Die Zeit - 24.10.2019

(lu) #1
Sieht aus wie ein echter Gerhard
Richter, ist es aber nicht

Dieses Werk hingegen ist echt:
»Abstraktes Bild (705-2)«, 1989

Fälschung,


lautet die Diagnose


Wie ein Berliner Galerist ins ganz große Kunstgeschäft einsteigen wollte – und jetzt


wegen dringenden Betrugsverdachts verhaftet wurde VON STEFAN KOLDEHOFF UND TOBIAS TIMM


Z


wei Männerhände ragen aus einer wei-
ßen Wand und halten zerknüllte Dollar-
scheine fest. Um die Handgelenke hän-
gen eine fette Golduhr – und solide
Handschellen. Der Schweizer Künstler
Fredy Hadorn hat 2009 dieses täuschend echt aus-
sehende Werk aus Kunststoff geformt, es soll an den
Investment-Betrüger Bernie Madoff erinnern, und
es ist ein etwas sehr deutliches Symbol dafür, dass
sich auch in der Welt der Kunst vieles nur noch um
Geld und Gier und Anlagebetrug dreht. Zum Niko-
laustag 2018 postete der Berliner Galerist Michael S.
dieses Kunstwerk auf Insta gram: »We wish many gifts
for every one« stand darunter.
Manchmal übertrifft die Wirklichkeit noch die
größten Klischees in der Kunst. Vergangene Wo-
che nämlich wurde ausgerechnet jener Galerist,
der die Nikolausgrüße mit den Handschellen-
Händen in die Welt geschickt hatte, in Charlot-
tenburg vom Berliner Landeskriminalamt festge-
nommen. Der Haftrichter erließ einen Haftbefehl.
Der 67-Jährige muss aber nicht ins Gefängnis,
sondern sich nur bis auf Weiteres regelmäßig bei
der Polizei melden, die Ermittlungen sind noch
nicht abgeschlossen. Es geht um schweren Betrug
beim Verkauf von Kunstwerken; mehrere Perso-
nen sollen betroffen sein, der Schaden betrage etli-
che Millionen Euro. Der Galerist stehe zudem im
dringenden Verdacht, so die Polizei, Urkunden

gefälscht zu haben. Nach Informationen der ZEIT
und des Deutschlandfunks tauchte bei einem
Kunden ein gefälschtes Gemälde von Gerhard
Richter auf.
Für den Verdächtigen gilt die Unschuldsvermu-
tung, aber die Geschichte an sich ist symptomatisch
für den aktuellen Kunstmarkt. Kleine und mittlere
Galerien wie Auktionshäuser leiden unter enormem
Druck, viele von ihnen müssen schließen. Nur noch
einige wenige, weltweit bedeutende Unternehmen
können im Konkurrenzkampf um den Verkauf jener
Werke mithalten, die von den wenigen Künstlern
stammen, die international als profitable Wertanlage
gelten. Wie bei der Verteilung des globalen Reich-
tums zeigt sich auch in diesem Feld eine enorme Kon-
zen tra tion: Die oberen zehn Prozent der Galeristen,
Auktionatoren und Künstler teilen fast das kom-
plette Geschäft unter sich auf.
Der Berliner Galerist ist eine bekannte und
durchaus barocke Figur auf diesem globalen
Kunstmarkt. Er unterhält – oder unterhielt –
Dependancen in Südkorea und China, nahm an
Kunstmessen in Dubai und Miami teil. Gern
zeigte er sich in der Öffentlichkeit, auch mit Po-
litikern wie Gerhard Schröder; Bunte und B.Z.
berichteten regelmäßig über seine Ausstellungen.
Der Galerist rühmte sich auf seiner Internetseite
und in Interviews, die großen zeitgenössischen
Künstler des Landes auszustellen: Gerhard Rich-

ter, Georg Baselitz, Sigmar Polke, A.R. Penck.
Hinzu kamen noch Werke von Andy Warhol und
ein Porsche, in dem der New Yorker Pop-Art-
Künstler einmal gesessen haben soll. Viele junge
Künstler hat S. früh unterstützt und bekannt ge-
macht, etwa den Maler Norbert Bisky, der sich
aber 2007 eine neue Galerie suchte.
Michael S., so erzählen es Künstler, Galeristen
und Sammler, die mit ihm zu tun hatten, sei ein
charmanter, gewitzter Mann. Ein auch körper-
lich mächtiger Golfspieler, der gern Fotos von
Schlachteplatten online stellt. Er habe so man-
chem Künstler zu einer Karriere im Kunstbetrieb
verholfen und den Reichen zu einem schönen
Hobby.
Doch das Kunstsammeln ist längst nicht mehr
nur ein Hobby, es dient heute mehr als je zuvor der
Geldanlage, der Profitmaximierung, dem kurz-
fristigen Wiederverkauf, dem sogenannten Flipping.
»Ach, Leidenschaft ist vorbei«, sagte der Galerist
2017 in einem Interview mit dem Tagesspiegel: »Man
hat doch sehr gern die Per for mance der Preis-
entwicklung im Auge, auch wenn man es nicht zu-
gibt. Heutzutage kann man ja auch viel offener sa-
gen: Ich verdiene mit Kunst Geld – das war vor zehn,
fünfzehn Jahren total verpönt.« Ein Bild von Ger-
hard Richter, so sagte er, sei eine »Aktie an der
Wand«. Deshalb organisierte er wohl auch Käufe
von Kunstwerken, so hört man, an denen er, wie

andere Kollegen, nur Anteile hielt, belieh einzelne
Werke und vergab Kredite gegen Bilder.
Der lebenslustige Galerist beteiligte sich an ei-
nem Spiel, für das man viele Millionen Euro pro
Deal einsetzen muss: Man kauft ein Gemälde für
zehn, fünfzehn Millionen und verkauft es dann
möglichst schnell mit ein paar Millionen Gewinn
weiter. In diesem sogenannten Secondary Market
für wirklich bedeutende Werke von Richter, Base-
litz und Warhol sind weltweit nur ein, zwei Dut-
zend Händler aktiv. Einer von ihnen, der anonym
bleiben möchte, erzählt nicht ohne Anerkennung,
dass der Mann aus Berlin es immer wieder ge-
schafft habe, selbst solche Bilder zu verkaufen, die
als »durchgehandelt« galten: als schon sehr lange
angeboten und deshalb nicht mehr wirklich
begehrt. An das von U-Boot-Fahrern entlehnte
Motto elitärer Privathändler – »run silent, run
deep« – habe sich Michael S. allerdings nicht unbe-
dingt gehalten.
Schon 2015 stand der Galerist in Berlin wegen
eines Leihgeschäfts vor Gericht, bei dem er ein
ihm zuvor als Pfand für einen Kredit übergebenes
Gemälde von Gerhard Richter bei der Polizei und
der Versicherung als gestohlen anzeigte – obwohl
er es selbst verkauft hatte. Das Gerichtsverfahren
wurde gegen die Zahlung von 15.000 Euro wegen

Ein grundsätzlicher Irrtum der Gegenwart
besteht darin, Haltungen politisch begrün-
den zu wollen, die überhaupt keine politische
Begründung nötig haben, weil sie sich sowie-
so von selbst verstehen. Der seit Kurzem kur-
sierende Begriff »Flugscham« zum Beispiel
fand aus genau diesem Irrtum heraus seinen
Weg in unser öffentliches Gespräch: Man
solle, so legt das Wort nahe, das klima schäd-
liche Reisen in Verkehrsflugzeugen endlich
zu einer ähnlich schambehafteten Sache
machen, wie es einst der Besuch eines Porno-
kinos oder das Biertrinken in der Öffentlich-
keit war. Man soll sich schämen fürs Fliegen.
Aber braucht man dafür tatsächlich den
Blick aufs CO₂-Budget? Nein, für Flugscham
reicht der Blick auf die zerknautschten Männ-
chen und ihre Nackenhörnchen im Flughafen-
wartebereich, zwischen Sandwichautomat und
Raucheraquarium. Ihr Elend beginnt bereits
an der Sicherheitsschleuse: Nichts kann gelin-
gen, wofür man seine Schuhe ausziehen muss,
um auf Socken herumzuwatscheln (ja, Anna-
Lena, das gilt auch für deine WG-Partys!).
»Früher war Fliegen noch ein Gentleman-
Sport«, wusste Tingeltangel-Bob in der Fern-
sehserie Die Simpsons, »heutzutage kann sich
jeder Quackel hinter ein Frühstücksbrett
klemmen und nach Hous ton jetten.« Dort
hängt man dann fest
und kleckert sich die
Soße vom mikrowel-
lenheißen Flugzeug-
essen auf die Hose.
Nach der Landung
springen alle panisch
auf, um sich anschlie-
ßend im Gang die
Füße wund zu stehen,
den Kopf so komisch
schräg eingezogen, als
habe man sein Rück-
grat vor Jahren schon
in der Sieben-Uhr-Maschine verloren.
Schlange stehen vor der Sicherheitskon-
trolle, Schlange stehen beim Boar ding, dann
Schlange stehen im sogenannten Finger, der
ins Flugzeug hineinführt, dann im Flugzeug
Schlange stehen, bis alle ihr Handgepäck in
die viel zu kleinen Ab lagen reingeknetet ha-
ben, dann Schlange stehen vorm Klo, später
dann Schlange stehen am Gepäckband und
am Taxistand. Fliegen ist das Fortbewegungs-
mittel für alle, die gerne dumm rumstehen
und warten. Es sollte dem militärischen Ein-
satz, dem Freizeitsport und wenigen aus-
gewählten Berufsgruppen vorbehalten blei-
ben, zum Beispiel Himmelsschreibern oder
ADAC-Mitarbeitern, die durchfallerkrankte
deutsche Urlauber aus dem Ausland zurück-
holen. Schon aus geometrischen Gründen
taugen Flugzeuge nicht für Reisen auf einer
Kugeloberfläche: Der kürzeste Weg zwischen
zwei Punkten auf der Erde führt nie durch
die Luft, sondern immer durch den Boden.
In diesen soll sich jeder schämen, der ohne
Not ein Flugzeug besteigt. Über Klima muss
er dafür gar nichts wissen. Man soll den Leu-
ten sowieso nicht mit Moral kommen, wenn
es schon reichen würde, ihnen einmal die
Stilfrage zu stellen. LARS WEISBROD

Nie wieder


Nackenhörnchen


Warum man für Flugscham
keinen Klimawandel braucht

Für Klimasünder
Strafe genug: Das
Essen im Flugzeug

Abb.: © Gerhard Richter 2019 (18102019); Foto r.: Valerie Schmidt/Plainpicture

Fortsetzung auf S. 52

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FEUILLETON 51



  1. OKTOBER 2019 DIE ZEIT No 44


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