Die Zeit - 24.10.2019

(lu) #1
Drei Stiftungen geben das Geld. Es sind die Böttcher
Stiftung, die Kunststiftung Christa und Nikolaus Schües
und die Karin Stilke Stiftung. Herr Stilke besaß einst
Bahnhofsbuchhandlungen, Frau Stilke war Nachkriegs-
deutschlands erstes Topmodel – ein Frauen schick sal
ganz anderer Art.
Freitagnachmittag, 5. April 2019, Kunsthalle, Unter-
geschoss, zwischen Kabelsträngen und Lüftungsrohren.
Ein Deckenfluter wirft grelles Licht in eine Abseite. Hier
steht das Frauen schick sal, eingecremt mit Vaseline, auf
einer braunen Pappe. Ein schwitzendes Ehepaar macht
sich an ihm zu schaffen. Jan Hamann, gelernter Stein-
metz und Bildhauer. Friederike Hamann, gelernte Ge-
mälderestauratorin. Sie rührt punktgenau den Gips an.
Er hantiert mit Becher und Kelle. Sie schmieren die graue
Paste in alle Winkel der Skulptur, in den Schoß der Frau,
hinter die Köpfe der Kinder. Sie stellen Gipskerne her,
die beim Abguss jede Nuance reproduzieren. Eine kon-
zentrierte Handarbeit über Stunden und Tage.
In ihrer Werkstatt, auf dem Dorf bei Wittenberge, wer-
den sie den Umriss der Skulptur haargenau nachbauen,
die Gipskerne hineinsetzen, die Form dann mit flüssi-
gem Kunststein füllen und auf einen Rütteltisch stellen,
durch dessen Vibration die Masse in jede Ritze sickert.
Wie zeitaufwendig! Allein der Lack muss zwei Monate
trocknen, um Sprayern standzuhalten. Vandalismus
wird gleich mitgedacht.
Das Frauen schick sal wechselt also sein Material, von Ke-
ramik zu Kunststein, von creme far ben nach schneeweiß,
als Zugeständnis an die gesellschaftlichen Umstände.
Zur Sicherheit wird die Skulptur auch eingescannt. Falls
ihr irgendwann ein Arm abgeschlagen wird, kann man
ihn dann mit einem 3-D-Drucker ausdrucken und wie-
der anbringen.
Christoph Schreiber, der an der University of Califor-
nia gerade seinen Doktor macht, begleitet die Arbeiten
von den USA aus. Er lebt in La Jolla, dem Blankenese
von San Diego, wo die Häuser stimmungsvoll auf Hü-
geln am Pazifik stehen. Zwei Minuten fährt er bis zum
Ozean, eine halbe Stunde bis zur mexikanischen Grenze.
Die Mauer, die Trump immer fordert, hier gibt es sie
schon, und der Diskurs in der Stadt dreht sich um Spra-
che, Im mi gra tion und Illegalität. Schreibers Lebensge-
fährte ist ein Amerikaner mexikanisch-kolumbianischer
Herkunft. So steht der Mann mit dem Sinn fürs Gestern
mitten in der Gegenwart.
Aufgewachsen ist er an einem anderen Ende der Welt, in
Neu Wulmstorf, jenem sub urba nen Zwitter aus Ham-
burger Telefonvorwahl und niedersächsischen Ferien-

zeiten. Zu Hause waren sie vier Kinder, der Vater Soldat,
die Mutter Werkzeugmacherin, erfolgreiche Eltern ohne
akademische Bildung. Die Berufswahl des Sohnes hat sie
überrascht. Ein paar Weichen anders gestellt, sagt er sel-
ber, und er würde heute Einbauküchen in Neu Wulms-
torf verkaufen – ein Männerschicksal.
Als der Stadtpark im Juli 1914 eröffnet wird, ist das ein
grüner Freiraum in der Stadt. Große Männer prägen
Hamburg zu jener Zeit. Der Oberbaumeister Fritz Schu-
macher hat einen Stadtparkverein gegründet, in dem
wohlhabende Bürger Geld für Kunst geben können. Wa-
rum kauft Schumacher das Frauen schick sal an? Weil er
von der Künstlerin Elena Luksch-Makowsky überzeugt
ist? Oder weil ihr Mann, der in städtischen Diensten
stehende Bildhauer Richard Luksch, zu viel zu tun hat,
um selber tätig zu werden? Das wäre, wenn, nicht unge-
wöhnlich gewesen. Es gibt etliche Künstlerpaare zu jener
Zeit, und immer steht der Mann im Vordergrund. Die
Frau ist bei Bedarf zur Stelle.
Schumacher ist jedenfalls so angetan von der Skulptur,
dass er 1928 in der Schrift Plastik im Freien – Versuche im

Foto Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg


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Urh.:

Walter Wittek
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