Robert Holzmann:
„Nullzinsen oder gar
Negativzinsen sind
ein Sprung in den
Hyperraum à la Star
Trek.“
Bloomberg
I
n seinem Wiener Büro nimmt Robert Holz-
mann im Ledersessel unter einem Bild des
populären Tiroler Malers Alfons Walde
Platz. Die alpine Dorfszene hat es dem in
der Obersteiermark aufgewachsenen Wirt-
schaftswissenschaftler angetan. Nach fünf Wochen
an der Spitze der Oesterreichischen Nationalbank
hat es sich der 70-Jährige in der imposanten Zen-
trale gemütlich eingerichtet. Zum Gesprächsauftakt
macht sich der Ökonom, der von sich sagt, er habe
den früheren FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache
zum Euro bekehrt, eine Dose des inoffiziellen ös-
terreichischen Nationalgetränks Red Bull auf.
Herr Gouverneur, Österreich übt in der Politik
häufig eine Vermittlerrolle aus. Aktuell ist die
Geldpolitik der EZB sehr umstritten. Sehen Sie
sich als Brückenbauer zwischen den unter-
schiedlichen Interessen der Notenbanker?
Ich bin neu im EZB-Rat und nicht mit den alten
Denkmustern aufgewachsen. Dadurch kann ich
neue Ideen einbringen.
Gibt es zu viel Gruppendenken bei der EZB?
Meine Einschätzung ist, dass das neokeynesiani-
sche Paradigma von fast allen in der EZB akzeptiert
ist.
Was meinen Sie genau?
In den letzten zehn bis fünfzehn Jahren hat die so-
genannte neokeynesianische Sicht die Geldpolitik
beherrscht. Das ist quasi die Heirat zwischen Key-
nesianismus und Finanzmarkt-Denken. Auf der ei-
nen Seite geht es darum, die Nachfragelücke in der
Volkswirtschaft zu schließen. Auf der anderen Seite
räumt man den Finanzmärkten eine sehr große Be-
deutung ein, weil sie die geldpolitischen Impulse
auf die Realwirtschaft übertragen sollen.
Aus Ihrer Sicht teilen also fast alle in der EZB das
neokeynesianische Paradigma. Auch diejenigen,
die sich gegen das Lockerungspaket im Sep-
tember ausgesprochen haben?
Ja. Auch Notenbanker, die sich kritisch zu Wort ge-
meldet haben, stellen das Paradigma nicht infrage.
Bei mir ist es so, dass ich das Paradigma grundsätz-
lich infrage stelle. Ich bin davon überzeugt: Negati-
ve Zinsen sind keine nachhaltige Politik. Ich will da-
zu ermutigen, dieses fragwürdige Paradigma zu
überdenken.
Sehen auch andere Kollegen – zum Beispiel aus
Mittel- und Osteuropa – das kritisch?
Ich nehme den Wunsch in einigen Ländern der Re-
gion nach einer Veränderung wahr. Aber niemand
geht so weit wie ich und fordert einen Stopp des
neokeynesianischen Paradigmas. Ich plädiere da-
für, zu überprüfen, ob das bisherige Paradigma der
EZB noch richtig ist. Wir dürfen nicht nur die kurz-
fristigen geldpolitischen Zinssätze betrachten, son-
dern müssen auch auf die langfristigen Folgen
schauen.
Was spricht aus Ihrer Sicht gegen Negativzin-
sen?
Nullzinsen oder gar Negativzinsen sind ein Sprung
in den Hyperraum à la Star Trek. Bei einem Zins-
satz von unter null greifen viele einfache ökonomi-
sche Mechanismen nicht mehr. Untersuchungen
zeigen, dass Investoren anders reagieren, seit die
Negativzinsen eingeführt wurden. Ich glaube, das
Paradigma von negativen Zinsen stellt keine nach-
haltige Politik dar.
Warum?
Dahinter steht der Glaube, dass Negativzinsen die
Nachfrage erhöhen. Wenn ich mit Unternehmern
und Konsumenten spreche, sehe ich dafür keine
Anhaltspunkte. Weder investieren die Unterneh-
men wegen der Negativzinsen mehr, noch kaufen
die Konsumenten mehr. Vielleicht kaufen die Kon-
sumenten sogar weniger, weil sie mehr auf die Sei-
te legen müssen, um ihr Sparziel zu erreichen. Es
gibt also keine positiven Effekte auf die Nachfrage.
Auf der anderen Seite gibt es aber weitere Verzer-
rungen bei den Vermögenspreisen.
Was meinen Sie genau?
Wegen der niedrigen Zinsen suchen Investoren ver-
zweifelt nach Rendite. Dadurch steigen zum Bei-
spiel die Preise für Gold oder Kryptowährungen.
Außerdem wird ein Immobilienboom angefacht.
Die Preise für Wohnungen und Mieten steigen und
steigen. Das birgt die Gefahr, dass es zu Blasen in
der Euro-Zone kommt, so wie wir es vor einigen
Jahren in Irland oder Spanien mit schlimmen Fol-
gen für die Volkswirtschaft erleben mussten. Au-
ßerdem drücken die niedrigen Zinsen die Produk-
tivität und die Dynamik der Unternehmen.
Inwiefern?
Die extrem niedrigen Zinsen und die hohe Liquidi-
tät sorgen dafür, dass unprofitable Unternehmen
mit schwacher Produktivität länger überleben. Da-
durch wird eine Marktbereinigung verhindert, die
sehr wichtig für die Dynamik der Volkswirtschaft
ist. Wenn die Negativzinsen die Produktivität und
das langfristige Wachstum verringern, dann sind
weitere Zinssenkungen eher eine Todesspirale als
eine Rettungsspirale.
Aber hängen die niedrigen Zinsen nicht auch
damit zusammen, dass die Bevölkerung in den
Euro-Ländern immer älter wird und dadurch
die Produktivität und die langfristigen Wachs-
tumsaussichten immer geringer werden?
Ja, die Geldpolitik darf nicht allein für die geringen
Zinsen verantwortlich gemacht werden. Sie ver-
stärkt vielleicht den Trend, den es ohnehin gibt.
Aber als Notenbank können wir nur die kurzfristi-
gen Zinsen festlegen. Der langfristige Zins hängt
letztlich von den Wachstumsaussichten und der
Produktivitätsentwicklung ab. Aus ökonomischen
Gründen sollen die kurzfristigen Zinsen unter den
langfristigen Zinsen liegen. Das heißt: Wenn die
„Negative Zinsen
sind keine
nachhaltige Politik“
Das österreichische EZB-Ratsmitglied kritisiert den geldpolitischen Kurs der
Notenbank und fordert eine stärkere Einbindung der nationalen Notenbanken.
Außerdem erwartet er ein niedrigeres Inflationsziel im Euro-Raum.
Robert Holzmann
Finanzen
& Börsen
DONNERSTAG, 17. OKTOBER 2019, NR. 200
26