Die Zeit - 24.10.2019

(lu) #1

Ein Spaziergang im Stadtpark, am Rhododendron ent-
lang, unter Kastanien hindurch, die Farben des Herbs-


tes, aber was ist das: Schneeweiß leuchtet eine Plastik auf
dem Rasen. – Die muss neu sein!


Es ist eine schlanke Frau, deren Oberkörper zur Hälfte
von einem wallenden Tuch bedeckt ist. Der Stoff um-


schließt den Schemel, auf dem sie sitzt, und zu ihren Fü-
ßen hocken drei Jungs, an ihren Rockzipfeln hängend.


Treusorgend wirkt diese Mutter nicht. Mit der einen
Hand fasst sie sich an den Kopf, mit der anderen macht


sie eine abwehrende Bewegung, so als ob ihr alles zu viel
wäre. Überdies hat sie einen Vogel. Auf der Schulter sit-


zend, fährt er ihr mit dem Schnabel ins lockige Haar.
Mächtig sind die Falten ihres Umhangs: wie Furchen im


Dasein! Steinern ist der Stoff, sein weicher Fall eine ge-
konnte Il lu sion.


Eigenartiges Kunstwerk. Sieht nach Jugendstil aus.
Frauen schick sal steht am Sockel, und der Name der Bild-


hauerin: Elena Luksch-Makowsky (1878–1967).
Jetzt gibt es zwei Möglichkeiten: den Spaziergang durch


den Park fortsetzen oder durch die Jahrzehnte zurück-
gehen, auf der Spur des Frauen schick sals, das im Winter


1910 erstmals Gestalt annahm. Das schon hier und da
gestanden hat, meist in Kellern, ein herumgeschubstes


feministisches Kunstwerk.
Lange steht es im Stadtpark. Dann, am 9. Mai 1981,


wird die Frau mit den Kindern über Nacht vom So-
ckel gestoßen. Sind es »wilde Randalierer« (Bild) oder


»Kunstbanausen« (Abendblatt)? Es müssen Männer ge-
wesen sein, bei der rohen Kraft. Handelten sie aus Über-


mut? Trunkenheit? Wurde die vaterlose Familie ein Zu-
fallsopfer? Oder brachen unterschwellige Aggressionen


aus? Frauen schick sal – so ein Scheiß. Der zeigen wir’s!
Es gehört zum Mysteriösen des Vandalismus, dass im-


mer seine Wirkung zu erkennen ist, nie seine Ursache.
Die 25 über den Stadtpark verteilten Skulpturen wer-


den oft attackiert. Dieses Mal trifft die Wut das einzige
Werk, das von einer Frau stammt.


Die Künstlerin erlebt es nicht mehr. Es ist Peter Luksch,
einer ihrer drei Söhne, der die Hamburger Kunsthalle


bewegt, sich der umgestürzten Plastik anzunehmen.
Ein Jahr lang lagert sie irgendwo, den Blicken entzo-


gen, dann steht sie wieder, drinnen diesmal, im jugend-
stiligen Säulensaal, dem späteren Café Liebermann.


Creme far ben ist sie da noch, passend zum Kaffee und
Kuchen erschöpfter Museumsbesucher und ihrer quen-


geligen Kinder – seid doch mal still jetzt! Ihre Haut zeigt
Risse, jenes Craquelé, das nicht etwa durch die Hiebe


entstanden ist, sondern durch den Zahn der Zeit.


Als Mitte der Neunzigerjahre ein Tunnel gegraben wird,
um die Kunsthalle mit der Galerie der Gegenwart zu ver-
binden, steht das Frauen schick sal im Weg und kommt
einmal mehr in den Keller. Wie praktisch: ein On-off-
Kunstwerk. Auf keinen Fall soll die Plastik wieder ins
Freie – zu wertvoll.
Zwei Jahrzehnte vergehen, bis sich ein junger Mann
ihrer annimmt. Christoph Schreiber, Kunsthistoriker,
25 Jahre alt, konzipiert im Museum für Hamburgische
Geschichte die Ausstellung Park Pioniere – 100 Jahre
Hamburger Stadtpark. Der Kurator fragt sich: Wie stellt
man einen Park aus? Bäume passen nicht unters Dach,
Blumen wären lächerlich. Da stößt er auf die Skulptur,
ein Werk ohne Ort. So gibt das Frauen schick sal 2014 ein
Gastspiel als Exponat am Holstenwall.
Nach der Schau kommt die Frau mit den Kindern wie-
der in ein Depot, aber den Kurator lässt das Schicksal
des Frauen schick sals nicht los. Wie wäre es, eine Replik
der Plastik anfertigen zu lassen? Eine Kopie für den Park.

Elena Luksch-Makowsky 1907
mit ihren Söhnen Peter (links) und Andreas

Foto

Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg

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