Handelsblatt - 17.10.2019

(Ron) #1
Clevershuttle-Autos an der Lade-
station: Die Bahn-Tochter ist auch
mit Elektrofahrzeugen unterwegs.

imago/Action Pictures

Mit wie viel eigenem Geld sind Sie


involviert?


Mit einem wirklich substanziellen


zweistelligen Millionenbetrag.


Wo wird die Social Chain AG sitzen?


In Berlin, wo schon jetzt 200 Leute


für uns arbeiten.


Und welche Banken haben Sie mit


im Boot?


Das Interesse ist breit. Jede Invest-


mentbank will aktuell mit uns spre-


chen. In den nächsten Wochen


wollen wir erste Entscheidungen


treffen.


Kann der Social Chain AG auf dem


Weg an die Börse denn nicht noch


die Puste ausgehen?


Auf gar keinen Fall. Weil wir die kriti-


sche Größe längst erreicht haben. Au-


ßerdem ist die Social Chain AG ein


Haus der Unternehmer. Das ist ein


Vulkan an Kreativität. Der geplante


IPO ist ja nicht der End-, sondern ein


neuer Ausgangspunkt.


Passt dazu dann wiederum Ihre Ju-


roren-Rolle bei der Vox-Sendung


„Höhle der Löwen“, wo Sie künftig


noch mehr als eh schon nach neuen


Geschäftsideen fahnden können, die


von der Social Chain AG dann weiter


ausgebaut werden?


Absolut. Ich kann diese jungen Unter-


nehmer mit der Social Chain AG bes-


tens unterstützen.


Das heißt, Sie wollen der „Höhle


der Löwen“ auf jeden Fall erhalten


bleiben?


Selbstverständlich. Die Arbeit dort


macht mir Freude. Mir ist es auch


wichtig, das unternehmerische Le-


bensgefühl vor einem Massenpubli-


kum zu propagieren. Und ich bin po-


sitiv überrascht, wie viele junge Leu-


te uns dabei folgen.


Die Zahl der Firmengründungen in
Deutschland nimmt sogar ab. Woran
liegt das? Sind wir Deutschen zu
ängstlich?
Ich will das nicht so negativ sehen.
Nehmen Sie den hiesigen Mittel-
stand, der unglaublich kreativ und
global unterwegs ist! Die Start-up-
Szene ist ja letztlich dessen jüngere
Fortsetzung. Leider haben wir in
Deutschland zu wenig gesellschaftli-
che Akzeptanz von Unternehmer-
tum, Risikofreude und – das muss
man auch mal deutlich sagen – zu
wenig Lust auf Kapitalismus. Wir
müssen in Deutschland mehr Kapi-
talismus wagen, im guten Sinne der
Sozialen Marktwirtschaft. Für die
Förderung der Start-up-Szene schla-
ge ich eine Art Sonderwirtschaftszo-
ne vor, in der verbesserte steuerli-
che und organisatorische Regeln gel-
ten müssten. Deutschland muss at-
traktiver werden für unternehme-
risch orientiertes Kapital. Auf der
ganzen Welt stehen Milliarden-
Fonds bereit, um hierzulande zu in-
vestieren.

Ihr eigener größter Coup als Mana-
ger und Unternehmer war bislang
wohl der Börsengang des Pay-TV-
Senders Premiere und der Verkauf
Ihres Aktienanteils damals, oder?
Ja, weil das Unterfangen von soge-
nannten Experten vorher als aus-
sichtslos eingestuft wurde. Ich bin
mit einem großen Teil meines Privat-
vermögens voll ins Risiko gegangen,
dann gehörten mir 20 Prozent an
dem Unternehmen.

Es heißt, Sie hätten beim Verkauf
der Anteile über 100 Millionen Euro
kassiert.
Die Parteien haben Stillschweigen
vereinbart, aber Sie liegen nicht ganz
falsch.

Sie müssten also eigentlich nie mehr
arbeiten, sind seither aber als Inves-
tor vielfältig unterwegs. Wo haben
Sie danach das meiste Geld ver-
brannt?
Bedauerlicherweise mit dem „Kofler
Energies Club“, den ich als „ADAC
der Energieeffizienz“ positionieren
wollte. Es ging darum, die Endkun-
den zu beraten in Energiefragen aller
Art. Der Slogan war großartig, die
Stimmung euphorisch – übrigens
ganz anders als bei meinen früheren
Gründungs-Großprojekten von Pro
Sieben übers Teleshopping bis zu
Premiere, wo mir jedes Mal ein Chor
der Zweifler entgegenschlug. Leider
spielten bei der Club-Idee die Ver-
braucher nicht so mit, wie ich mir
das erhofft hatte. Also musste ich be-
sonders mutig sein. Nach wenigen
Monaten zog ich die Reißleine. Zwölf
Millionen Euro waren da allerdings
schon weg. Beim Aussteigen ist für
Unternehmer oft mehr Mut gefordert
als beim Einstieg.

Sie sind Sohn eines Holzfällers. Ihr
Vater starb, als Sie vier Jahre alt wa-
ren. Ihre Mutter musste als Näherin
die Familie dann allein durchbrin-
gen. Sie entstammen also „kleinen
Verhältnissen“. Was aus dieser Zeit
ist Ihnen geblieben – vielleicht an
Kampfesmut, Härte oder auch Gel-
tungsdrang?
Bodenständigkeit und Direktheit,
würde ich sagen. Für die Diploma-
tenschule der Uno wäre ich eher
nicht geeignet. Ich bin Mitglied im
Verein für klare Aussprache.

Herr Kofler, vielen Dank für das In-
terview.

Die Fragen stellte Thomas Tuma.


Der Manager Der
62-Jährige war lange
ein prägender Kopf
der deutschen
Medienbranche. Nach
dem Studium arbei-
tete der Süd tiroler als
Assistent des ORF-
Intendanten und von
Leo Kirch. Von 1988
bis 2000 leitete Kof-
ler den Fernsehsender
Pro Sieben, anschlie-
ßend den Shopping-
kanal HSE 24. Von
2002 bis 2007 war er
Vorstandschef des
Pay-TV-Senders Pre-
miere.

Das Unternehmen
Seit mehreren Jahren
hat Kofler eine Fir-
mengruppe aufge-
baut, die Produkte
und Influencer über
Social Media vermark-
tet und Events organi-
siert. Aktuell hat die
Social Chain AG,
deren Hauptaktionär
und Boardchef er ist,
nach eigenen Anga-
ben rund 500
Beschäftigte, einen
Umsatz von rund 170
Millionen Euro und
80 Millionen Follower.

Vita
Georg Kofler

action press

Mobilitätsdienste


Angriff auf das


deutsche Taxi


VW und Deutsche Bahn rollen


den Beförderungsmarkt auf.


Die Bahn-Tochter


Clevershuttle rüstet sich mit


weiterem Kapital aus Japan.


C. Schlautmann, D. Fockenbrock
Düsseldorf

D


as deutsche Taxigewerbe
muss sich auf verschärfte
Konkurrenz einstellen. Der ja-
panische Mischkonzern Mitsui betei-
ligt sich mit zwölf Prozent an Clever-
shuttle, der Ridesharing-Tochter der
Deutschen Bahn. Das bestätigte das
Unternehmen auf Anfrage dem Han-
delsblatt. Zur Höhe der Kapitalbeteili-
gung werden keine Angaben gemacht.
Die Bahn bleibt weiterhin Mehrheits-
aktionär mit unverändert 76 Prozent,
die Gründer des
Unternehmens
halten weitere
zwölf Prozent.
Der Geldgeber
wolle dem preis-
günstigen Chauf-
feurdienst zu ei-
ner beschleunig-
ten Expansion
verhelfen, berich-
tet Geschäftsfüh-
rer und Grün-
dungsmitglied
Bruno Ginnuth.
Ähnlich wie
die VW-Mobili-
tätstochter Moia
unterbietet Cle-
vershuttle die Ta-
xipreise in deut-
schen Städten etwa um die Hälfte.
Dazu bündelt das 2014 in Berlin ge-
gründete Start-up die Beförderungs-
wünsche seiner Kunden zu gemein-
samen Fahrten, die sich in Sekunden-
schnelle per Algorithmus errechnen.
Für ihren Preisvorteil haben Fahrgäs-
te maximale Umwege von 30 Prozent
ihrer Fahrstrecke in Kauf zu nehmen


  • und bis zu 25 Minuten Wartezeit.
    Das Geschäft mit dem sogenannten
    Ridepooling boomt. Brauchte Clever-
    shuttle für die erste Million Fahrgäste
    noch 30 Monate, wird die heutige
    Bahn-Tochter die vierte Million nun
    voraussichtlich in weniger als vier
    Monaten schaffen. 300 Sammeltaxis,
    ausschließlich mit Elektroantrieb, hat
    Clevershuttle aktuell auf der Straße,
    200 weitere stehen auf der Bestell -
    liste. Schon im nächsten Jahr soll die
    Grenze von 1 000 Fahrzeugen durch-
    brochen werden.
    Allerdings machen sich erste Ver-
    drängungseffekte bemerkbar. Erst
    vor wenigen Tagen gab Clevershuttle
    bekannt, seine Dienste in Hamburg,
    Stuttgart und Frankfurt wieder einzu-
    stellen.
    Das Geschäft mit dem Ridepooling
    elektrisiert insbesondere Investoren
    aus Fernost. Erst Ende Juli stieg der
    japanische Autobauer Toyota mit
    600 Millionen Dollar Kapital bei dem
    chinesischen Fahrtenvermittler Didi
    Chuxing ein.
    Für den chinesischen Uber-Konkur-
    renten bedeutet das Angebot von
    App-gesteuerten Sammeltaxen eine
    weitere Gelegenheit, das eigene Ge-
    schäft auszuweiten. 2017 hatte er bei
    Investoren 5,5 Milliarden Dollar mit
    der Ansage eingesammelt, die Aus-


landsexpansion zu verstärken. Zehn
Millionen Elektrofahrzeuge, so gab Di-
di das Ziel vor, wolle man bis 2028 auf
den Straßen bewegen. Obwohl der
Fahrtenvermittler 2018 einen Verlust
von umgerechnet 1,6 Milliarden Dol-
lar einfuhr, bewerteten ihn die Geld-
geber zuletzt mit 76 Milliarden Dollar.
Auch der chinesische Amazon-Riva-
le Alibaba mischt inzwischen mit –
und zwar über die Konzerntochter
Autonavi. Auch sie versucht sich seit
wenigen Monaten im Ridepooling und
sucht nach Expansionsmöglichkeiten.
So kann sich die junge Branche
über fehlendes Geld kaum beklagen.
Auch Clevershuttle gilt als üppig fi-
nanziert. Seit der Firmengründung
sei ein mittlerer zweistelliger Millio-
nenbetrag in das Berliner Start-up ge-
flossen, heißt es in Unternehmens-
kreisen. Mitsui liefert weitere Mittel.

Bislang galt Clevershuttle als
deutschlandweit größter Anbieter.
Derzeit befördern die 1 300 fest ange-
stellten Fahrer rund eine Viertelmilli-
on Gäste pro Monat – fünfmal so viel
wie noch vor einem Jahr. In diesem
Jahr sollen Köln und Düsseldorf hin-
zukommen, wie Geschäftsführer Gin-
nuth durchblicken lässt.
Doch die Konkurrenz holt auf. In
Hamburg erhielt die VW-Tochter
Moia die Erlaubnis, ihre Flotte auf
500 Fahrzeuge aufzustocken. Im ver-
gangenen April war der Anbieter mit
zunächst 100 Elektro-Kleinbussen ge-
startet, die VW eigens für den Einsatz
entwickelte – und dafür enorme Fi-
nanzmittel in die Hand nahm. Mit
500 Fahrern, berichtet ein Sprecher,
absolviere Moia in der Hansestadt
monatlich über 100 000 Einsätze.
Auch in Hannover ist Moia seit einem
Jahr aktiv, wenn auch zunächst nur
mit 76 Benzin-Kleinbussen. Bald sol-
len es 150 sein.
Ebenso experimentiert die von
BMW und Daimler ins Rennen ge-
schickte Taxi-App „Free Now“, bis
vor Kurzem bekannter unter dem Na-
men „Mytaxi“, mit dem Ridepooling:
In Hamburg und Berlin können sich
Nutzer über eine „Match“-Funktion
für eine Fahrt zusammenschließen.
Den kürzesten gemeinsamen Weg für
die Gemeinschaftsfahrt, an der je-
weils zwei Besteller teilnehmen dür-
fen, errechnet die App.


Leitartikel Seite 22



Unternehmen & Märkte
DONNERSTAG, 17. OKTOBER 2019, NR. 200


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