FRANKFURTER ALLGEMEINE SONNTAGSZEITUNG
Beruf&chance (^) 20. OKTOBER 2019 NR. 42 SEITE 47
E
in Mittwochabend: Wir sind von
Berlin nach Bali geflogen und
wollen jetzt im Hotel den Jetlag
ausschlafen. In Bali ist es 23.30
Uhr, daheim in Deutschland 17.30 Uhr.
Das Telefon klingelt. Auf dem Display er-
scheint eine Bonner Nummer, die ich
nicht kenne. Wer kann das sein? Ich habe
meinen Urlaub gut vorbereitet: Ich bin
Freiberuflerin und habe allen wichtigen
Kunden und Kollegen mitgeteilt, dass ich
in Asien unterwegs und nur im Notfall er-
reichbar bin. Erstens: In Indonesien anzu-
rufen und angerufen zu werden, kostet –
in meinem Tarif bis zu 2,49 Euro pro Mi-
nute. Auch mobiles Internet ist sündhaft
teuer. Eine SMS schlägt mit 0,39 Euro zu
Buche. Das geht, aber ich will – zweitens
- meine Ruhe haben. Einmal am Tag im
W-Lan des Hotels die Mails zu checken,
das ist der Plan.
Der Berliner Trainer Valentin Nowot-
ny findet ihn gut. „Man braucht beide
Modi – aktiv sein und sich zurücklehnen
und gar nichts machen“, sagt der Psycho-
loge. Dass gute Leistungen nur erbringen
kann, wer sich zwischendurch erholt, ist
eine Binsenweisheit. Nowotny verweist
außerdem auf die stille Stunde, ein Be-
griff aus dem Zeitmanagement. Sie ist da-
für gedacht, ungestört konzeptionell zu
arbeiten. Um mal einen Blick fürs große
Ganze zu bekommen, soll man aus dem
Hamsterrad aussteigen. Ich will in Asien
nicht konzeptionell arbeiten. Aber ich
denke im Urlaub gerne grundsätzlich
über das Leben nach. Mein Lebensgefähr-
te hat einen Beruf, in dem er viel reden
muss. Auch er braucht das: auf einen See
oder das Meer schauen, ohne dass das Te-
lefon klingelt. Daheim ist er genervt,
wenn ich in der Freizeit immer wieder
Mails abrufe, Nachrichtenportale ankli-
cke. Wir haben uns geeinigt, jedes Jahr
drei Wochen Urlaub am Stück zu ma-
chen – Digitalfasten inklusive.
Wenn ein wichtiger Anruf kommt,
gehe ich allerdings ran – so wie vor drei
Jahren. Ich saß in Nordschweden vor ei-
nem Ferienhäuschen, 40 Kilometer vom
nächsten Ort entfernt, schaute auf den
See, als ein Anruf von einem Kollegen
kam, der gut bezahlte Aufträge für die Zu-
kunft versprach. Zum Glück habe ich
den genervten Blick meines Lebensge-
fährten ignoriert und mit dem Kollegen
gesprochen. In Indonesien will ich gar
nicht ans Telefon gehen. Wer etwas von
mir will, kann mailen. Doch welcher An-
rufer aus Bonn will jetzt was von mir? Ist
es der Verband, dem ich vor dem Urlaub
eine Anfrage gestellt hatte, die unbeant-
wortet blieb? Ich schreibe eine Mail und
frage nach. Ich weiß, ich bin inkonse-
quent. Aber neugierig.
Viele Freiberufler, denen ich von unse-
ren drei Wochen Urlaub im Jahr erzähle,
finden das geradezu dekadent. Einige
sind für ihre Kunden an 365 Tagen 24
Stunden lang erreichbar. Über alle Kanä-
le und auch im Urlaub, sofern sie wel-
chen machen. Die Hartgesottenen blei-
ben daheim, nicht nur, weil das Geld
fehlt. Sie hoffen bei jedem Anruf, jeder
Mail auf einen guten Auftrag. Valentin
Nowotny kennt solche Selbständigen.
„Sie haben noch nicht das Geschäftsmo-
dell gefunden, mit dem sie gut und ohne
sich zu verausgaben leben können“,
glaubt er. „Sie wollen jede Chance nutzen
und haben vielleicht auch noch nicht die
Erfahrung, um zu beurteilen, ob es sich
lohnt.“ Er selbst plant regelmäßig stille
Stunden und Auszeiten ein. Seine Mails
checkt er dann alle 24 Stunden. Auf inter-
essante Angebote schreibt er kurz zurück,
dass er zusagt und sich für eine ausführli-
che Absprache am Soundsovielten mel-
det. Nowotny gibt aber zu, dass er manch-
mal auch nicht abschalten kann. Seine Ge-
danken kreisen dann um Mails und Anfra-
gen. Manche Zeitmanager empfehlen,
sich bei solchen Gedanken-Karussells ein
Stopp-Schild vorzustellen: Nicht mehr
grübeln! Nowotny findet, dass das wenig
hilft. Er rät stattdessen, sich abzulenken –
etwa mit körperlichen Aktivitäten wie ei-
ner Wanderung oder durch Spiele mit
Kindern. Körperliche und geistige Betäti-
gung auszubalancieren sei auch im Ar-
beitsalltag sinnvoll: „Wer einseitig immer
nur das Intellektuelle sucht, ist sehr ver-
zweifelt, wenn er es beim Digitalfasten
nicht bekommt“, sagt er.
In Bali habe ich die Mail an den Ver-
band jetzt abgeschickt und checke doch
noch mal die Mails. Und richtig, da ist
sie, die Mail von einer Redaktion, für die
ich vor zwei Wochen eine Geschichte ge-
schrieben habe. Zwei Wochen lang kam
keine Reaktion, jetzt bekomme ich eine
umgearbeitete Fassung zurück. Ich soll
mal drüber schauen und Bescheid geben,
ob sie so okay ist. Natürlich hatte ich vor-
her geschrieben, dass ich eine Auszeit in
Asien nehme, aber das interessiert wohl
nicht oder wurde vergessen. Ich könnte
aus der Haut fahren – wegen des verhunz-
ten Textes und weil ich ihn jetzt über-
haupt gelesen habe. Andererseits: Mor-
gen hätte ich mich auch darüber geärgert.
Was soll ich machen? Herrn Nowotnys
Rat folgen und mich ablenken, das geht
kaum. Es ist Mitternacht in Bali, keine
gute Zeit für Wanderungen und Spiele.
Ich atme tief durch und versenke mei-
ne Wut symbolisch in Balis heiligem Vul-
kan, dem Agung. Nowotny hat seine Le-
bensgefährtin gebeten, im Urlaub ab und
zu seine beruflichen Mails zu checken.
Sie sieht sie gelassener als er, was ihm
hilft, das Wichtige vom weniger Wichti-
gen zu trennen. Er empfiehlt außerdem,
technische Geräte so einzustellen, dass sie
Freiräume ermöglichen. Ich mache das
jetzt auch, schalte das Mobiltelefon aus
und lege es in den Hotelsafe. Da bleibt es
drei Wochen lang. Ich checke nur alle 24
Stunden die Mails. Das tut mir gut. Auch
der Agung bleibt friedlich. Zurück in
Deutschland stelle ich fest, von wem der
verpasste Anruf aus Bonn kam: von ei-
nem Meinungsforschungsinstitut.
D
ie Digitalisierung von Ar-
beitsabläufen ist in zahlrei-
chen Berufen Standard. Das
erfordert die Bereitschaft und den
Willen der Mitarbeiter, sich fortzu-
bilden. Notwendig ist dies in Bezug
auf technologische und inhaltliche
Neuerungen im Job. Für Berufs-
gruppen wie Ärzte, Fachanwälte und
Architekten besteht eine gesetzliche
Fortbildungspflicht. Dort, wo es die-
se nicht gibt, ist es Sache jedes Ar-
beitnehmers, sich selbst darum zu
kümmern, fachlich auf dem Laufen-
den zu bleiben. Gleichwohl können
Arbeitgeber sich in puncto Fortbil-
dung nicht entspannt zurücklehnen.
Reicht die Qualifikation eines Mitar-
beiters perspektivisch nicht mehr
aus, um den geänderten Anforderun-
gen zu genügen, muss der Arbeitge-
ber das mit ihm erörtern. Dabei ist
auch zu besprechen, wie fehlende Fä-
higkeiten und Kenntnisse erworben
werden können. Diese Pflicht ergibt
sich aus dem Betriebsverfassungsge-
setz, gilt aber auch in Betrieben
ohne Betriebsrat. Leisten Mitarbei-
ter der Anregung auf Fortbildung
keine Folge, können Arbeitgeber die
Weiterbildung per Direktionsrecht
anweisen. Verpflichtet sind sie dazu
nicht. Eins ist aber zu beachten:
Gibt es infolge des technologischen
Wandels betriebsbedingte oder per-
sonenbedingte Kündigungen, kann
der Arbeitgeber solche Kündigun-
gen nur dann auf fehlende Kenntnis-
se stützen, wenn er den Mitarbeiter
auf die Fortbildungsnotwendigkeit
hingewiesen oder ihn erfolglos zur
Weiterbildung aufgefordert hat.
Doris-Maria Schusterist Partnerin
der Kanzlei Gleiss Lutz in Frankfurt.
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Bali oder Handy? Auch an Sehnsuchtsorten ist die digitale Versuchung groß. Foto Nadja Einzmann
Keine Anrufe, nur
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