KOMMENTARE ZUR WOCHE
Foto: Tobias Schwarz/Getty Images
Bauernproteste: Alte Feindbilder retten
niemanden in die Zukunft
EZB: Missbraucht als
Wirtschaftsregierung
S
o große Bauernproteste hat es in
Deutschland seit zehn Jahren nicht
mehr gegeben. Zu Tausenden zogen
Landwirte mit ihren Traktoren am
Dienstag durch die Städte und protes-
tierten gegen die Agrarpolitik der Regierung. So
sah man sich mal wieder in die Augen, endlich.
Stadt und Land haben sich seit Jahren voneinan-
der entfernt. In der Bedeutung, in der Entwicklung
und im gegenseitigen Verständnis. Manche Städter
halten Bauern für Gift verspritzende Tiermörder.
Manche Landwirte sind überzeugt, in den Metro-
polen lebten naive Spinner, die sich noch nie im
Leben richtig dreckig machen mussten. »Sie säen
nicht, sie ernten nicht, aber sie wissen alles besser«,
stand jetzt auf einem Protestschild in Hamburg.
Der Ton ist teils robust. Auf dem Land disku-
tiert man traditionell anders als in einem Seminar
für Genderfragen, aber das geht in Ordnung. Dass
die Bauern mit ihren Traktoren ein paar Straßen
blockieren – geschenkt. Die Anhänger der Extinc-
tion Rebellion haben das ja auch gerade erst getan,
um für den Klimaschutz zu streiten. Und ist es
nicht beruhigend, dass Menschen große Themen
auf den Straßen debattieren, statt ausschließlich
auf Social Media herumzuhassen? So kaputt ist das
analoge Deutschland glücklicherweise noch nicht.
Weder haben die Klimarebellen SUV-Fahrer an
Laternen aufgehängt, noch haben Schweinemäster
Peta-Aktivisten mit Zugmaschinen gevierteilt.
Aber wer sind die Protest-Bauern eigentlich? Was
wollen sie? Und vor allem: Haben sie recht?
In der Landwirtschaftsszene gibt es verschiedene
Lager. Hinter den aktuellen Protesten steht die
Bewegung »Land schafft Verbindung«, nach eigenen
Angaben ein spontaner Zusammenschluss von mehr
als 30.000 Landwirten. Zwar gab es Gerüchte, die
Lobbyisten vom Deutschen Bauernverband steckten
dahinter. Allerdings wurde dieser von einer der
Protest-Organisatorinnen, der norddeutschen
Bäuerin Maike Schulz-Broers, im Wochenblatt für
Landwirtschaft und Landleben gerade marginalisiert.
Der Bauernverband werde »von der Politik nicht
gehört«, sagte sie. Stattdessen hätten oft Nichtregie-
rungsorganisationen (NGOs) die Meinungshoheit.
Der Bauernverband als ein von der Politik igno-
riertes Grüppchen zu bezeichnen ist sportlich. Zu-
mal die angeblich so einflussreichen NGOs auch
ständig jammern, dass niemand auf sie höre. Wer’s
nicht glaubt, soll mal bei der Deutschen Umwelt-
hilfe oder bei Greenpeace anrufen. Als moderner
Robin Hood, der geächtete Verteidiger von Witwen,
Waisen und anderweitig Entrechteten, fühlen sich
alle Seiten halt traditionell gut.
Die protestierenden Landwirte pflegen alte
Feindbilder. So werfen sie Politikern und NGOs
»permanent negative Stimmungsmache und Bauern-
bashing« vor. Lieber solle man miteinander reden.
Warum das so schwierig sein soll, verraten sie
jedoch nicht. Der Arbeitsgemeinschaft bäuerlicher
Landwirtschaft (AbL) gelingt es jedenfalls. Sie ver-
tritt die Interessen kleiner und mittlerer Betriebe
und versteht sich als Alternative zum Bauernver-
band. Pünktlich zu den Protesten veröffentlicht sie
mit Greenpeace, Brot für die Welt und BUND eine
gemeinsame und differenzierte Erklärung.
Sie fordern ein neues europäisches Subventions-
system, das sich künftig an artgerechter Tierhaltung
und klimaschonendem Ackerbau ausrichtet statt wie
bisher an der Betriebsgröße. Allein könnten Bauern
den nötigen Wandel nämlich nicht finanzieren.
Auch die Demonstranten von »Land schafft Ver-
bindung« wollen »ein Fortbestehen unserer Branche
in Deutschland ermöglichen«. Aber meinen sie da-
mit die Fortsetzung des Status quo? Oder eine An-
passung an sich ändernde Umstände?
Was den Abbau von Bürokratie angeht, sind sich
»Land schafft Verbindung« und AbL sogar einig. Es
kann ja auch nicht sein, wenn etwa Viehhalter aus
Gründen des Tierschutzes zum Umbau ihrer Ställe
gezwungen werden, den Umbau jedoch aus Grün-
den des Umweltschutzes oder Baurechts anschlie-
ßend nicht ausführen können. Ganz zu schweigen
von der Frage der Finanzierung.
Planbarkeit zu fordern ist nicht verwerflich. Ein
Ackerbauer kann sich ja noch entscheiden, ob er im
nächsten Jahr mehr Weizen oder mehr Mais anbaut.
Ein Viehhalter kann einen Schweinestall nicht so
umrüsten, dass er im nächsten Jahr darin Hühner
halten und danach darin Kühe melken kann. Jeder
Umbau kostet Geld. Und das kommt erst nach
Jahren wieder rein. Planbarkeit zu schaffen und
dafür Subventionen so umzuleiten, dass sie tier- und
umweltschonendes Verhalten fördern – das sollte
man konstruktiv bereden können. Wenn nicht alles
so bleiben soll, wie es ist. MARCUS ROHWETTER
E
inmal, in einer Rede vor sieben Jah-
ren, hat Mario Draghi ein gutes Bild
gefunden für seine Aufgabe an der
Spitze der Europäischen Zentralbank
(EZB). Der Euro, sagte er damals, sei
wie eine Hummel: Ein Wunder der Natur, denn
die Hummel sollte eigentlich nicht fliegen kön-
nen, sie fliegt aber trotzdem. Nun aber müsse aus
der Hummel namens Euro eine Biene werden,
deren Flugfähigkeit eben kein Wunder ist.
Den Euro vor dem Zusammenbruch zu bewah-
ren, das betrachtete Draghi von Anfang an als seine
wichtigste Mission. Und wenn er an diesem Don-
nerstag ein letztes Mal die Pressekonferenz der EZB
als Präsident leitet, wenn er am Montag mit Staats-
gästen seinen Abschied feiert, weil er Ende des
Monats sein Amt nach acht Jahren an die Französin
Christine Lagarde übergibt, ist das ein Maßstab, an
dem man ihn misst.
Und nach diesem Maßstab hat er seine Sache
gut gemacht. Der Euro hat überlebt – bislang. Das
ist Mario Draghis Verdienst.
Und Draghi ist noch etwas
anderes gelungen: Er hat die
EZB von einer teils improvi-
sierten und noch recht klei-
nen Organisation zu einer der
mächtigsten Notenbanken
der Welt gemacht. Allein das
Gebäude, in dem sie nun sitzt
- gigantisch, aber auch dis-
tanziert vom Rest Frank-
furts –, symbolisiert das. Und
die Genauigkeit, mit der die Finanzmärkte EZB-
Pressekonferenzen beobachten und auf jedes Wort
reagieren. Dazu kamen bedeutende neue Aufgaben
für die Notenbank: So beaufsichtigt sie nun Eu-
ropas Großbanken.
Gelungen ist Draghi das, indem er ein Vakuum
genutzt hat: Es gab – zu seinem Amtsantritt mitten
in der Euro-Krise – keine gemeinsame europäische
Wirtschafts- und Finanzpolitik. Die Krise aber
forderte eigentlich eine europäische politische Ant-
wort. Draghi hat die Leerstelle erkannt und aus-
gefüllt. Aus der EZB hat er eine Art europäische
Wirtschaftsregierung geformt. Das ging, weil sie
die einzige Institution war, die in der Krise ent-
schlossen und konsequent europäisch agierte.
Damit war er zunächst sehr erfolgreich. Den
Zusammenbruch des Euro hat er verhindert, zu-
nächst durch Worte, später durch Taten. Meist
ging es dabei um den Kauf von Staatsanleihen
klammer Euro-Länder oder um sehr viel billiges
Geld. Draghi hat Europas Wirtschaft durch die
Krise manövriert, indem er den Regierungen
Arbeit abgenommen und ihre Probleme mit
Geld zugeschüttet hat.
Diese Rolle der Neben-Wirtschaftsregierung war
aber zuletzt auch Draghis größtes Problem.
Denn erstens darf die Notenbank das gar nicht
sein. EZB-Präsidenten sind nicht gewählt und so-
mit nicht direkt demokratisch legitimiert, sondern
von der Politik eingesetzte Experten. Deshalb sind
sie dazu angehalten, sich eng an ihrem Mandat zu
orientieren, und das lautet im Fall der EZB nicht
Wirtschaftsregierung, sondern Preisstabilität.
Zweitens kann die EZB es gar nicht. Um die
Wirtschaft Europas zu steuern, braucht es mehr als
Geld-Zauberei. Es braucht Politik. So unangeneh-
me Dinge wie: die Staatsfinanzen in Ordnung
bringen, investieren, den Unternehmen Anreize
zum Investieren verschaffen, Reformen der Sozial-
systeme. All das kann die EZB nicht. Sie kann die
Probleme höchstens zeitweise übertünchen.
Und die Mittel der EZB
wirken mittlerweile kaum
noch. Deren Nebenwirkun-
gen treten hingegen immer
offener zutage. Der Kauf von
Staatsanleihen durch die
Notenbank macht klamme
Länder abhängig vom billigen
Geld, was den Ausstieg er-
schwert, und nimmt zudem
den eher konservativen Spa-
rern eine ganze Anlageklasse
weg. Das sorgt für Unmut in der Bevölkerung.
Jahrelanges billiges Geld begünstigt zudem Preis-
blasen, die wiederum Krisen begünstigen. Und über
die Null- und Negativzinsen gibt es sogar eine neue
wissenschaftliche Debatte: Es wird vermutet, dass
sie nicht mehr wirken oder mittlerweile sogar die
Wirtschaft bremsen, statt sie anzutreiben.
Trotzdem versuchte Draghi weiter, der Retter in
jeder Wirtschaftslage zu sein, worüber die Mit-
glieder des EZB-Rats sich kurz vor seinem Abgang
tief zerstritten haben. Vielleicht ist es deshalb gut,
dass er jetzt abtritt. Es ist Zeit für die Notenbank,
ihre Grenzen neu zu erkennen. Als Wirtschaftsregie-
rung taugt sie nicht. Sie muss einen Schritt zurück-
treten, die Verantwortung wieder an die echten
Wirtschaftspolitiker verweisen, die zuletzt in eine
Art Dornröschenschlaf gesunken waren.
Womöglich nützt es, dass die neue EZB-Präsi-
dentin einmal selbst Politikerin war. Sie traut ihrer
Zunft vielleicht mehr zu. LISA NIENHAUS
Draghi hat den
Euro gerettet. Und
die Notenbank
heillos politisiert
Facebook: Die eigene
Währung ist gescheitert
S
elten ist ein Unternehmen mit einer
neuen Geschäftsidee so spektakulär
abgeblitzt: Mit einer eigenen Wäh-
rung wollte Facebook die Welt er-
obern – und scheiterte am vergange-
nen Wochenende an den in Washington ver-
sammelten Finanzministern und Notenbank-
chefs der führenden Wirtschaftsnationen. Man
müsse dafür sorgen, »dass die Herausgabe einer
Währung eine Angelegenheit von Staaten bleibt
und nicht großer privater Firmen«, sagte Bundes-
finanzminister Olaf Scholz. Die Bedingungen
für eine Zulassung seien »nicht gegeben«, so sein
französischer Kollege Bruno Le Maire. Sogar die
amerikanische Regierung sieht die Sache skep-
tisch – und Projektpartner wie MasterCard, Visa
oder eBay sind inzwischen abgesprungen.
Dabei hatte Facebook sich etwas Faszinierendes
vorgenommen, zumindest wirkte es auf den ersten
Blick so. Der Internetdienst-
leister hat rund 2,7 Milliar-
den Nutzer – das entspricht
etwa einem Drittel der Welt-
bevölkerung. Für diese Men-
schen wollte Facebook eine
digitale Währung einführen,
den Libra. Der Libra sollte
von einem in der Schweiz
ansässigen Firmenkonsorti-
um herausgegeben und für
Bezahlungen im Netz ver-
wendet werden.
Die Idee: Es wird dann billiger, Überweisungen
zu tätigen, wovon vor allem Menschen in ärmeren
Ländern profitieren, die kaum Zugang zu traditio-
nellen Finanzdienstleistungen haben.
Das Problem: Die Herausgabe von Währungen
ist zumindest bislang eine hoheitliche Aufgabe. Den
Zentralbanken würde durch den Libra die Kon-
trolle über die Geldversorgung der Wirtschaft ent-
rissen werden. Es ist eigentlich nicht verwunderlich,
dass die Staatengemeinschaft davon wenig angetan
ist. Verwunderlich ist vielmehr, dass bei Facebook
offenbar niemand darüber nachgedacht hat, wel-
chen Sprengstoff das Vorhaben birgt. Sonst hätte
man erst einmal die politische Lage sondiert und
mögliche Kompromisslinien erörtert, bevor man
die Pläne ankündigte. Das ist nicht geschehen, so
versichern es zumindest hochrangige Regierungs-
vertreter. Facebook wollte alles – und bekam nichts.
Darüber muss man nicht allzu traurig sein. Beim
Thema Libra überwiegen eindeutig die Risiken. Es
stimmt schon: Staaten gehen mit der Notenpresse
nicht immer sorgsam um. Seit es Geld gibt, gibt es
die Versuchung, durch Inflation die Finanzproble-
me der öffentlichen Hand zu lösen. Aber alles in
allem hat die Menschheit mit staatlich kontrollier-
ten Notenbanken keine schlechten Erfahrungen
gemacht. Die haben nämlich einen entscheidenden
Vorteil: Sie können, weil sie das Geld praktisch aus
dem Nichts schöpfen, die Märkte in einer Finanz-
krise mit Barem versorgen und damit in Panik-
momenten zur Beruhigung der Lage beitragen.
Wird die Währung erst einmal privatisiert, ist
das möglicherweise nicht so leicht möglich. Beim
Libra lautete der Plan, dass er
durch Wertpapiere gedeckt
sein sollte. Das Angebot an
Libras lässt sich also nicht
einfach erhöhen. Und ist es
wirklich ein Fortschritt, wenn
das wirtschaftliche Wohlerge-
hen ganzer Staaten davon
abhängig ist, dass die Vor-
stände eines privaten Unter-
nehmens in einer solchen
Situation die richtige Ent-
scheidung treffen? Das wäre in einer Demokratie
zumindest eher ungewöhnlich – und von der Frage,
wie es um die Sicherheit der Zahlungsdaten von
fast drei Milliarden Menschen steht, war hier noch
nicht einmal die Rede.
Es ist also gut, dass aus dem Libra vorerst
nichts wird. Für die Politik sollten die Pläne von
Facebook dennoch ein Weckruf sein: Die Digi-
talisierung erfasst das Geld. Früher oder später
müssen Banken und Zentralbanken überzeu-
gende Lösungen anbieten, ob das nun ein digi-
taler Euro oder neue Zahlungsmethoden sind.
Sonst kommt irgendwann doch einer mit einer
guten Idee und setzt sich bei den Finanzminis-
tern durch. MARK SCHIERITZ
Die Idee: Mit
dem Libra werden
Überweisungen
billiger, weltweit
Traktorparade am Tiergarten in
Berlin am vergangenen Dienstag
22 WIRTSCHAFT 24. OKTOBER 2019 DIE ZEIT No 44
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