Berliner Zeitung·Nummer 249·26./27. Oktober 2019–Seite 2yJ
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Feuilleton
ºHassennur'sterreicheraufDeutsch·»
NichtnurwegendieserKapitelüberschrifthilftdasneueBuchvonKarlHeinãBohrerinderHandkeDebatteSeiten 26 und 27
V
anGoghundkeineEnde.
Nach publikumsmagneti-
schen Bildversammlungen
inParis,Londonund’s-Her-
togenboscheröffnennunfastgleich-
zeitigimPotsdamerBarberiniundim
FrankfurterStädel-MuseumAusstel-
lungenmitBilderndesNiederländers
(1853-1890).DerHunger nach der
Kunst diesesVorreiters derModerne
istungestillt.Seinerzeitwarereinver-
kanntes,inbloßzehnJahrengereiftes
Genie.Erlebte in Armut, suchte ob-
sessivdesPudelsKerninder Malerei.
Er war mehrmals unglücklichver-
liebt, wegen der Abweisung derMe-
lancholie und demWahnsinn verfal-
len.HeutesindseineBilderso rarwie
unbezahlbar.Das alles macht den
MythosVanGoghaus.
Es ist aber auch die Ironie der
Kunstgeschichte.Sie repetiertlie-
bend gernund wirkmächtig das
Skandalöse:Dasfür Gefährten uner-
trägliche Verhalten des Pastoren-
sohns undSonderlings ausGroot-
Zundert, seineRastlosigkeit, die per-
manente materielle Bedürftigkeit,
das abgeschnitteneOhr, das Psy-
chiatriejahrinderProvence,dermut-
maßliche Suizid im französischen
AuversprägendieLegende.
Wiewohltuend, dass es jetzt ne-
ben demMythos einmalvornehm-
lich um den freilich eng mit der
schwierigenBiografie verschränkten
Malstil und dessenWirkung auf die
Kunst der Moderne bis heute geht.
DassVanGoghsSchaffendochnicht
auserzählt ist, beweist dasBarberini
in dieser erlesenen Schau des Chef-
kurators und Van-Gogh-Forschers
Michael Philipp.Wer nun erwartet,
auf die delirierendenNachthimmel
undein DefileederzumLabelgewor-
denen, vonder Souvenir-Industrie
argvernutzten Sonnenblumen zu
treffen,könnteenttäuschtsein.
SymboldesLebens
Als erstesAusstellungshaus derWelt
widmet das Barberini sich aus-
schließlichdenStilllebenVanGoghs.
170haterhinterlassen,eingroßerAn-
teil des stillenGenres unter seinen
insgesamt 864Gemälden.DasMu-
seumbekam27Leihgaben,ausdem
Van-Gogh-Museum Amsterdam, aus
demKröller-Müller-MuseumOtterlo,
sowieausSammlungeninallerWelt.
WirstehenvorVincentsallerstem
Bild. Da war er 27 und malte einen
Kohlkopf und Klompen (Holzpanti-
nen). Am anderenEnde der Schau
hängt das letzteStillleben,wenige
Wochen vordem Todgemalt: eine
Kastanienkerzeinvoller,geradezuex-
pressiverBlüte.SymboldesLebens.
Wirsehen,wieersichandernie-
derländischen Stillleben-Tradition
des 17. und 18.Jahrhunderts,am
rembandtesken Licht auf dunklem
Grundabarbeitete.Dafürabernahm
erkeineexotischenGegenständewie
seine Vorfahren aus demBarock. Er
wählteininnigerNähezurNaturKar-
toffeln, Zwiebeln, Kohlköpfe,Kür-
bisse,Gräser,verschrumpelndeZi-
trusfrüchtealsmorbideSymboleder
Vergänglichkeit, schlichteFeld- wie
Gartenblumen, in denen er die
SchönheitderNaturbeschwört.Und
sogardieeigenengrobenSchuhe,wie
zum Zeichen des Ankommens und
desWeglaufenwollens.
All diese eher banalenDinge er-
hob er zurKunst, gab ihnen einEi-
genleben.NochimdüsterstenVogel-
nest glühen geheimnisvoll alleFar-
ben dieserWelt leidenschaftlich auf.
UnderstrechtpulsiertdasLeben,wo
erNaturund GegenständeimKolorit
des französischen Südens auf die
Leinwand setzte,mit den Komple-
mentärfarben experimentierte,sei-
nen markantenPersonalstil gefun-
den hatte.Der Einfluss des japani-
schen Farbholzschnittes verstärkte
dieWirkung.JedesMotivistmitper-
sönlichenBezügen symbolischauf-
geladen:Flaschen, derbemBauern-
geschirr,Pfeife,Briefe,Kerzen.Anden
Bruder Theo schriebVanGogh:„Ich
übernehme vonder Natureine ge-
wisse Reihenfolgeund Genauigkeit
derPlatzierungderTöne,ichstudiere
die Natur, damit ich keinen Unsinn
mache und vernünftig bleibe; doch
ob meine Farbe buchstäblichgenau
dieselbeist,daranliegtmirnichtwei-
terviel,wennsienuraufmeinemBild
gutwirkt...“
In zweigegenüberliegendenSaal-
folgenwerdendieNature-Morte-Mo-
tivegeradezufeierlich auf dunklem
WandgrundundinkostbarenPrunk-
rahmen zelebriert. „Stilllebenmalen
istderAnfangvonallem“,schriebder
Maler1884anTheo,seineneinzigen
Mäzen.Ihmgingesnichtnurumdie
Wiedergabe der Gegenstände,son-
derndarum,derNaturunddenDin-
gen Leidenschaftzu verleihen.All
diesestillenBilderdientenVanGogh
auchzurSelbstvergewisserung.
Nichtzuletzt reagierte er so auf
den übermächtigen Impressionis-
mus,den er in Pariszwischen1886
und 1888 kennenlernte und aufsog
wieeinSchwamm–umsichbalddar-
aufdavonabzusetzen.Miteinemei-
genwilligen,keinerModegehorchen-
denStil,derdennochimletztenJahr-
hundertgewiefte Fälscherauf den
Planrief.
DieMohnblumensindecht
IneinemderbeidenSälehängteine
Sensation.DasBildisteinwiderleg-
terIrrtum,einausgeräumterZweifel:
Forscher des Van-Gogh-Museums
AmsterdamstelltenvorMonatendie
Echtheitder„VasemitMohnblumen“
fest, gemalt 1886 unter dem wohl
überwältigendenEindruck derPari-
serImpressionisten. Über 30Jahre
langgaltdasfaszinierendeGebinde−
einst dasJuweldes Hartford-Wads-
worth-Atheneum-Museums im US-
Staat Connecticut−als Fälschung
undlagerteverachtetim Depot.Dort-
hin gelangt war dasVan-Gogh-unty-
pische,inLasurtechnikstattmitdem
strich- oder kommaartigenStakkato
gemalteMotivEndeder1950er-Jahre
durcheineprivateSchenkung.
VorMonaten gelangten dieFor-
scher desVan-Gogh-Museums Ams-
terdam mit neuestenHightech-Un-
tersuchungen, Stil- und Pigment-
Analysen zu dem Ergebnis: Die
Mohnblumensindecht.Auchenthält
einBriefvon1886andenFreundHo-
race Livens die Schilderung, wie er
denSommerdamitverbrachte ,einfa-
cheBlumenzumalen:Mohnblumen.
DieMohnblumen wachsen aus
der weißen Vase förmlich heraus,
glühen,reckenunsihregeöffneten
Blätterundihrenochverkapse lten
Knos pene ntgegen.DerHinter-
grundinBlauun dSchwarzdeutet
einwenig den typischen Van-
Gogh-Himmel an.DerStrei tum
das Bild ist Vergangenheit. Nun
hängt es wieder im Licht, feiert
Wiederau ferstehunginPotsda m.
Museum BarberiniPotsdam,AlterMarkt,Hum-
boldtstr 5–6,vom 26. Oktober bis zum 2. Februar
2020, Mi–Mo 10–19 Uhr,jeden ersten Do im Mo-
nat bis 21 Uhr,Katalog (Prestel) 29,95Euro.
Begl eitprogrammmit Lesungen(u.a.Ulrich Mat-
thes)undTalks:www.museum-barberini.com
Diese Sensation kam als Leihgabe aus den USA nachPotsdam: „Vase mit Mohnblumen“, 1886. Einst Ikone des Museums Hartford in Connecticut, galt
es seit 1987wegen seines Lasurstils als Fälschung.Die neuesteForschung aber gab ihm unlängst das Echtheitszertifikat zurück. LEIHGABE MUSEUM HARTFORD
Ingeborg Ruthe
liebt besondersVanGoghs
Schrumpelzitronen.
DerAnfangvonallem
DasPotsdamerMuseumBarberiniãeigtalserstesAusstellungshausderWelt
ausschlielichdieStillleben7incentvanGoghs
VonIngeborg Ruthe
„Selbst mit Strohhut“, 1887, drei Jahre
vor seinemTodIMAGO/VAN GOGH MUSEUM AMSTERDAM
Das FliegendeAuge
mit dem
Afrikamer
a-Festival
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