Frau Kreitz, wenn man sich Ihre Werke
ansieht, scheinen zwei Themenbereiche
Sie besonders zu faszinieren – histori-
sche Stoffe und Horror-Motive. Woher
stammt diese Faszination?
Ich habe als Kind wohl zu viel Zeit mit Er-
wachsenen oder mit mir allein verbracht.
Wir haben in dem großen Haus meiner
Großeltern gelebt. Der Dachboden war
mein Spielplatz, mein Rückzugsort und
ein Steinbruch für Geschichten: Dort la-
gerten die Hinterlassenschaften von drei
Generationen – jahrzehntealte Illustrierte,
historische Bücher und Bildbände, aber
auch die Werke von Erich Kästner und
Walter Trier. Ein Spielfeld für die Fan-
tasie, das meine Themenwahl bis heute
beeinflusst. Außerdem habe ich schon als
Kind Gruselfilme geliebt, ich hatte immer
Mitleid mit den Monstern, sie waren mir
sympathischer als die Helden und kamen
mir zu schlecht weg. Schon damals habe
ich kleine Bildergeschichten hergestellt,
um das zu korrigieren.
Sie haben sich eher mit den Monstern
als mit den Helden identifiziert? Für
ein Kind eher ungewöhnlich.
Ich war ein kleiner, dicker Klops, der lie-
ber in der Ecke saß, als mit den anderen
auf Bäume zu klettern. Ich hasste Sport
und Mannschaftsspiele und hatte Angst,
mir wehzutun. Das machte mich zur
Außenseiterin. Diejenigen, die mich hän-
selten oder ausschlossen, in Gestalt eines
Monsters in Angst und Schrecken zu ver-
setzen war eine schöne Vorstellung.
Sie hatten keine Freunde?
Ich habe schon früh Verlusterfahrungen
gemacht. Ein Nachbarjunge, damals mein
bester Freund, ist mit sieben an Leukämie
gestorben. Ich habe nicht wirklich be-
greifen können, was geschehen war. Zum
Glück kam ich kurz darauf in die Schule.
Die neuen Eindrücke haben mich abge-
lenkt. Außerdem habe ich schon immer
gerne gezeichnet, in der Schule habe ich
festgestellt, dass ich dadurch auch Sym-
pathien gewinnen konnte. Das Zeichnen
hat mir später in Krisensituationen sehr
geholfen.
Welche Krisen meinen Sie?
Als ich 22 war, ertrank mein Freund.
Ich studierte an der Fachhochschule
für Gestaltung und stand kurz vor der
Zwischenprüfung. Sein Tod hat mich
ziemlich aus der Bahn geworfen, und
ich wollte nur noch weg von zu Hause,
weg von den ewigen Fragen, wie es mir
geht. Eine Freundin, die für die Brigitte-
Redaktion auf Foto-Reise ging, bot mir
an, sie nach New York zu begleiten und
bei der Produktion zu helfen. Ich blieb
dann nur ein halbes Jahr dort.
Hat die Flucht funktioniert?
In gewisser Weise. In New York habe ich
ein Gastsemester an der Parsons School of
Design belegt und den Entschluss gefasst,
Comics zu zeichnen. Das hat meinem
Leben eine Richtung gegeben. Außer-
dem kann man als Comic-Zeichner sehr
gut seine psychische Gesundheit pflegen:
Man kann seine Frustration, seine Wut
auf Figuren projizieren und mit ihnen
tun, was man möchte. Das ist befreiend.
Hat das Zeichnen Ihnen auch gehol-
fen, mit der Trauer und dem Verlust
zurechtzukommen?
In meinen ersten beiden Comics, die bei
einem Kleinverlag erschienen, habe ich
den Tod meines Freundes verarbeitet. Die
Hauptfigur war ihm nach empfunden.
Am Ende stirbt diese Figur zwar nicht,
aber sie stürzt beim S-Bahn-Surfen ab
und lebt danach entstellt in einer Parallel-
gesellschaft, inmitten von Monstern in
einem U-Bahn-Schacht. Das entsprach
ziemlich genau meinem Gefühl – er war
weg, aber irgendwo im Untergrund auch
immer da.
Welche Funktion hatten diese Comics
für Sie?
Es war großartig, mich so mitteilen zu
können. Ich wollte über den Verlust und
den Schmerz nicht reden, und der Comic
war ein idealer Weg, davon zu erzählen,
ohne den Finger zu sehr in die Wunde
zu legen. Das Gefühl von Verlust und
fehlender Zugehörigkeit in einen Comic
packen zu können hat mir geholfen.
Eine Art Selbsttherapie?
Schon die Auseinandersetzung mit den
Fragen, was und wie ich erzählen will,
war heilsam. Dazu kam, dass ich das Leid
auf diese Weise kreativ nutzen konnte.
Wenn Sie in der Zeit zurückreisen und
Ihrem jüngeren Ich einen Rat geben
könnten – wohin würden Sie reisen,
und was würden Sie sagen?
Wohl in meine frühen Zwanziger. Ich
würde versuchen, mir Mut zu machen,
und mir raten, dauerhaft in New York zu
bleiben. Foto
Daniel Feistenauer
Eine Flucht nach New York brachte die Künstlerin zum Entschluss, Comics zu zeichnen
Das war meine Rettung ISABEL KREITZ
Isabel Kreitz, 52, wurde in Hamburg
geboren und ist eine preisgekrönte
Comic-Zeichnerin. Sie besuchte
in Hamburg die Kunstschule und war
Dozentin beim Comic-Seminar
Erlangen. Zuletzt erschien von ihr
»Minzi Monster in der Schule«
Das Gespräch führte Jörg Böckem
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