Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung - 20.10.2019

(Barré) #1

FRANKFURTER ALLGEMEINE SONNTAGSZEITUNG, 20. OKTOBER 2019, NR. 42 wirtschaft 27


R


ichtig gut war das Image noch
nie. „Saftschubse“ werden die
Flugbegleiterinnen manchmal
verächtlich genannt. Dabei ist
das Servieren von Getränken an Bord
nur ein kleiner Teil ihrer Arbeit. Sie küm-
mern sich auch um die Sicherheit in der
Kabine; bei jedem Flug, aber auch im
Notfall. Seit den Terroranschlägen vom



  1. September 2001 in New York suchen
    sie auch nach Waffen und Bomben an
    Bord, sie haben sogar gelernt, wie sie auf-
    müpfige Passagiere fesseln können. Sie
    haben eine medizinische Grundausbil-
    dung und sind manchmal Seelentröster,
    wenn Kleinkinder wegen Druck im Ohr
    weinen und Erwachsene unter Flugangst
    leiden.
    Gut bezahlt werden sie nicht. Und des-
    wegen treten sie heute in einen Warn-
    streik. Der ursprünglich geplante Aus-
    stand der Lufthansa-Flugbegleiter ist
    zwar abgesagt, weil die Fluglinie die Ge-
    haltsforderung erfüllte. Dafür werden
    die Lufthansa-Tochtergesellschaften Eu-
    rowings, Germanwings, Lufthansa City-
    line und der deutsche Teil des Ferienflie-
    gers Sun Express streiken. Rund 3500
    Flugbegleiter arbeiten dort. Es wird ein
    kurzer, aber massiver Streik: von fünf bis
    elf Uhr morgens, an allen Standorten in
    Deutschland. Passagiere müssen mit sehr
    vielen Flugstreichungen rechnen. Je
    nach Fluggesellschaft geht es um eine
    bessere Altersvorsorge, attraktivere Teil-
    zeitregelungen oder um mehr Gehalt.
    Nur etwa 1800 Euro brutto plus Zula-
    gen beträgt das Einstiegsgehalt bei Luft-
    hansa, bei den Tochtergesellschaften
    sind es 10 bis 20 Prozent weniger. Die we-
    nigsten Flugbegleiter machen die Arbeit,
    weil sie viel Geld verdienen wollen. Aber
    was ist dann die Motivation, Flugbeglei-
    ter zu werden? Und ist die Tätigkeit
    noch der Beruf, von dem vor allem jünge-
    re Mädchen früher immer träumten?
    Fast 50 000 Flugbegleiter gibt es in
    Deutschland, fast die Hälfte davon flie-
    gen für die Kernmarke Lufthansa. Die


Zahl wächst, obwohl in den Flugzeugen
meist nur noch die minimal vorgeschrie-
bene Zahl von Flugbegleitern arbeitet.
Denn der Luftverkehr nimmt insgesamt
zu. Wer die Stewardessen fragt, warum
sie die Arbeit machen, bekommt oft die
gleichen Antworten: „Es gibt wohl kaum
einen Beruf, in dem man in kurzer Zeit
so viele Gegenden der Welt kennenler-
nen kann“, sagt zum Beispiel Sylvia de la
Cruz, die seit 20 Jahren für die Condor
fliegt und Vorstandsvorsitzende der Ge-
werkschaft Ufo ist, die den Streik organi-
siert. Bei exotischen Zielen hat die Besat-
zung noch immer manchmal zwei bis
drei Tage Aufenthalt, bevor es zurück-
geht. Das ist kürzer als früher, weil die
Ziele häufiger angeflogen werden. So ist
die Pause in New York zum Beispiel auf
einen Tag zusammengeschrumpft.
Trotz allem reicht das, um ein altes
Klischee weiter möglich zu machen.
Nach dem Flug genießen Piloten und
Flugbegleiter die Pause vor Ort, um ge-
meinsam Ausflüge zu machen und
abends feiern zu gehen. Manchmal ent-
stehen dabei kürzere oder längere Liebes-
beziehungen, zunehmend auch unter
den Flugbegleitern, denn der Männeran-
teil steigt. Waren es bisher vor allem ho-
mosexuelle Bewerber, steigt jetzt auch
der Anteil heterosexueller Stewards.
Auch zwischen Flugbegleitern und Passa-
gieren gibt es Liebeleien.
Zweites Argument für den Job sind
die vielen Vergünstigungen. Noch im-
mer fliegen die Flugbegleiter und ihre
Partner, Eltern und Kinder privat zu
günstigen Preisen. Allerdings ist der
Preisvorteil geschrumpft, weil die Ti-
ckets insgesamt günstiger geworden sind.
„Manchmal ist ein reguläres Ticket gar
nicht mehr viel teurer als unser rabattier-
tes“, sagt de la Cruz. Geschwister dürfen
nun oft gar nicht mehr verbilligt fliegen.
Sehr geschätzt werden auch immer
noch die hohe Flexibilität und die vielen
Freiheiten, die der Beruf bietet. Es gibt
sehr viele Teilzeitmodelle, und man kann

sichdie Flüge sehr flexibel einteilen, etwa
nur am Wochenende arbeiten. Das ist für
diejenigen interessant, die Flugbegleiter
nicht als Vollzeitjob machen. Etwa 70 Pro-
zent sind das, schätzt Ufo. Viele studieren
und finanzieren so ihre Ausbildung oder
passen auf ihre Kinder auf. Manche sind
selbständig, arbeiten als Zahnärztin, An-
wältin, Fotografin oder betreiben einen
Laden. Die Fliegerei ist dann eine will-
kommene Abwechslung zum Alltag. Die
kommt nicht nur durch ferne Ziele, son-
dern auch durch eine immer neue Zusam-
mensetzung der Flugzeugcrew.
Die Teilzeitmodelle sind in den ver-
gangenen Jahren sogar noch ausgebaut
worden. Die Freiheiten und die vergüns-
tigten Flugtickets führen zu ganz unge-
wöhnlichen Fernpendelverkehren. Etwa
ein Drittel lebt nicht an den Abflugsor-
ten. Sie reisen täglich an – mit dem Flug-
zeug. Sie wohnen vor allem in Berlin
und Hamburg, starten aber in Frankfurt.
Andere leben sogar im nahen Ausland,
etwa in Wien. Ein Lebensmodell, das so
nur die Fliegerei ermöglicht.
Vieles hat sich allerdings in den ver-
gangenen Jahren auch verschlechtert.
Das Aufkommen der Billigflieger hatte
zwei Folgen: Mehr Flugbegleiter fliegen
nun Kurz- und Mittelstrecke, bei denen
die Aufenthaltszeiten am Ziel kurz sind.
Das nimmt den Charme für reisefreudi-
ge Flugbegleiter, erleichtert aber das Le-
ben für Mütter und Väter. Auch der Kos-
tendruck ist gestiegen. Das limitiert die
Gehaltsperspektiven und erhöht die Be-
lastung an Bord. Mehr Passagiere sind
pro Flugzeug zu bedienen, die Aufgaben
sind durch mehr Sicherheitsanforderun-
gen und Service gestiegen. Und die Pas-
sagiere seien schwieriger geworden, er-
zählt Sylvia de la Cruz: „Durch die Glo-
balisierung prallen mehr verschiedene
Kulturen aufeinander als früher. Es ist en-
ger im Flugzeug und die Fluggäste be-
nehmen sich schlechter, es ist mehr Alko-
hol als früher im Spiel.“ Zum Glück hat
sie das Fesseln gelernt.

Heute zwischen fünf und elf Uhr wollen die Stewardessen von Eurowings streiken. Foto Reuters


N

un passiert es tatsächlich: Ber-
lins Mieten werden nicht nur
gebremst, sondern gedeckelt.
Am Freitagabend haben SPD, Linke
und Grüne ihren Streit geschlichtet –
Mieter und Vermieter können sich
jetzt darauf einstellen, was zum Jahres-
wechsel auf sie zukommt. Unsicher
ist im Moment vor allem, ob das Ver-
fassungsgericht die Regelung noch
kippt. Relativ sicher ist dagegen, dass
die meisten anderen Städte so eine Re-
gelung nicht einführen werden. Auch
wenn mancher Oberbürgermeister da-
mit liebäugelt – er müsste seine Lan-
desregierung überzeugen. Hamburgs
Erster Bürgermeister Peter Tschent-
scher ist dagegen. „Enteignungen
und Mietenstopp führen nicht zu
mehr Wohnraum, sondern untergra-
ben die Investitionsbereitschaft für
den Mietwohnungsbau“, sagte er der
F.A.S. und verwies darauf, dass die
Hamburger Bauoffensive den Mietan-
stieg in der Hansestadt deutlich ge-
bremst habe.

Diese Mieten dürfen nicht
mehr steigen
Wenn ein Haus oder eine Wohnung
spätestens am 31. Dezember 2013 be-
zugsfertig geworden ist, darf die Kalt-
miete nicht mehr erhöht werden.
Obergrenze ist dann der Betrag, der
am 18. Juni 2019 galt, also dem Tag, an
dem der Senat sein Vorhaben bekannt-
machte. Das betrifft selbst die Mietver-
träge, in denen Erhöhungen von vorn-
herein vorgesehen sind, sei es durch
fest vorgesehene Beträge oder durch
die Koppelung an einen Index. Der
harte Deckel gilt bis 2021. Von 2022 an
soll ein Inflationsausgleich möglich
sein, dann sind Mieterhöhungen um
1,3 Prozent im Jahr erlaubt.

Diese Mieten müssen sinken
Zusätzlich zum Verbot, Mieten zu er-
höhen, sollen Obergrenzen für die
Miete gelten, die von Baujahr und Aus-
stattung der Wohnung abhängen. Die
Beträge stehen noch nicht fest, sie sol-
len sich aber am Mietspiegel von 2013
orientieren und für die Zwischenzeit
eine Steigerung von 13,5 Prozent vorse-
hen. Das wären für Altbauwohnungen
mit Baujahr vor 1918 im Normalfall
Quadratmetermieten ab 3,48 Euro, mo-
dernere Wohnungen aus den Jahren

bis 2013 könnten dann bis zu 10,20
Euro je Quadratmeter kosten. Wenn
die Miete weit darüber liegt, gilt sie als
sogenannte „Wuchermiete“. Ange-
dacht sind 20 Prozent Spielraum, aller-
dings sind Zu- und Abschläge auf Ba-
sis der Wohnlage möglich, auch Ein-
und Zweifamilienhäuser dürfen teurer
sein. Das heißt: So manche kürzlich
vereinbarte Miete dürfte als Wucher-
miete gelten, immerhin wurden Berli-
ner Wohnungen im vergangenen Jahr
für durchschnittlich 11,09 Euro je Qua-
dratmeter angeboten. Dass Mieten auf
30 Prozent des Mietereinkommens be-
grenzt würden, ist nicht mehr Teil der
Pläne. Wichtig: Die Mieter müssen
die Senkung bei den Behörden bean-
tragen – abhängig vom Arbeitstempo
der Verwaltung kann die Bearbeitung
dauern. Ohnehin gilt die gesamte Sen-
kungsregelung erst neun Monate nach
Inkrafttreten des Mietendeckels, also
von Herbst 2020 an.

So können Mieten noch
erhöht werden
Mieterhöhungen sind erlaubt, wenn
die Wohnung modernisiert worden
ist, um sie barrierefrei zu machen oder
das Klima zu schützen. Dann darf die
Miete um bis zu einen Euro je Qua-
dratmeter steigen. Wenn die Moderni-
sierung mehr kostet, als die Mieterhö-
hung einbringt, sollen Vermieter För-
dergeld bekommen. Gut haben es die
Vermieter von Häusern und Wohnun-
gen mit Baujahren von 2014 an: Für sie
gilt der Mietendeckel nicht, sie kön-
nen ihre Miete weiter im Rahmen der
bisher gültigen Regeln erhöhen.

Das gilt für neue Mietverträge
Auch wenn Vermieter einen neuen
Mieter bekommen, dürfen sie nicht
mehr Miete verlangen als am 18. Juni


  1. War die Wohnung auch an die-
    sem Stichtag nicht vermietet, wird statt-
    dessen die letzte vorige Miete zur Ober-
    grenze. Für Neuvermietungen gelten
    strengere Höchstmieten als für laufen-
    de Mietverträge: Dann wirken nämlich
    die genannten Mietobergrenzen ganz
    ohne den 20–Prozent-Spielraum. Falls
    die Miete bisher aber unter 5 Euro je
    Quadratmieter liegt, darf sie für den
    nächsten Mieter um einen Euro stei-
    gen – das kommt vor allem bei Woh-
    nungsgenossenschaften vor. bern.


Heute streiken die


Flugbegleiter von


Eurowings & Co.


Vom einstigen Glanz


des Berufs ist vieles


verschwunden.


Von Dyrk Scherff


Ryanair-Stewardessen haben es schwerer als
Kolleginnen deutscher Fluglinien. Foto Imago

Für jedes Häuschen ein Deckelchen: Vom nächsten Jahr an gilt in der Hauptstadt ein
Mietendeckel. Foto Jens Gyarmaty

Gut gelaunt, schlecht bezahlt


So funktioniert


der Mietendeckel


Berlin friert Mieten ein. Aber nicht alle


AchtzehnJahrehatsiegeschwiegen-bisderAlbtraum
erneutbeginnt...EinejungePolizistin.EinKriminal-
hauptkommissarkurzvorderPensionierung.Nichtsverbin-
detsie-außerdemnieaufgeklärtenMordaneinemjungen
Mädchen.FürihnisteseinColdCase,derihnbisheute

nichtloslässt.Fürsie:einAlptraumihrerKindheit.Dennsie
fanddamalsdieLeicheundverbirgtseithereinfurchtbares
Geheimnis.AchtzehnJahrehatsiegeschwiegen–bisein
weiteresVerbrechengeschiehtunddieVergangenheitsie
einholt.

Totenweg – der Elbmarsch-Krimi

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