Die Welt - 15.10.2019

(Steven Felgate) #1

4


15.10.19 Dienstag, 15. Oktober 2019DWBE-HP


  • Belichterfreigabe: ----Zeit:Belichterfreigabe: Zeit:Belichterfreigabe: -Zeit:-Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: Zeit:Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: -Zeit:-Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: Zeit:Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: ---Zeit:---Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: Zeit:Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: Belichterfreigabe: Zeit:Belichterfreigabe: :Belichterfreigabe: Zeit:Belichterfreigabe: Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: Zeit:Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: :Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: Zeit:Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: Zeit:Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: :Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: Zeit:Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: Zeit:Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: :Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: Zeit:Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: Belichterfreigabe: Zeit:Belichterfreigabe: :Belichterfreigabe: Zeit:Belichterfreigabe: Belichterfreigabe: Zeit:Belichterfreigabe: :Belichterfreigabe: Zeit:Belichterfreigabe: :Belichterfreigabe: Zeit:Belichterfreigabe: :Belichterfreigabe: Zeit:Belichterfreigabe: Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: Zeit:Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: :Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: Zeit:Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: :Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: Zeit:Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: :Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: Zeit:Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: Zeit:Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: :Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: Zeit:Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: :Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: Zeit:Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: :Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: Zeit:Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: Zeit:Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: :Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: Zeit:Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: :Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: Zeit:Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: :Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: Zeit:Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe:
    Belichter: Farbe:Belichter: Farbe:Belichter:


DW_DirDW_DirDW_Dir/DW/DW/DW/DW/DWBE-HP/DWBE-HP
15.10.1915.10.1915.10.19/1/1/1/1/Pol1/Pol1 AHEIDRIC 5% 25% 50% 75% 95%

4 POLITIK DIE WELT DIENSTAG,15.OKTOBER


A


n Russlands Präsident Wla-
dimir Putin kommt in die-
sen Tagen niemand in Nah-
ost vorbei. In den vier Jah-
ren seit dem russischen
Eingreifen in den Syrien-Krieg hat der
Kreml-Herr sein Land zur neuen politi-
schen Ordnungsmacht in der Region
aufsteigen lassen. Seit Donald Trump
im Weißen Haus sitzt und die Amerika-
ner sich als weltpolitischer Ordnungs-
polizist zurückziehen, zieht Putin kaum
angefochten die Strippen.

VON PAVEL LOKSHIN
AUS MOSKAU

Besonders gilt das für den Schlüssel-
konflikt Syrien, wo der russische Auto-
krat sich als unumstrittener Vermittler
etabliert hat. Ohne Putin passiert in
dem Bürgerkriegsland gar nichts, und
nun lässt der Kreml-Chef offenbar die
türkische Offensive im Norden des Lan-
des umstandslos zu.
Das grüne Licht für Erdogan läuft
nur auf den ersten Blick der russischen
Strategie zuwider. Putin stützt Assads
Regime und sollte Erdogans Vorstoß
daher eigentlich kritisieren. Bisher hat

Moskau stets betont, in Syrien dürften
sich nur Streitkräfte aufhalten und
einmischen, die Damaskus im eigenen
Land duldet – Russland selbst, ver-
steht sich. Die Türkei gehörte bisher
explizit nicht dazu. Doch Putin zeigt
sich, jedenfalls im Nahen Osten, als
äußerst flexibel.
Zu Beginn der Woche präzisierte Pu-
tin seine Position in einem Interview:
Über ausländisches Militär in Syrien
soll erst die künftige legitime Regie-
rung des Landes entscheiden – also ei-
ne, die nach der politischen Lösung des
Konflikts zustande kommt. Selbstver-
ständlich wäre das eine Lösung nach
den Vorstellungen Moskaus, und die
könnte mit dem türkischen Einmarsch
näher rücken und zugleich die Vermitt-
lerrolle Russlands in Syrien weiter ze-
mentieren.
Zum einen wird ein lang gehegter
Wunsch Russlands nun Realität: Der
türkische Angriff treibt die Kurden in
die Arme des syrischen Machthabers
Assad. Ihnen soll Moskaus Verfas-
sungsentwurf für die Nachkriegsord-
nung Syriens, den Russland seit zwei
Jahren im Rahmen des sogenannten
Astana-Prozesses mit dem Iran und

der Türkei diskutiert, zwar größere Au-
tonomie einräumen – aber unter dem
Daumen Assads.
„Die Interessen aller ethnischen und
religiösen Gruppen müssen garantiert
werden“, sagte Putin jüngst. Bislang
fehlte den Kurden das Vertrauen in die
wahren Absichten Assads. Dieses mag
auch heute gering sein, doch angesichts
der türkischen Bedrohung bleibt den
Kurden nach dem Abzug der Amerika-
ner keine andere Wahl.
Schon im September machte Putins
AAAußenminister Sergej Lawrow bei ei-ußenminister Sergej Lawrow bei ei-
nem Treffen mit Vertretern der kurdi-
schen Autonomie des Irak deutlich,
dass auch für die Kurden in Syrien eine
politische Lösung möglich sei – vo-
rausgesetzt, sie ordnen sich Assad un-
ter. Nun fanden die Verhandlungen der
syrischen Kurden mit dem Assad-Re-
gime ausgerechnet auf der russischen
Militärbasis Hmeimim in Assads Hei-
matregion Latakia statt. Für beide Sei-
ten also ist guter Kontakt mit Moskau
unerlässlich.
Zugleich wird der Nord-Feldzug der
Assad-Truppen von General Suheil al-
Hassan angeführt. Der Anführer der Ti-
ger Forces gilt als Kreml-freundlich und

wurde vor vier Jahren mit dem russi-
schen Orden der Völkerfreundschaft
ausgezeichnet.
VVVor zwei Jahren überreichte der rus-or zwei Jahren überreichte der rus-
sische Generalstabschef Waleri Geras-
simow al-Hassan einen Säbel und ei-
nen Dankesbrief von Russlands Vertei-
digungsminister Sergej Schoigu. Der
Syrer küsste ehrfurchtsvoll die Waffe
und pries die russische Armee und „al-
le russischen Länder vom Süden bis
zum Nordpol“.
Es ist kein Zufall, dass Baschar al-
Assad diesen Mann in den Norden Sy-
riens schickt. Assad ist über Erdogans
VVVorstoß gewiss nicht glücklich, doch erorstoß gewiss nicht glücklich, doch er
weiß: Ohne Putin kann er die Türken
nicht einhegen. Und der Kreml-Herr-
scher wiederum ist über den gewach-
senen Einfluss Moskaus in der Region
nicht unglücklich. „Moskau will Da-
maskus und Ankara an einen Tisch be-
kommen“, beschreibt der russische
Nahost-Experte Kirill Semjonow die
weiter gehenden Ziele Moskaus. Der
Kreml bezwecke einerseits den Aus-
gleich zwischen Erdogans und Assads
Interessen und versuche gleichzeitig,
fffür Assad so viel Gebietsgewinne wieür Assad so viel Gebietsgewinne wie
möglich herauszuholen.
WWWas also zunächst wie eine Kon-as also zunächst wie eine Kon-
fffrontation zwischen einem Nato-rontation zwischen einem Nato-
Partner (der Türkei) und Russland
aussieht, ist in Wahrheit pragmati-
sches Powerplay. Die Abstimmungen
zwischen Moskau und Ankara gehen
hinter den Kulissen unvermindert
weiter. Dazu passt auch Erdogans
jüngstes Statement, es werde „keine
Probleme in Kobani geben“. Putins
Pressesprecher Dmitri Peskow, selbst
ein ausgewiesener Türkei-Kenner und
in den 1990er-Jahren Diplomat in An-
kara, bestätigte, dass die Streitkräfte
der beiden Länder sich in engem Aus-
tausch befänden.
Putin hat nie einen Hehl daraus ge-
macht, dass sein Land die Sicherheits-
interessen der Türkei akzeptiert. In
Ankara nimmt man zufrieden zur
Kenntnis, dass Putin sich dabei auf das
Adana-Abkommen zwischen Syrien
und der Türkei von 1998 beruft. Es soll-
te sicherstellen, dass die Kurdische Ar-
beiterpartei (PKK) keine Hilfe von Sy-
rien erhält. Aus türkischer Sicht er-
möglicht dieses Abkommen erst die
jüngste Militäroperation.
Mit dem Verweis auf das Adana-Ab-
kommen zeigt sich der Kreml einmal
mehr als verlässlicher Partner, der sich
in Ankaras Wünsche einfühlen kann, ge-
rade angesichts der Reaktionen aus Wa-
shington und den europäischen Haupt-
städten. Die EU hat die türkische Ope-
ration als eine „Invasion“ kritisiert, ein-
zelne EU-Mitglieder Waffenlieferungen
an Ankara gestoppt. Die Sanktionen der
Amerikaner dürften bald folgen.
Fakt ist: Vor einem russischen Waf-
fenembargo muss sich Erdogan jeden-
falls nicht fürchten. Es ist gerade weni-
ge Monate her, dass die erste Lieferung
der russischen Luftabwehrsysteme
S-400 in der Türkei ankam – dafür ris-
kierte Ankara sogar einen Konflikt mit
Washington, immerhin dem wichtigs-
ten Nato-Partner.
Statt auf Konflikt stehen die Zeichen
zwischen Moskau und Ankara auf Annä-
herung. Erdogan dürfte es auch nicht
weiter stören, dass Putin wie von den
Kurden gefordert eine No-Fly-Zone in
Nordsyrien verfügte. „Schließlich kann
die Türkei kurdisches Gebiet auch aus
dem eigenen Luftraum heraus angrei-
fen“, sagt der russische Nahost-Experte
Semjonow.

AAAlle Wege in Syrien führen zu Putin lle Wege in Syrien führen zu Putin


Die vermeintliche Konfrontation zwischen Moskau und Ankara in Nordsyrien stärkt


in Wahrheit die Stellung des russischen Präsidenten – als Machtfaktor in der Region


Russlands lang gehegter Wunsch wird nun Realität: Der türkische Angriff treibt die Kurden in die Arme des syrischen Machthabers Assad

AFP

/ MAXIME POPOV

Die Weltgesundheitsorganisation
(WHO) zeigt sich besorgt über
die Lage der Zivilbevölkerung im
umkämpften Nordosten Syriens.
Seit Beginn der türkischen Mi-
litäroffensive gegen kurdische
Milizen Mitte der vergangenen
Woche seien bis zu 200.
Frauen, Männer und Kinder zur
Flucht gezwungen worden,
teilte die WHO mit. Fast 1,5 Mil-
lionen Menschen bräuchten me-
dizinische Hilfe, hieß es. Durch die
Gewalt sei das ohnehin schwa-
che Gesundheitssystem in der
Region noch mehr in Mitleiden-
schaft gezogen worden. Mehrere
Krankenhäuser könnten keine
Leistungen mehr anbieten, Ein-
richtungen seien angegriffen
worden. epd

UN: 200.000 Menschen in
Nordsyrien auf der Flucht

E


s kam wie erwartet: Die EU-Au-
ßenminister konnten sich am
Montag bei ihrem Treffen in
Luxemburg auf kein gemeinsames Waf-
fenembargo gegen die Türkei wegen des
Einmarsches in Syrien einigen. Die not-
wendige Einstimmigkeit kam nicht zu-
stande, mehrere Länder, allen voran
Ungarn, waren dagegen.

VON CHRISTOPH B. SCHILTZ
AUS BRÜSSEL

Die EU-Staaten verpflichteten sich
lediglich zu „starken nationalen Posi-
tionen mit Blick auf ihre Waffenexporte
an die Türkei“. Grundlage seien EU-Kri-
terien, wonach die Stabilität der Region
nicht gefährdet werden dürfe. Im Klar-
text heißt das: Jedes Land kann auf die
Offensive des türkischen Staatspräsi-
denten Erdogan gegen die Kurden im
Norden Syriens innerhalb eines gewis-
sen Rahmens so reagieren, wie es will.
Für mehr Aufregung als die vagen Er-
klärungen der EU-Außenminister sorgte
am Montagmorgen eine Äußerung von
Luxemburgs Chefdiplomaten Jean As-

selborn. Er warnte wegen der Militärof-
fensive der Türkei davor, dass die Nato
in den Konflikt hineingezogen werden
könnte. Sollte das Nato-Mitglied Türkei
von Syrien angegriffen werden, so kön-
ne sich das Militärbündnis mit dem
Bündnisfall konfrontiert sehen, sagte
Asselborn. Wörtlich sagte der Minister
aus Luxemburg: „Stellen Sie sich vor, Sy-
rien oder Alliierte von Syrien schlagen
zurück und greifen die Türkei an.“ We-
nig später ergänzte er: „Ich habe Nato-
Mitglied gesagt, dann sage ich auch Ar-
tikel 5. Das heißt, der Beistandspakt be-
steht. Auf Deutsch heißt das, dass alle
Nato-Länder, wenn die Türkei angegrif-
fen würde, dann einspringen müssten,
um der Türkei zu helfen“. Diese Vorstel-
lung sei für ihn „außerirdisch“.
In Brüsseler Diplomatenkreisen
herrschte Verwunderung über diese
ÄÄÄußerung. Ein Diplomat sagte, mögli-ußerung. Ein Diplomat sagte, mögli-
cherweise habe Asselborn durch seine
scharfe Äußerung vor der Sitzung in
Luxemburg den politischen Druck auf
die EU-Außenminister erhöhen wol-
len. Andere Diplomaten verwiesen da-
gegen darauf, dass kein europäischer

AAAußenminister mit dem Nato-Bünd-ußenminister mit dem Nato-Bünd-
nisfall, „spielen darf“.
Wie realistisch ist das Asselborn-Sze-
nario also? Fest steht: Der Konflikt
spitzte sich am Wochenanfang weiter
zu. Syrische Regierungstruppen haben
den Ort Tal Tamr nahe der Grenze zur
Türkei erreicht. Die syrischen Kurden
hatten zuvor aus taktischen Gründen
ein Abkommen mit der Regierung von
Syriens Diktator Baschar al-Assad be-
kannt geben. Gleichzeitig signalisierte
der türkische Präsident Erdogan einen
baldigen Angriff türkischer Soldaten
und ihrer syrischen oppositionellen
Verbündeten auf die von syrischen Kur-
den gehaltene Stadt Manbidsch. Es ist
demnach immer wahrscheinlicher, dass
das Nato-Mitglied Türkei demnächst
Kriegspartei sein wird.
Nun könnte nach Asselborns Logik
Artikel 5 ins Spiel kommen. Dieser Arti-
kel lautet wörtlich: „Die (Nato)-Partei-
en vereinbaren, dass ein bewaffneter
Angriff gegen eine oder mehrere von ih-
nen in Europa oder in Nordamerika als
ein Angriff gegen sie alle angesehen
wird; sie vereinbaren daher, dass im Fal-

zu Beginn der Offensive Ankara aufgefor-
dert hätte, sich wieder zurückzuziehen.
Deutschland, die Niederlande und Frank-
reich stellten sogar aus Protest vorüber-
gehend die Waffenverkäufe an die Türkei
ein. Nato-Chef Jens Stoltenberg erklärte
bereits in der vergangenen Woche un-
missverständlich: „Auch wenn die Türkei
ernstzunehmende Sicherheitssorgen hat,
erwarten wir von der Türkei, mit Zurück-
haltung vorzugehen.“
Vor diesem Hintergrund dürfte es na-
hezu ausgeschlossen sein, dass die not-
wendige Einstimmigkeit für eine Bei-
standspflicht zustande kommt – selbst
dann nicht, wenn Erdogan dies verlangen
sollte. Im deutschen Grundgesetz kor-
respondiert Artikel 5 des Nato-Vertrags
mit den Artikeln 24 und 115aGG. Sollte
wider Erwarten doch ein Bündnisfall zu-
gunsten der Türkei ausgerufen werden,
so müsste letztlich der Bundestag zu-
stimmen. Nur er hat das Recht, über den
Einsatz deutscher Soldaten außerhalb
der deutschen Grenze zu entscheiden.
Und er kann sich – trotz des beschlosse-
nen Bündnisfalles – gegen einen militäri-
schen Einsatz Deutschlands entscheiden.

Erdogans Einmarsch, im Zweifel ein Nato-Bündnisfall?


Die türkische Offensive in Nordsyrien stellt den Westen vor große Herausforderungen – auf die Nato sollte Ankara dabei aber nicht zählen


le eines solchen bewaffneten Angriffs
jede von ihnen in Ausübung des in Arti-
kel 51 der Satzung der Vereinten Natio-
nen anerkannten Rechts der individuel-
len und kollektiven Selbstverteidigung
der Partei oder der Parteien, die ange-
griffen werden, Beistand leistet (...).“
Im Klartext: Ein Angriff gegen ein Nato-
Mitglied wie die Türkei wird als Angriff
gegen alle angesehen. Der Bündnisfall
ist in der Nato-Geschichte bisher erst
einmal beschlossen worden: 2001 als
Reaktion auf die Terroranschläge vom


  1. September in den USA.
    Sollte die Türkei bald tatsächlich aus
    dem Nachbarland angegriffen werden, so
    könnte es also sein, dass auf Antrag An-
    karas zunächst einmal Konsultationen
    auf Grundlage von Artikel 4 des Nato-
    VVVertrags stattfinden. Dort müsste Ankaraertrags stattfinden. Dort müsste Ankara
    begründen, warum die „Sicherheit“ des
    Landes bedroht ist. Sollte die Erdogan-
    Regierung im Falle einer bedrohlichen
    Entwicklung dies tatsächlich tun, so wä-
    ren die Erfolgsaussichten „sehr, sehr ge-
    ring“, so die Einschätzung westlicher Di-
    plomaten. Sie verweisen darauf, dass die
    große Mehrheit der Nato-Länder bereits


N


ach dem türkischen Einmarsch
in Nordsyrien ist in Moscheen
in Deutschland für einen Sieg
der Türkei gebetet worden. So verbrei-
tete die türkische Religionsbehörde
Diyanet, die Imame an Moscheegemein-
den der Ditib, der Islamischen Gemein-
schaft Milli Görus (IGMG) und der Atib
entsendet, eine Freitagspredigt, in der
es wörtlich heißt: „Helfe unserer hel-
denhaften Armee, die einen Feldzug ge-
startet hat für die Sicherheit unseres
Landes“. Der „Kölner Stadt-Anzeiger“
berichtete zudem über ein Tondoku-
ment, das von der Ditib-Gemeinde in
Herne veröffentlicht wurde. „Allah, füh-
re unsere glorreiche Armee zum Sieg“,
heißt es darin. Eine Sprecherin der Di-
tib-Zentrale erklärte dort, dass dies
„von uns weder angewiesen noch ge-
plant“ worden sei.

VON FREDERIK SCHINDLER

Jetzt zeigen Recherchen auf Face-
book, dass in deutlich mehr Moscheen
für einen türkischen Sieg gebetet wur-
de. „Nach dem Gebet am Sonntagnach-
mittag wird die Sure des Sieges gelesen,
damit unser Prophet erfolgreich ist“,
heißt es etwa auf der Seite der Ditib For-
bach. Ein Vorstandsmitglied der Ditib-
Gemeinde Kirn postete, dass diese Sure
während des Einsatzes in Nordsyrien
„in den Moscheen im ganzen Land“ ge-
lesen werde. Auf der Seite der Ditib-Ge-
meinde Saverne heißt es: „Möge Gott
unsere Armee triumphieren lassen.“
Die Ditib-Gemeinde Horn-Bad Mein-
berg postete ein Zitat des Diyanet-
Chefs Ali Erbas, der betete, „unsere
glorreiche Armee siegreich zu machen“.
Auch die Zentrale der Islamischen Ge-
meinschaft Milli Görus verbreitete in
ihrer Freitagspredigt einen Zusatz zur
Militäroperation. Diese möge „Land
und Volk Gutes sowie Frieden in die Re-
gion bringen“. Ein Sprecher der IGMG
erklärte auf WELT-Anfrage, dass es sich
um ein „Friedensgebet“ handele. Die
IGMG habe „überwiegend türkeistäm-
mige Mitglieder, die Verwandte in der
Türkei haben oder Menschen kennen,
die ihren Militärdienst leisten und mit-
hin sehr besorgt sind“, so der Sprecher.
Ditib erklärte, dass die Facebook-Seiten
der Gemeinden ehrenamtlich gepflegt
würden und „im Widerspruch zu unse-
rer Haltung“ stünden. „Sobald wir sol-
che Aktivitäten feststellen, gehen wir
aktiv dagegen vor“, so ein Sprecher.
Gebete mit Bezug auf den Krieg in
Nordsyrien wurden auch von einem
hochrangigen Funktionär des Zentral-
rats der Muslime (ZMD) verbreitet.
„Möge Allah Sie segnen und Sie mit sei-
ner unsichtbaren Armee unterstützen“,
schrieb Mehmet Alparslan Celebi am
vergangenen Dienstag auf Twitter. Ce-
lebi ist stellvertretender ZMD-Vorsit-
zender sowie leitendes Mitglied im
Dachverband Atib, der als Abspaltung
der rechtsextremen „Grauen Wölfe“
entstand. Auf WELT-Anfrage distan-
zierte sich der Vorsitzende des Zentral-
rats, Aiman Mazyek, von seinem Stell-
vertreter. Der Tweet sei „eine private
Meinungsäußerung“ und gebe „nicht
die Haltung des Zentralrats wieder“, so
Mazyek. „Bekanntlich lehnt der ZMD
jede Form der kriegerischen Auseinan-
dersetzung grundsätzlich ab. Mutmaßli-
che Gebete zu welchen Kriegsführun-
gen auch immer haben auf der Mo-
scheekanzel nichts verloren.“
Der frühere Grünen-Abgeordnete
Volker Beck vom Bochumer Centrum
für Religionswissenschaftliche Studien
reagiert mit scharfer Kritik: „Die Unter-
stützung Allahs mit seiner Armee her-
beizuflehen, erinnert an dunkelste Zei-
ten des 20. Jahrhunderts“, sagte er. „Die
islamischen Verbände Ditib, IGMG und
Zentralrat der Muslime machen mit ih-
rem Vorgehen deutlich, dass sie religiö-
se Vereine mit einem politischen Kom-
munikationszweck und nicht Religions-
gemeinschaften sind.“
Der CDU-Bundestagsabgeordnete
Christoph de Vries fordert, dass Ditib,
Zentralrat der Muslime und IGMG aus
der Deutschen Islamkonferenz ausge-
schlossen werden, „wenn die Einheit
zwischen ihnen und dem türkischen
Staat nicht beendet wird“. Die Gebete
führten zu einer „Aufwiegelung tür-
kischstämmiger Bürger“ und zu einer
„Verbreitung von Nationalismus“, so de
Vries. „In Gotteshäuser gehören Gebete
für den Frieden, nicht aber Kriegs- und
Heldenverehrung. Die Glorifizierung
der völkerrechtswidrigen türkischen
Aggression in Hunderten Moscheen in
Deutschland ist unerträglich.“

Gebete in


Deutschland für


Erdogans Sieg


Kritik aus der Politik an
Predigten in Moscheen

© WELTN24 GmbH. Alle Rechte vorbehalten - Jede Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exclusiv über https://www.axelspringer-syndication.de/angebot/lizenzierung DIE WELT -2019-10-15-ab-22 6cb7e620bfeb43e554e08c6afebab

UPLOADED BY "What's News" vk.com/wsnws TELEGRAM: t.me/whatsnws

Free download pdf