Haus hat Steinfußböden und nur ein Stockwerk, wie die
meisten alten Häuser der Gegend, es ist kühl und fast un-
heimlich still. Junker geht eine enge Holztreppe hinauf
und öffnet die Tür zum Dachboden. Dort riecht es nach
Stroh, große Dachbalken aus dunklem Holz tragen das
Dach, dazwischen Drähte, die das Reet halten. Keine Pla-
ne, kein Isolierschaum, nichts ist unter dem Reet ange-
bracht, nur die Halme trennen einen vom Himmel über
dem Haus. Ganze Blütenstauden sind erhalten, das Reet
ist an der Unterseite noch gelb und nicht grau wie außen.
Es ist dunkel, einzig durch ein Loch im Dach fällt Licht
herein. Ein Knäuel aus Spinnenweben hängt im Schein
des Sonnenlichts, darin hat sich ein Reethalm verfangen.
Junker deutet auf die dicken grauen Kabel, die sich an
der Innenseite der Dachbalken zum First hinauf- und an
den Dachlatten entlangziehen. Sie sind nur wenige Zen-
timeter von den Reethalmen entfernt. »So kann man das
nicht machen«, sagt Junker. »Wenn es hier einen Kurz-
schluss gibt, fängt das Reet an zu brennen.« Einige Tagespäter wird er die Kabel umverlegen, damit sie beim Nä-
hen des Daches nicht kaputtgehen.
Wie Junker da so steht, zwischen den Spinnweben und
der Elektronik, wirkt er wie verloren zwischen der Ver-
gangenheit und einer unbestimmten Zukunft. Auf dem
dunklen Dachboden scheint die Vergangenheit kurz
nach ihm zu greifen. Die Jahrtausende, in denen keine
Stromkabel durch Reetdachböden liefen, weil es noch
keinen Strom gab. Die Vergangenheit, in der Reetdächer
aber trotzdem abbrannten, weil die Menschen noch mit
offenem Feuer heizten. Die Vergangenheit, in der alles
ein Kreislauf war: Das Reet kam von der Elbe, wurde aufs
Dach gebunden – und, wenn das Dach abgedeckt wurde,
der Erde als Kompost wieder zurückgegeben.
Heute stehen in vielen ausgebauten Dachböden der Reet-
dachhäuser Lesesessel und King size- Bet ten. Das Reet
kommt aus Orten, die Tausende Kilometer entfernt sind.
Und wird ein Dach abgedeckt, gehört das alte Reet meist
in den Sondermüll.2 4.10.19 N^0 221
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