Handelsblatt - 17.10.2019

(Ron) #1

Topmanagement


Global


denken


H


interher ist man immer
schlauer. Trotzdem sei die
Frage gestattet: Was wäre

gewesen, wenn Volkswagen einst


neben dem mächtigen Vorstands-


chef Martin Winterkorn und seinem


allmächtigeren Patriarchen Ferdi-


nand Piëch ebenso mächtige Ameri-


kaner im Vorstand oder Aufsichts-


rat gehabt hätte? Und was wäre ge-


wesen, wenn amerikanische Top -


juristen Bayer-Chef Werner Bau-


mann und seinen Aufsichtsratschef


Werner Wenning nicht nur beraten


hätten, sondern mit einem Vor-


standsposten in die Entscheidung


eingebunden gewesen wären, als es


darum ging, Monsanto für 60 Milli-


arden Euro zu übernehmen?


Womöglich hätten Amerikaner


auf das nach Meinung vieler Euro-


päer verrückt erscheinende ameri-


kanische Rechtssystem hingewiesen


und vom Kauf des umstrittenen


Saatgutherstellers abgeraten. Mehr


Landeskunde hätte bei Bayer viel-


leicht zu einer anderen Risikoein-


schätzung geführt, zumal die Börse


schon vor dem Deal über eine be-


vorstehende Prozesslawine speku-


lierte. Und VW hätte mit amerikani-


schem Sachverstand wissen kön-


nen, dass milliardenschwere


Schadensersatzklagen drohen,


wenn Abgasnormen hintergangen


werden, indem Software manipu-


liert wird.


Beide Annahmen sind nur Speku-


lation. Doch sie zeigen, dass für


hochglobalisierte Unternehmen,


wozu in Deutschland nahezu alle


großen börsennotierten Konzerne


zählen, rechtliche Risiken, ein-


schließlich Kartell- und Produkthaf-


tungsrisiken, eine immer größere


Herausforderung werden. Mehr in-


ternationales Personal im Vorstand


und Aufsichtsrat kann dabei helfen,


solche Risiken im Vorhinein kritisch


abzuwägen. Deshalb führt kein Weg


daran vorbei, dass Unternehmen,


die einen Großteil ihrer Geschäfte


nicht in Deutschland, sondern in al-


ler Welt erwirtschaften, in der Füh-


rungsspitze global und nicht


deutsch-zentriert besetzt sind. Das


ist genauso im Sinne der Mitarbei-


ter wie der Aktionäre, um frühzeitig


Schaden für das Unternehmen und


seine Aktien abzuwenden.


Wer international wirtschaftet,
braucht auch internationales
Spitzenpersonal, meint
Ulf Sommer.

„Wir sollten uns in unserem Verhältnis zu


Russland strategisch neu aufstellen.“


Michael Harms, Geschäftsführer Ostausschuss/Osteuropaverein


Worte des Tages


Der Autor ist Redakteur im


Ressort Unternehmen & Märkte.


Sie erreichen ihn unter:


[email protected]


E


s müsste ein Riesengeschäft werden. Im
Jahr 2040, so prognostizierten die Ex-
perten der Beratungsfirma Oliver Wy-
man vor einiger Zeit, würden die Bürger
für ein eigenes Auto bis zu 30 Prozent
weniger ausgeben als heute. Wenn sie überhaupt
noch eines besitzen. Das Geld stünde dann – theore-
tisch – für Mobilitätsdienste zur Verfügung. Hier geht
es um Milliarden, von denen Firmen profitieren
könnten, die Carsharing, Carpooling oder taxiähnli-
che Leistungen anbieten. Goldene Zeiten für die VW-
Ausgründung Moia, die Bahn-Tochter Clevershuttle
oder den Daimler-Ableger Freenow.
Es kann auch ein Riesenflop werden, folgt man ei-
ner Studie der Consultingfirma AT Kearney. Danach
erreichen Sharingdienste erst ab einer Einwohner-
dichte von mindestens 6 000 Menschen pro Qua-
dratkilometer die Gewinnschwelle. 10 000 Einwoh-
ner pro Quadratkilometer wären noch besser. Aber
wo in Deutschland leben schon so viele Menschen so
dicht beisammen? In weiten Teilen des Landes blie-
ben demnach die Chauffeurdienste unter Wasser, je-
denfalls was die Profitabilität angeht. Und es würde
damit niemals ein gutes Geschäft für die Anbieter.
Wie zum Beweis dafür, dass der noch junge Markt
für solche automobilbasierten Mobilitätsservices
schon wieder konsolidiert, zog sich in dieser Woche
einer der Vorreiter zurück. Clevershuttle stellt seine
Dienste in Hamburg, Frankfurt und Stuttgart ein. Be-
gründung: ruinöser Preiskampf und die Hürden des
deutschen Personenbeförderungsgesetzes. Die Toch-
ter des Bahn-Konzerns kündigte allerdings zugleich
an, ab November in Düsseldorf und dann auch in
Köln anzutreten. Und, noch wichtiger: Clevershuttle
hat sich frisches Kapital besorgt beim japanischen
Mischkonzern Mitsui. Das spricht dafür, dass die
Tochter des Staatskonzerns noch nicht aufzugeben
gedenkt.
Vor allem der Rückzug aus Hamburg gibt zu den-
ken. Hier waren es nicht die Behörden, die das An-
gebot ausbremsten. In Hamburg geht zurzeit alles,
was nach zukunftsgerichteter Mobilität aussieht. Der
Senat fördert das sogar ausdrücklich. Egal, was die
bestehende Gesetzeslage hergibt, Hamburg erteilt
Ausnahmegenehmigungen. Die Hansestadt will sich
als Testfeld profilieren.
Clevershuttle spricht von Preisdumping der Kon-
kurrenz. Das mag sein. Das aber als Grund für den
Rückzug anzuführen ist bedenklich. In dieser frühen
Phase des recht neuen Geschäfts wäre doch zu er-
warten, dass zumindest die kapitalstarken Anbieter
sich durchbeißen und versuchen, den noch frischen
Markt abzuräumen. Dass mit Pooling und Sharing

vorerst kein Geld zu verdienen ist, das war doch von
Anfang an klar. Erst einmal muss sich diese neue
Form des Fahrens – eine Mischung aus Bus und Taxi


  • in einem breiten Kundenkreis durchsetzen. Und
    dann wird immer noch die Frage sein, ob eine Mil-
    lionenstadt wie Hamburg mehrere Anbieter verträgt
    oder vielleicht doch nur einen.
    Inzwischen hört man sogar kritische Stimmen, die
    behaupten, solche Sammeltaxen hätten überhaupt
    keine Zukunft. Wenn man das laufende Gesetzge-
    bungsverfahren beobachtet, könnten sie sogar recht
    haben. Nach dem Stand der Dinge wird der Bundes-
    verkehrsminister die Rückkehrpflicht für Mietwagen-
    dienste – und dazu zählen Moia und Co. – weiter be-
    stehen lassen. Das heißt, nach jeder Fahrt müsste
    das Fahrzeug zu einem Depot zurückkehren und
    dürfte erst nach erneuter Buchung wieder ausrü-
    cken. Das würde viel zu weite Wege verursachen –
    und natürlich die Kostenkalkulation zerstören.
    Wenn es so käme, wäre das der Kotau vor dem Ta-
    xigewerbe. Denn nur Taxen dürften jederzeit und
    überall Fahrgäste einsammeln. Und laut genug hat
    die Lobby der Droschkenfahrer ja getrommelt gegen
    eine Aufweichung des Personenbeförderungsrechts.
    Dazu kommt: Auch andere Sharingdienste wie
    Car2go und DriveNow (unter dem Dach des BMW-
    Daimler-Joint-Ventures Share Now), Autovermieter
    wie Sixt und unzählige kleine regionale Sharing-Ko-
    operativen sind auf Fahrgäste aus. Auch wenn das
    ein etwas anderes Modell ist, die Nutzer müssen
    selbst fahren. Am Ende rangeln alle um dieselbe
    Kundschaft: Menschen, die mobil sein wollen, ohne
    gleich ein eigenes Fahrzeug besitzen zu müssen.
    Dieser Markt ist gerade erst im Entstehen. Und es
    scheint unklar, welches Potenzial er wirklich hat.
    Klar ist heute lediglich: Anbieter verdienen damit
    vorerst nur kleines Geld, wenn überhaupt, müssen
    aber großes Geld in die Hand nehmen, um zu über-
    leben. Wenn Autokonzerne wie BMW schon öffent-
    lich darüber räsonieren, ob und wie lange sie es sich
    leisten sollten, als Mobilitätsdienstleister unterwegs
    zu sein, oder ob es nicht besser wäre, sich aufs Auto-
    bauen zu konzentrieren, dann lässt sich erahnen,
    wohin die Reise gehen könnte. Es geht dann nicht
    mehr um die logische Verlängerung von Produkti-
    onsketten wie bei Autobauern oder Mobilitätsdiens-
    ten wie bei der Bahn. Überleben werden dann nur
    Sharingdienste mit ganz langem Atem und noch
    mehr Kapital im Rücken.


Leitartikel


Kleine Tarife –


großes Geld


Carsharing und
-pooling kommen
gerade erst so
richtig in
Schwung, schon
zeichnet sich ab,
dass nicht alle
Anbieter
durchhalten
werden,
beobachtet
Dieter
Fockenbrock.

In dieser frü-


hen Phase des


recht neuen


Geschäfts wäre


doch zu


erwarten, dass


zumindest die


kapitalstarken


Anbieter sich


durchbeißen.


Der Autor ist Chefkorrespondent im Ressort
Unternehmen & Märkte. Sie erreichen ihn unter:
[email protected]

Meinung

& Analyse

DONNERSTAG, 17. OKTOBER 2019, NR. 200


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