautet sein Tipp an
die Journalisten.
Auf dem Parteitag wird nur eine Perso-
nalfrage offiziell entschieden. Eine stell-
vertretende Parteichefin wird gewählt,
weil sich die künftige EU-Kommissions-
präsidentin Ursula von der Leyen aus die-
sem Amt zurückzieht. Die Wahl der nie-
dersächsischen Bundestagsabgeordneten
Silvia Breher gilt als sicher.
Doch die Frage der Kanzlerkandidatur
wird in Leipzig über allem schweben. Dass
die Trennung von Parteivorsitz und Kanz-
leramt schwierig ist und eine Ausnahme
bleiben soll, hat Kramp-Karrenbauer klar-
gestellt. Ihre Botschaft lautet: Wer Partei-
vorsitzende ist, muss auch Kanzlerkandi-
datin werden. Aber die Sache lässt sich na-
türlich auch andersherum drehen: Wer
Kanzlerkandidat wird, braucht auch den
Parteivorsitz.
Die Anhänger von Merz hoffen, dass
der Parteitag zumindest eine Vorentschei-
dung in dieser Frage bringen könnte. Merz
solle, so die Idee, eine große Rede halten,
die den Delegierten klarmacht, dass sie
im vergangenen Jahr auf die Falsche ge-
setzt haben. Die Junge Union hat für den
Parteitag einen Antrag auf Urwahl des
Kanzlerkandidaten angekündigt. Merz
und seine Unterstützer glauben, dass er
an der Basis eine große Mehrheit hinter
sich hätte.
Merz findet die Idee einer Urwahl mal
mehr, mal weniger gut. Auf einer Veran-
staltung der »Passauer Neuen Presse« sag-
te er am Donnerstagabend, er sei gegen
eine Mitgliederbefragung. In einem am sel-
ben Tag veröffentlichten Interview der Zei-
tung zeigte er sich dagegen offen für ein
solches Vorgehen: »Die Basis an zukünfti-
gen Personal- und Sachentscheidungen zu
beteiligen ist immer eine gute Idee.«
Es ist nicht ausgeschlossen, gilt aber als
unwahrscheinlich, dass der Antrag der Jun-
gen Union angenommen wird. Die CSU
hat sich bereits gegen eine Urwahl ausge-
sprochen. Traditionell einigen sich die Vor-
sitzenden von CDU und CSU auf einen
Kandidaten. Zuletzt gab es bei der Kandi-
datur von Franz Josef Strauß eine Abstim-
mung in der Fraktion. Kramp-Karrenbau-
er und CSU-Chef Markus Söder haben
schon klargestellt, dass sie an der üblichen
Praxis festhalten wollen.
Dass Merz nach der Kanzlerkandidatur
strebt, daraus macht er kaum noch einen
Hehl. Als ihn in Passau ein Zuhörer fragt,
ob er denn Kanzler werde, antwortet er:
»Ich fühle mich ermutigt.«

* Mit Bundeskanzlerin Angela Merkel im Sitzungssaal
der Unionsfraktion.

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Deutschland

Der Wiedergänger


UnionFriedrich Merz plant auf dem CDU-Parteitag einen großen
Auftritt. Seine Anhänger jubeln über seine Angriffe auf die

Kanzlerin. Doch es sieht so aus, als könnte er sich mal wieder verzocken.


FLORIAN GAERTNER / PHOTOTHEK.NET / IMAGO-IMAGES
CDU-Chefin Kramp-Karrenbauer*
Wer soll die Partei führen?
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