Für ihren Debütroman „Kintsugi“ wird die
SchriftstellerinMiku Sophie Kühmel mit
dem ZDF-„Aspekte“-Literaturpreis aus-
gezeichnet. Die Jury lobt einen „erstaunli-
chen Debütroman“, der im S.-Fischer-Ver-
lag erschienen ist und auch auf der Short-
list für den Deutschen Buchpreis stand:
Kühmel gestalte das Werk „mit Bravour
und Raffinesse und durchleuchtet prä-
gnant den Beziehungsknäuel ihrer vier
Charaktere“. Der Roman erzählt eine
parabelhaften Geschichte über Liebe, Ab-
hängigkeit, Trennung, Heilung. Der mit
10000 Euro dotierte Preis wird am Don-
nerstag auf der Buchmesse verliehen. Der
„Aspekte“-Literaturpreis würdigt ein
deutschsprachiges belletristisches Erst-
lingswerk. Er wird zum 40. Mal vergeben.
Zu den bisherigen Preisträgern zählen Au-
torenwieHertaMüller,FelicitasHoppe,An-
dreas Maier oder Eugen Ruge. 2018 ging
die Auszeichnung an Bettina Wilpert für
„Nichts, was uns passiert“. sz, dpa
Namhafte Autoren haben sich in einem
offenen Brief für die Verlegerin Birgit
Schmitz ausgesprochen, von der der Ver-
lag Hoffmann und Campe sich gerade
trennt. Zuvor hatte die Ganske-Gruppe, zu
der Hoffmann und Campe gehört, den frü-
herenLeiterderVerlageAtriumundArche,
Tim Jung, als Geschäftsführer eingesetzt
und damit der bisherigen Programmleite-
rin Schmitz sowie der kaufmännischen
LeiterinStefanie Folleübergeordnet.„Dies
führte in der Folge dazu, dass Birgit
Schmitz auf für uns kaum nachvollziehba-
rem Wege dazu gebracht wurde, den Verlag
zu verlassen“, heißt es in dem Brief, den
unter anderem Can Dündar, Irene Dische,
Francis Fukuyama und Michael Haneke
unterzeichnet haben: „Die jüngsten Ereig-
nisse irritieren uns und unser Verhältnis
zum Hoffmann und Campe Verlag doch
sehr. Der Art und Weise, wie mit Birgit
Schmitz verfahren wird, möchten wir hier-
mitetwasentgegensetzen.Wirmöchtenihr
unseren Dank und unsere Wertschätzung
aussprechen, die größer nicht sein könnte.“
Der Verlag erklärte dazu nur dünn:
„Nach vorangegangenen erfolglosen Ver-
handlungen wurde das Arbeitsverhältnis
mit Birgit Schmitz beendet. Abschließen-
de Gespräche stehen zurzeit noch aus.“
Der Vorgang erinnert an den Rauswurf
der Verlegerin Barbara Laugwitz aus dem
Rowohlt-Verlag, die sich dazu jetzt im
Spiegelerstmals geäußert hat. Auch gegen
ihre Entlassung hatten Autorinnen und
Autoren in einem offenen Brief protestiert.
Sie sei davon sehr gerührt gewesen, so
Laugwitz: „Die haben durch diesen Einsatz
mein Ansehen, überhaupt meine Zukunft
gerettet. Dafür werde ich ihnen immer
dankbar sein.“
Über die Gründe für das Zerwürfnis
zwischen der Ganske-Gruppe und Birgit
Schmitz kann man indes nur spekulieren.
DieVerlegerin hatteim Jahr 2017 dieNach-
folgevonDanielKampaangetreten,dersei-
nen eigenen Verlag gründete. Im noch von
ihr verantworteten Herbstprogramm be-
finden sich internationale Autorinnen und
Autoren wie William Kelley und Véronique
Olmi,SachbücherderGlobalisierungskriti-
kerin Naomi Klein und von Paul Theroux.
Schmitz Nachfolger Tim Jung wurde in
derPressemitteilungderVerlagsgruppezu
seinem Amtsantritt zuvörderst für eine bei
Atrium installierte Krimireihe und dafür
gepriesen, mit der Veröffentlichung von
Erich Kästners „Blauem Buch“ einen mo-
dernenKlassiker„wieder inden Kanon der
erfolgreichstendeutschsprachigenSchrift-
steller (...) zurückgeholt“ zu haben. masc
von jör g später
H
irnrissig“ fand Uli Hoeneß die Idee,
eine Biografie über Gerd Müller zu
schreiben. Da reichen doch fünf
Sätze, meinte der Präsident des FC Bayern
München. Für ein Gespräch über seinen
langjährigen Weggefährten stand er des-
halbHansWoller, demBiografen, nichtzur
Verfügung. Was hätten Hoeneß fünf Sätze
sein können? Vielleicht: Gerd Müller kam
aus der Provinz. Er bildete mit Sepp Maier
undFranzBeckenbauer„dieAchse“(sosag-
temantatsächlich)derlegendärenBayern-
Mannschaft der 1970er-Jahre. Er wurde
zum „Bomber der Nation“ und Weltmeis-
ter. Nach dem Ende seiner Karriere wurde
der Torjäger Alkoholiker. Der FC Bayern in
Person von Hoeneß und Beckenbauer hol-
te Müller aus der Gosse und beschäftigte
ihn bis zu dessen Alzheimererkrankung
als Assistenztrainer im Amateur- und Ju-
gendbereich. Was also soll schon heraus-
kommen bei einer solchen Fußballerbio-
grafie?
Woller ist anderer Meinung über die
SubstanzderMüller-Geschichte.EristHis-
toriker, war langjähriger Redakteur der
Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte und
Experte für den italienischen Faschismus
–überBenitoMussolinihatervordreiJah-
ren eine hervorragende Biografie vorge-
legt. Die Geschichte des Fußballs ist für
Woller Teil der „richtigen“ Geschichte –
wie auch anders, wenn Woche für Woche
und ein Leben lang Millionen von Men-
schen sich mit dem Ball beschäftigen? Und
mit der Fußballgeschichte kann man auch
andere Dinge wahrnehmen als bloß das
Runde, das ins Eckige muss. Die Wahrheit
liegt manchmal auch neben dem Platz.
Was also sehen wir alles, wenn wir beim
Müllernzuschauen?Natürlichdensensati-
onellen Aufstieg eines Hochbegabten aus
kleinstenVerhältnissen in einem Spiel, das
selbstvomProletensportzumgesellschaft-
lich anerkannten und gehypten Kultur-
event mutiert ist. Dann den tiefen Fall des
Helden, der in der Gosse landet. Komple-
mentärdazudieAnfänge desProfifußballs
in Deutschland und seine Verstrickung in
wirtschaftskriminelle Machenschaften,
teilweise unter dem politischen Schutz des
CSU-Staates in Bayern. Zudem vermittelt
das Buch Einblicke in die gesellschaftliche
Entwicklung der Bundesrepublik, blickt in
ein autoritäres Milieu und zeichnet den
Wandel von Spielertypen nach. Schließlich
erzählt es eine kleine Geschichte von Alko-
hol und Doping im Fußball.
Sobald Gerd Müller den Rasen betrat,
war ereinandererMensch–energischund
entschlossen, vielseitig einsetzbar, ein ge-
nialerInstinktfußballer.WardasSpielvor-
bei, verwandelte er sich wieder zurück in
den schüchternen, scheuen und unsiche-
ren jungen Mann aus der Provinz, der sich
immer benachteiligt fühlte. Aber der Mül-
ler traf und traf, die Tore fielen, der Rubel
rollte – und der Torjäger im Rampenlicht
griffzu,wieundwoernurkonnte. Nichtan-
ders als die anderen übrigens. Unter dieser
GenerationderProfisherrschteeineso nai-
ve wie gierige Goldgräberstimmung.
Woller gibt Auskunft über Schein und
Sein des deutschen Profifußballs in seinen
Kinderschuhen, über die Wurstigkeit ge-
genüber Recht und Gesetz, die ihn von An-
fanganbegleitete undandersichniemand
störte. Das Publikum wollte Tore sehen
und Erfolge feiern, die große Politik eben-
falls, die Journalisten übertrafen sich in
Hofberichterstattung. Der gemeinnützige
DFB stellte zunächst enge Regeln für den
bezahlten Fußball auf, aber der FC Bayern
zahlte wie wohl die meisten andern auch
unter der Hand Extragelder.
Wiees der Bayern-Führung in den Sieb-
zigerjahrengelang,dieinzwischenhochka-
rätige Mannschaftzubezahlenundsichim-
mer wieder vor der Insolvenz zu retten,
kann auch Woller nicht genau erklären.
AbereinigeillegaleTricksundManöver im
GraubereichhaterdochdurchZeugenaus-
sagen rekonstruiert. Vor allem die Unzahl
von Freundschaftsspielen im Ausland, de-
ren Honorare die Spieler direkt im Flug-
zeug im Briefumschlag erhielten, die nicht
versteuert wurden. Politischen Begleit-
schutzleisteteimmerwiederdermitreisen-
de Erich Kiesl, Staatssekretär aus dem In-
nenministerium,der denZöllnern auf dem
Münchner Flughafen erklärte: „Ich bin der
StaatssekretärKieslunddasistderFCBay-
ern – also lasst uns durchgehen.“
Der FC Bayern schmückte die CSU, und
die Partei von Franz Josef Strauß unter-
stützte den Klub, wo es nur ging. Allerbes-
te Amigos waren sie, „eine Hand wusch die
andere, aber richtig sauber wurde keine“.
DerbayerischeFinanzministerLudwigHu-
berwarbeiSchwierigkeiten mitdenSteuer-
behörden gerne behilflich. Er stiftete die
Bayern-Führung offenbar sogar selbst zu
illegalen Praktiken an. Woller berichtet
über eine ganze Reihe von Steuerskanda-
len. So ist es nur folgerichtig, dass irgend-
wann fast jeder Spieler ins Visier der Steu-
erbehörden geriet, ohne ein Unrechtsbe-
wusstsein zu besitzen.
Woller berichtet auch vom Mentalitäts-
wandel der Spielertypen. Nach den ersten
großen Erfolgen stellte Müller etwa An-
sprücheinderNationalmannschaft–soet-
was hatteesvorhernichtgegeben.Nochun-
ter Herberger waren die Spieler „einberu-
fen“wordenundfügtensichindieVolksge-
meinschaftsmannschaft. „Uns Uwe“ hätte
niemals dem Trainer Vorschriften ge-
macht, die ersten Popstars des Fußballs
nun aber schon. Die Professionalisierung
sorgte zwar für ein knallhartes Leistungs-
milieu,aberauchfürdenAbbauvonautori-
tären Strukturen, einen Modernisierungs-
schub unter konservativen Vorzeichen so-
zusagen. Spieler wie Breitner, Hoeneß und
Rummenigge, die nächste Generation, be-
saßendasAbitur,warenaufstiegsorientier-
te Individualisten, Egoshooter und Alpha-
tiere,diedenFußballinersterLiniealsWa-
re betrachteten und eine radikale Wende
beimFCBayerneinleiteten,diedenaltern-
den Müller 1979 in die USA vertrieb.
Wollers Biografie beleuchtet die Schat-
tenseiten des Profifußballs. Die Bayern-
Stammspieler kamen wegen des chroni-
schen Geldmangels des FC Bayern auf
über 100 Spiele pro Saison. Das war eine
enorme physische Belastung, dazu kam
der psychische Druck des Erfolgszwangs.
Nach1974 wurdendieMünchnerWeltmeis-
terimmermehrzumürbenHelden.Dieme-
dizinischeBetreuung bestandausFitsprit-
zen.Cortisonund„Wundertränke“,vonde-
nen man nicht wusste, woraus sie bestan-
den, hielten die Spieler am Laufen und
manchmal bei Laune. Aufputschmittel wie
Pervitin und Dicodid hatten schon Wehr-
machtssoldaten gerne konsumiert. Den
Preis bezahlten die Fußballer erst später.
Die Alkoholabhängigkeit wurde bei
Gerd Müller allerdings schon während der
Karrieredeutlich. Nichtnur injedem Dorf-
verein wurde unentwegt gesoffen, auch
bei den Profis. „Wir sind doch Männer und
trinken keine Brause“, sagte einst der stark
angetrunkeneSchiriAhlenfelder,alserver-
sehentlich die Mannschaften bereits nach
30 Minuten zum Pausentee bat. Der gegen
EndeseinerKarriereimmeröfterfrustrier-
teMüllerwuchslangsam,abersicherindie
Alkoholsucht hinein. Nachdem er mit dem
Fußballaufgehörthatte,trankernurnoch,
weil nun der letzte Zwang zur Selbstdiszi-
plin wegfiel. Zu peinlichen Auftritten ka-
mengeschäftlicherMisserfolgundEhepro-
bleme. Bis Uli Hoeneß eingriff, der in den
Neunzigerjahren einen familienunterneh-
mensorientierten Blick auf das Fußball-
Business entwickelte. Mit Hilfe von Uschi
Müller ermöglichte er dem gefallenen Star
die besten–immerhin15–JahreseinesLe-
bens an der Seite von Hermann Gerland –
abseits von Glanz und Glamour und dem
Medienrummel, nur auf der Kickwiese.
Bei allen Nebengeschichten bleibt kein
Zweifel: Müller war das achte Fußball-
Wunder,einMagierdesStrafraums,einbe-
gnadeter Instinktfußballer. Woller liebt
den Gegenstand, den er kritisiert. Er er-
zählt mit großem Ballgefühl. Der Fußball-
phrasendrescher würde sagen: Der Autor
ist technisch beschlagen, seine Laufwege
stimmen, die Passkombinationen zwi-
schen den Erzählebenen gelingen. Woller
hat aber keines der üblichen Fußballbü-
chervorgelegt,sonderneineproblemorien-
tierteStudie,diezugleich großenUnterhal-
tungswert hat, auch und gerade für die
Liebhaber des Spiels.
Der Fall Müller ist mehr als eine morali-
sche Parabel vom Aufstieg und Nieder-
gang eines bildungslosen Weltstars aus
der Provinz. Er beleuchtet die kriminelle
Kehrseite des entstehenden Profifußballs
undzeigt,dassderProfifußballeinDrogen-
problem hat. Es ist ja vermutlich noch
schlimmer: Der Profifußball ist selbst die
Droge. Wie ist es sonst anders zu verste-
hen, dass wir Fußballfreunde diese gren-
zenlose, selbstzerstörerische Kapitalisie-
rung des Profifußballs immer weiter tole-
rieren und uns immer wieder für viel Geld
die Spiele von Mannschaften anschauen,
dienachweislichnichtnurgegendasFinan-
cial Fairplay verstoßen, sondern auch die
Aufklärung darüber behindern?
Hans Woller:Gerd Müller oder Wie das große Geld
in den Fußball kam. Eine Biografie. Verlag C.H.
Beck, München2019. 352 Seiten, 22,95 Euro.
„Bomber der Nation“: Gesellschaften charakterisieren sich auch durch die Namen, mit denen sie ihre Helden schmücken. Bei der Weltmeisterschaft in Mexiko 1970
erzielte Gerd Müller das Siegtor zum 3:2 der deutschen Nationalmannschaft gegen England in Leon. FOTO: HORSTMUELLER
Der Vorgang erinnert an den
Rauswurf von Barbara Laugwitz
aus dem Rowohlt-Verlag
Die Wahrheit liegt neben dem Platz
Als beim FC Bayern die Steuervermeidung zur Geburtshelferin des Profifußballs wurde:
Hans Wollers Biografie über Gerd Müller erzählt Gesellschaftsgeschichte der alten Bundesrepublik
Aspekte-Literaturpreis
für „Kintsugi“
Protest gegen
Verlegerwechsel
Birgit Schmitz verlässt
Hoffmann und Campe im Streit
Der Autor ist technisch
beschlagen, seine
Passkombinationen gelingen
Anhand von Zeugenaussagen
belegt Woller illegale Tricks und
Manöver im Graubereich
„Wundertränke“, bei denen
man nicht wusste, was drin war,
hielten die Spieler am Laufen
(^12) LITERATUR Dienstag,15. Oktober 2019, Nr. 238 DEFGH
Ein Angebot der Süddeutsche Zeitung GmbH, Hultschiner Str. 8, 81677 München.
© Robert Rieger
Veranstaltung
SZ Kultursalon Zwischen den Welten
mit Sara Nuru beim Bookfest, am Rande der Frankfurter Buchmesse.
Im Gespräch mit Susanne Hermanski, Leiterin der SZ-Kulturredaktion, erzählt die
einstige Gewinnerin von Germany’s Next Top Model über ihr Leben als Unternehmerin
und Aktivistin für fairen Handel.
Freitag, 18. Oktober, 19.30 Uhr | Tumult, Moselstaße 4, Frankfurt
Anmeldung per Mail an:
KU LTUR [email protected]