Gregor Waschinski Berlin
D
as erste Gesetz, das Jens
Spahn als Gesundheitsminis-
ter auf den Weg brachte, trug
einen vielversprechenden Namen:
„Versichertenentlastungsgesetz“. Der
CDU-Politiker hat seitdem aber vor
allem teure Leistungsausweitungen
im Gesundheitsbereich zu verant-
worten. Die Folge: Spahns ursprüng-
licher Plan, dass die Zusatzbeiträge
angesichts hoher Rücklagen von
Krankenkassen auf breiter Front sin-
ken sollen, wird wohl nicht aufgehen.
„Was wir jetzt erleben, ist die erste
teure Quittung für die Ausgabenpoli-
tik dieser Bundesregierung der ver-
gangenen Jahre im Gesundheitswe-
sen“, sagte der Hauptgeschäftsführer
der Arbeitgebervereinigung BDA,
Steffen Kampeter, dem Handelsblatt.
Jedes Jahr treffen sich im Oktober
Experten von Bundesgesundheitsmi-
nisterium, Bundesversicherungsamt
und Krankenkassen, um die Finanz-
entwicklung der gesetzlichen Kran-
kenversicherung (GKV) zu bewerten.
Ihre Prognose für 2020: Der durch-
schnittliche Zusatzbeitrag müsste um
0,2 bis 0,3 Punkte ansteigen, von
derzeit 0,9 Prozent. Wie hoch der Zu-
schlag auf den allgemeinen Kranken-
versicherungsbeitrag von 14,6 Pro-
zent des Bruttoeinkommens ausfällt,
legt jede Krankenkasse am Ende ab-
hängig von ihrer Finanzlage fest.
Spahn beschwichtigt daher, dass
der durchschnittliche Zusatzbeitrag
eine „rein statistische rechnerische
Größe“ sei. „Dank der übermäßig ho-
hen Rücklagen vieler Krankenkassen
werden die tatsächlich zu zahlenden
Beiträge für sehr viele Versicherte
unterm Strich 2020 gleich bleiben
oder sinken.“ Allerdings sind die Fi-
nanzreserven ungleich verteilt, und
bei vielen Kassen werden die Rückla-
gen schon durch kostspielige Spahn-
Gesetze schmelzen. GKV-Finanzex-
perten erwarten, dass im kommen-
den Jahr vielleicht ein Dutzend der
gut 100 Kassen die Beiträge senken
kann – darunter neben einigen Orts-
krankenkassen vor allem kleinere Be-
triebskrankenkassen. Die meisten
Kassen würden die Beiträge stabil
halten, einige müssten sogar einen
Aufschlag verlangen.
„Die Ausgaben steigen derzeit kräf-
tig an, zuletzt mit einer Rate von fünf
Prozent“, sagte Jens Baas, Chef der
Techniker-Krankenkasse. „Wenn die
Einnahmen aufgrund konjunkturel-
ler Schwankungen sinken, werden
die Krankenkassen ihre heutigen Bei-
tragssätze auf Dauer nicht halten
können. Auch der erzwungene Ab-
bau von Rücklagen wird diese stei-
gende Diskrepanz zwischen Einnah-
men und Ausgaben allenfalls kurz-
fristig verschleiern können.“
Gregor Waschinski Berlin
A
nnegret Kramp-Karren-
bauer hatte der Jungen
Union ( JU) einen Appell
mitgebracht: „Lasst uns
streiten. Aber lasst uns
nie vergessen: Der politische Gegner
sitzt immer außerhalb unserer Rei-
hen, nie innerhalb“, sagte die CDU-
Chefin beim Deutschlandtag des Par-
teinachwuchses. In den vergangenen
Wochen mag für Kramp-Karrenbau-
er zunehmend der Eindruck entstan-
den sein, dass ihre Gegner auch in
der eigenen Partei lauern. Schlechte
Umfragewerte, politische Fehltritte:
Nicht einmal ein Jahr nach der Über-
nahme des Parteivorsitzes von Kanz-
lerin Angela Merkel bröckelt das Ver-
trauen der Christdemokraten in ihre
Anführerin.
Drei Tage debattierte nun die JU in
Saarbrücken, für Kramp-Karrenbau-
er eigentlich ein Heimspiel. Die 57-
Jährige kommt aus dem Saarland,
war hier Innenministerin, Bildungs-
ministerin, Sozialministerin und
schließlich Regierungschefin. Ihren
Auftritt am Sonntag nahm der Partei-
nachwuchs mit freundlichem Ap-
plaus auf. Ihr konservativer Rivale
Friedrich Merz, den sie auf dem Par-
teitag im Dezember 2018 nur knapp
besiegt hatte, wurde am Freitag-
abend dagegen bejubelt. „Friedrich,
Friedrich“, riefen die Jungunionisten
und sangen: „Oh, wie ist das schön.
So was hat man lange nicht gesehen.“
JU-Chef Tilman Kuban nannte
Merz einen klugen Kopf, den die Par-
tei brauche. „Wir danken Ihnen, dass
Sie zurück sind auf der CDU-Bühne“,
sagte Kuban zum einstigen Frakti-
onschef, der zwar aktuell kein Partei-
amt bekleidet, aber dennoch nicht
wegzudenken ist aus den gegenwärti-
gen Debatten in der Union. Merz er-
klärte, dass er „uneingeschränkt“ zu
seiner Zusage stehe, Kramp-Karren-
bauer bei der „schwierigen Aufgabe“
des Parteivorsitzes zu unterstützen.
„Wie freiheitlich und wie menschlich
wir die Zukunft unseres Landes und
der EU gestalten, diese Verantwor-
tung liegt auf Deutschland und in
Deutschland auf CDU und CSU“, sag-
te er. „Und wenn Sie wollen, dass ich
dabei bin, dann bin ich dabei.“
Diese Worte lassen durchaus Inter-
pretationsspielraum. Merz könnte
sich wie zuletzt als Wahlkämpfer an
der politischen Auseinandersetzung
beteiligen. Oder er könnte einen
neuen Griff nach der Macht versu-
chen, sollten CDU und CSU den
nächsten Kanzlerkandidaten
etwa per Urwahl bestim-
men. Diese Forderung
hatte die Junge Union
gleich zu Tagungsbe-
ginn am Freitag er-
hoben. Kramp-
Karrenbauer lehnt
eine Urwahl ab,
auch andere Spitzen-
politiker der Unions-
parteien sehen den
Vorschlag skeptisch.
Doch die Debatte über die
Kandidatenkür dürfte die
Vorsitzende nach dem JU-Votum
zumindest bis zum CDU-Bundespar-
teitag Ende November in Leipzig wei-
ter verfolgen.
Die Unzufriedenheit in den Reihen
des Parteinachwuchses bekam
Kramp-Karrenbauer in der Frage -
runde nach ihrer Rede auf dem
Deutschlandtag zu spüren. Zur Spra-
che kamen die „kommunikativen
Fehler“ im Umgang mit dem Video
des Youtubers Rezo, der vor der Eu-
ropawahl die „Zerstörung der CDU“
ausgerufen hatte. Und die Entschei-
dung der Parteichefin, entgegen der
ursprünglichen Ankündigung doch
ins Kabinett zu gehen und Verteidi-
gungsministerin zu werden. Das sei
kein großes Beispiel für Glaubwür-
digkeit, kritisierte ein Delegierter.
Keine offene Machtprobe
Das Treffen der Jungen Union in
Saarbrücken war eine Art Schaulau-
fen der potenziellen AKK-Rivalen im
Kampf um die Kanzlerkandidatur.
Neben Merz sprachen auch Gesund-
heitsminister Jens Spahn, Nordrhein-
Westfalens Ministerpräsident Armin
Laschet sowie Bayerns Ministerpräsi-
dent und CSU-Chef Markus Söder
zum Parteinachwuchs. Kramp-Kar-
renbauer spottete später bei ihrem
Auftritt, sie habe sich ein wenig an
die TV-Castingshow „Germany’s next
Topmodel“ erinnert gefühlt.
Gemeinsames Element der Reden
war die Geschlossenheitsrhetorik, of-
fen wird die Machtfrage in der Union
derzeit nicht gestellt. Laschet warnte
mit Blick auf die nächste Bundestags-
wahl vor einer rot-rot-grünen Koaliti-
on und sagte: „Wir müssen errei-
chen, dass ohne die CDU nicht re-
giert werden kann.“ Auch Söder
mahnte zu Zusammenhalt und rief
den Streit zwischen CDU und CSU
über die Flüchtlingspolitik in Erinne-
rung. Dieser habe der Union „funda-
mental geschadet“. Zwar müssten
die Schwesterparteien „Dinge auch
ausdiskutieren“ und dürften „keine
Scheinlösungen“ anbieten. Dies müs-
se aber so gelingen, „dass wir am En-
de gemeinschaftlich zum Erfolg kom-
men“.
Spahn zeigte sich „überzeugt da-
von, dass es uns nicht weiterbringt,
wenn wir uns öffentlich gegenseitig
Ratschläge geben, die auch manch-
mal Nackenschläge sein können“.
Der Gesundheitsminister sagte, der
politische Gegner stehe woanders,
„nicht in der eigenen Partei“ – darin
ist er sich mit der Parteivorsitzenden
einig.
Kommentar Seite 15
Union
Fernduell in
Saarbrücken
Beim Treffen der Jungen Union
ruft CDU-Chefin Kramp-Karrenbauer
die Partei zu Geschlossenheit auf.
Gesund-
heitsminis-
ter Spahn:
Ausgaben
im System
steigen.
imago images/photothek
Annegret Kramp-
Karrenbauer:
Schwieriger Auftritt
in der Heimat.
dpa
Der politische Gegner
sitzt immer außerhalb
unserer Reihen,
nie innerhalb.
Annegret Kramp-Karrenbauer
CDU-Vorsitzende
Kassenbeiträge
Arbeitgeber
kritisieren
Spahn
Wirtschaft & Politik
MONTAG, 14. OKTOBER 2019, NR. 197