Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung - 20.10.2019

(Barré) #1
FRANKFURTER ALLGEMEINE SONNTAGSZEITUNG

Wohnen (^) 20. OKTOBER 2019 NR. 42 SEITE 53
Mül-
heim
Dellbrück
Rondorf
Weiß
Weiden
Lövenich
Bicken-
dorf
Vogel-
sang
Ossen-
dorf
Mauen-
heim
Niehl
Weiden-
pesch
Longerich
Esch/-
Auweiler
Poll
Westhoven
Humboldt /
Gremberg
Kalk Höhenberg
Deren-
dorf
Stadtmitte
Düsseltal
Flingern-
Süd
Friedrich-
stadt
Hafen
Hamm
Volmers-
werth Flehe
Bilk
Lohausen Lichten-broich
Mörsen-
broich
Ludenberg
Lierenfeld
Hamm
Wilhelmsburg
Bahrenfeld
Stellingen
Niendorf
Eidelstedt
Fuhlsbüttel
Alster-AlsterAlsteAAlsterAlste
dorfdorfdorfdo BarmBarmBarmBBBarmarmarmbarmarmbek-arm
Nordordordordord
BarmBarmbeBBarmarmbek-armbek-bekbeek
SüdSSSüSüSüSüdSüdSüSüSüSü
GroßG
BoBoBorsteBorsteBorsteBoBoBoBostelstelstestelstelste
Eilbek Jenfeld
Lemsahl-LemsahlLemsahl-emhl-hl-hl-hl-hl-hl-
Mellingstingstedtgstedtgstgstgstedt
MarienMarienMarienMariententhaenthententhalenthaenththal
Poppen-PopPop n-
büttbütteüttel
Sasel
Tonndorf
Wandsbek
Wellings-
büttel
Volksdorf
Bergedorf
Billwerder
Kirchwerder
Lohbrügge
Langengenbekgengenbekenbekbekbekek
Neuenfelde
KÖLN
DÜSSELDORF
KÖLN
DÜSSELDORF
Berechnung und Kartengrundlage: Realxdata, 2019/ F.A.Z.- Bearbeitung lev.
HAMBURGHAMBURG
Gentrifizierungs-Kandidaten:
In den organgefarbenen Stadtvierteln
ist eine Wertsteigerung am
wahrscheinlichsten.
Alte Heide–
Hirschau
Schwabingen-
Ost
Waldperlach
Untergiesing
Aubing-Süd
Westend
St. Paul
Marsfeld
Neu-
schwabing
Am
Luitpoldpark
Englischer Garten
Ludwig-
vorstadt-
Kliniken
Kreuz-
viertel
Angerviertel
Untere Au
Haidhausen
Haidhausen-Nord
Josephsburg
Sendlinger-
feld
Giesing
Münchner Freiheit
Altenburg
Auf der
Prag
Weißenhof
Lenzhalde
Vogelsang
Hasenberg
Relenberg Kerner-
Universität viertel
Heusteigviertel
Heslach
Plieningen
Chausseefeld
Kaltental
Möhringen-Süd
Vaihingen-
Mitte
Höhenrand
Heerstraße
Dachswald
Feuerbacher Tal
Zuffenh.-
Am Stadtpark
Zuffenh.-
Schützenbühl
Zuffenhausen-
Mitte
Möhringen-
Ost
Prag-
friedhof
Birkenäcker Espan
Rotenberg
Hedelfingen
Ostheim
Stöckach
Uhlandshöhe
Sillenbuch
Linden-
schulviertel
Schmidener
Vorstadt
Lichterfelde
Wedding
Tempelhof
Heiners-
dorf
Weißen-
see
Blanken-
felde
Friedrichs-
felde
Lichten-
berg
Karls-
horst
Fennpfuhl
Neu-Hohen-
schönhausen
Alt-Hohen-
schönhausen
Malchow
Friedrichs-
hagen
Plänter-
wald
Schmöckwitz
Bohnsdorf
Ober-
schöneweide
Johannisthal
Mahls-
dorf
Biesdorf
Gesund-
brunnen
Frohnau
Waidmanns-
lust
Konradshöhe
Wilhelmstadt
Gatow
Kladow
Berkersheim
Gallus
Ginnheim
Oberrad
Rödelheim
Preunges-
heim
Seckbach
Innenstadt
FRANKFURTFRANKFURT
BERLIN
STUTTGARTSTUTTGART
MÜNCHEN
BERLIN
MÜNCHEN
Frohnau
Die zentralen Lagen der Innenstädte sind
nach mehr als zehn Jahren Immobilienboom
aufgewertet. Welche Viertel sind als
Nächstes dran? Wir haben den Blick in die
Glaskugel gewagt – und einen Fachmann
gefragt, was das fürs Quartier bedeutet.
Von Judith Lembke
G
entrifizierung – in der Aufwer-
tung von Stadtvierteln stecken
Verheißung und Verheerung
gleichermaßen, kommen mit
ihr doch einerseits sanierte Gebäude,
coolere Läden und mehr Lebendigkeit.
Andererseits bedeuten die steigenden
Mieten für viele angestammte Bewohner
aber auch, dass sie sich ihr Viertel nicht
mehr leisten können. Deshalb ist Gentri-
fizierung zum Synonym für Verdrän-
gung und zum Kampfbegriff geworden.
Die zentralen Lagen der sieben größten
deutschen Städte sind nach zehn Jahren
Immobilienboom aufgewertet. Welche
Viertel sind nun als Nächstes dran? Die-
se Frage hat der Datenanalyst Realxdata
exklusiv für die F.A.S. berechnet. Krite-
rien für eine wahrscheinliche Gentrifizie-
rung waren steigende Angebotsmieten
und eine höhere Kaufkraft im Stadtteil,
viele Umzüge, eine Zunahme an Single-
Haushalten sowie Restaurants, Cafés
und Bars, eine Verjüngung der Bewoh-
nerstruktur und die Abwanderung von
Menschen mit Migrationshintergrund.
Was eine solche Entwicklung bedeu-
tet, haben wir einen Fachmann gefragt:
Nazim Alemdar betreibt seit fast vierzig
Jahren im Frankfurter Bahnhofsviertel
verschiedene Geschäfte, seit zwölf Jah-
ren den Kult-Kiosk Yok-Yok in der Mün-
chener Straße. In dieser Zeit hat er den
Wandel vom Problemviertel zum ange-
sagten Quartier miterlebt – und das
nicht nur einmal.
Herr Alemdar, was verstehen Sie
unter Gentrifizierung?
Puh, es sind schon öfter Jungs hier vor-
beigekommen, so Studenten von der
Uni, die mir erklärt haben, was das be-
deutet und warum das schlimm ist. Die
wollten bei mir Poster aufhängen, und
das durften sie auch(zeigt auf ein groß-
teils überklebtes Protestplakat hinter sich).
Ich sehe das aber ganz praktisch: Für
mich ist diese Gentrifizierung wie
Make-up. Alles wird renoviert, auf ein-
mal gilt das Viertel als schick, die Mie-
ten steigen. Und dann kommt ein star-
ker Regen, der die ganze Schminke wie-
der abwäscht.
Was meinen Sie damit?
Wissen Sie, es ist jetzt schon das dritte
Mal, dass ich so eine Entwicklung im
Bahnhofsviertel miterlebe. Ich bin seit
1982 hier. Damals gab es hier zeitweise
70 Prozent Leerstand. Es sollte Mitte
der achtziger Jahre eine neue Sperrge-
bietsverordnung kommen, und Immobi-
lieninvestoren haben darauf spekuliert,
dass die Puffs verschwinden, und in gro-
ßem Stil Häuser gekauft. Das Bahnhofs-
viertel sollte schick werden. Weil ein lee-
res Haus mehr wert ist als ein vermiete-
tes, haben sie die Mieter rausgedrängt
und die Häuser leer stehen lassen. Aber
die Verordnung kam dann doch nicht,
und der oberflächliche Glanz ist wieder
verschwunden. In den Neunzigern gab
es dann noch mal so eine Phase und
jetzt eben wieder.
Wie hat sich das Viertel denn in
den vergangenen vierzig Jahren
gewandelt?
Hier haben sich immer die Gastarbeiter
aus Fechenheim und die Gastarbeiter
aus Höchst getroffen, denn zwei wichti-
ge Straßenbahnlinien kreuzen sich hier.
Es gab hier ein echtes Nacht- und
Nacktleben. Es war wilder und rauher.
War das Bahnhofsviertel früher
gefährlicher?
Auf jeden Fall, hier hat sich keine Frau
getraut, in der Dunkelheit alleine lang-
zulaufen, höchstens als Mutprobe. Jetzt
ist hier nachts alles voller Leute, da
braucht keiner mehr Angst zu haben.
Jetzt ist es teilweise auch ganz schön
schick: angesagte Bars und Restau-
rants, sanierte Häuser, teure Mieten.
Fragt sich nur, wie lange das so bleibt.
Wir haben hier in diesem Viertel sieben
Burgerläden, weil die gerade „in“ sind.
Dabei will doch kein Mensch jeden Tag
nur Burger essen! Das Tolle an dem
Bahnhofsviertel war immer die Vielfalt,
und jetzt machen überall dieselben Sa-
chen auf. Die ersten Burgerläden haben
schon wieder zugemacht, kein Wunder.
Früher gab es hier ganz normale Läden
und Handwerksbetriebe, aber die sind
zum großen Teil weg. Aber gerade die
ganz normalen Geschäfte für den tägli-
chen Bedarf brauchen wir hier!
Ein Zeichen für Gentrifizierung sind
auch stark steigende Mieten.
Die Mieten sind viel zu teuer. Kleine
Geschäfte und Imbisse können sich das
nicht mehr leisten und gehen raus. Statt-
dessen kommen Ketten und teure Re-
staurants. Aber das funktioniert auch
nicht. Warum sollten reiche Leute ins
Bahnhofsviertel gehen, um ein Steak für
70 Euro zu essen?
Weil es als cool gilt, vielleicht?
Das ist auch so ein Problem. Auf der ei-
nen Seite finden es die Leute toll, dass
hier so viel los ist, und auf der anderen
Seite wollen die neuen Bewohner ab 22
Uhr Ruhe haben. Beides zusammen
geht nicht.
Wer sind denn diese neuen
Bewohner im Bahnhofsviertel?
Das sind teilweise Leute, die hier hinzie-
hen, weil sie das besondere Flair mö-
gen, sich dann über den Lärm beschwe-
ren, sobald sie hier wohnen. Zum Bei-
spiel der eine: ist direkt gegenüber von
einem Table-Dance-Laden und einem
Puff eingezogen und meckert jetzt, dass
es abends laut ist. Was hat der denn er-
wartet? Oder die andere: Kaum wohnt
sie hier, fordert sie, dass die Stadt einen
Kindergarten im Viertel aufmacht. Was
denkt sie denn? Die Grundstücke hier
sind mittlerweile so teuer, da wird ein
Hochhaus gebaut, aber kein Kindergar-
ten. Außerdem beschweren sich die Neu-
en andauernd über die Junkies. Dabei
schaden die doch niemandem, außer
sich selbst. Manchmal fühle ich mich
echt wie im falschen Film.
Liegt es vielleicht auch daran,
dass jetzt auch Leute ins Bahnhofs-
viertel ziehen, die hier früher nicht
gewohnt haben: Familien und Besser-
verdiener?
Familien gab es hier schon immer, frü-
her gab es hier sogar eine Schule. Aber
die wussten, dass man hier eben auch
mit Junkies lebt. Aber jetzt wohnen hier
Leute, die 2000 Euro Kaltmiete zahlen
oder eine Wohnung für mehr als eine
Million Euro kaufen. Die erwarten ir-
gendwie etwas anderes. Viele Leute,
auch von außerhalb, sind ganz heiß auf
Wohnungen im Bahnhofsviertel, weil
sie denken, die Preise würden immer
weiter steigen. Aber die vergessen eins:
Es muss nur eine Krise kommen, und
ein paar große Firmen in Frankfurt ent-
lassen ihre Leute, dann läuft es auch im
Bahnhofsviertel nicht mehr. Ich würde
den Investoren was anderes empfehlen.
Was denn?
Na, auf dem Boden zu bleiben! Was
bringt es, die Miete so stark zu erhö-
hen, wenn nach ein paar Jahren wieder
alles kaputtgeht? Es geht nicht immer
nur nach oben. Ich habe das erlebt.
Schon bald schick
und teuer

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