26./27. OKTOBER 2019 7
I
nteressierenSiesichfürsKlima?“,fragt
die Frau mitder Schirmmützeeine
jungeDameinroterJackenebender
Gedächtniskirche in Charlottenburg.
DieDame sitztnebendemEingangund
scheint verwirrt. Aber nach einerWeile wird
siesichderkleinenGruppevonAktivistenan-
schließen, die sich amBreitscheidplatzver-
sammelt hat.Binnen Sekunden packen sie
Plakateaus,aufdenen„Listentotheclimate
bells“stehtund„StrejkförKlimatet“.Siehal-
ten sie für genau zweiMinuten hoch–so
langewiedieKirchenglocken18Uhrläuten.
SeitfastzweiMonatenkommenjedenTag
um dieseZeit ein paarBerliner hierher,um
aufdenKlimaschutzaufmerksamzumachen.
„Aufmerksamkeit ist unsereheutige Wäh-
rung“, erklärtAnnette Ahme,jene Frau mit
der Mütze, die die Aktion gestartet hat und
ebenfallsrotangezogenist,inspiriertvonJane
Fonda, die inWashington die„FireDrill Fri-
days“ausgerufenhat,welchesichaufdasbe-
rühmte Zitat vonGreta Thunbergbeziehen:
„Wirmüssenunsverhalten,alsobunserHaus
brennt–dennsoistes.“DerDresscodefürdie
„Brandschutzfreitage“ ist entsprechend feu-
erwehrrot.
ANNETTEAHMEISTDIEEINZIGE,DIEJEDEN
TAGKOMMT.OhneAusnahmen.Undjedes
MalsprichtsieauchPassantenan,obsiesich
nicht an derMahnwache beteiligen wollen.
Viele gehen einfachvorbei. „Ungefähr die
HälfteistamKlimaschutzinteressiert,das
findeichschongut“,sagtsie.DieUmwelt
lag der Historikerin immer schon am
Herzen.KurznachihremAbiturwurde
indenUSAdieUmweltstudie„Global
2000“ veröffentlicht, die den Anstoß
für viele grüneInitiativen gab.Der
Bericht beschrieb 1977 noch kaum
bekannteProbleme derMensch-
heit:Luftverschmutzung,überpro-
portionales Bevölkerungswachs-
tum und Klimaveränderungen.
„DaswardamalsunserThema,je-
derhatdarübergesprochen.“
Zwischen 1985 und 1987 war
siefürdieAlternativeListefür De-
mokratie undUmweltschutz, die
späterimBündnis90/DieGrünen
Berlin aufging, imAbgeordneten-
haus,außerdemarbeitetesieinder
Bezirksverordnetenversammlung
Kreuzbergund trug zu einigenVer-
kehrsberuhigungsprojektenbei.
NachderAktionbegleitenwirAn-
nette Ahme in dieKapelle derGe-
dächtniskirche.Jeder kennt sie hier.
Pfarrer MartinGermerlächeltundplau-
dertmitihrwiemiteineraltenBekannten.
DieKaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche ist
ohnehin so etwas wie eineUmweltkirche:
DieGemeinde unterstützt Klimaaktionen,
und in derKapelle ist eineFotoausstellung
vonSvenHoffmannzumThemaWasserzuse-
hen.DerKünstlerzeigtdas Wasserdort,woes
bald verschwindet: dasTote Meer,den Aral-
see,denTschadsee.
Annette Ahme gehtweiter in dieKapelle
hineinundzeigtaufdenBoden:„Hieristalles
rund und wolkenförmig, das ist typisch für
Egon Eiermanns Architektur.Mitten in der
StadtentstehtdurchdenbegrüntenUmgang
zwischendenKirchwändeneinruhigesKlos-
ter.“ SieistvonEiermannsWerkfasziniertund
engagiertsichauchimStädtebau,schonseit
den 70er-Jahren, als sie dieBesetzung der
Häuser am Chamissoplatz organisierte und
dieseso vordemAbrissbewahrte.AlsVorsit-
zendedes VereinsHistorischeMitteinitiierte
sie letztesJahr den 77-tägigenProtest gegen
denBauderEinheitswippevordemBerliner
Stadtschloss.Die Max-Liebermann- und die
LEBEN&STERBEN
Wenn Katzen
Babys bekommen
D
erTierarztkonnteunsnichtsagen,wie
vieleKätzcheneswerdenwürden.Aber
wahrscheinlich drei.Hatten die denn hier
keinenUltraschall?
Dassei nicht nötig, sagte derTierarzt.
Aber was könnte ich denn tun,wenn ein
Notfall eintreten würde?Er lächelte mich
an,inseinenAugeneinAnflugallwissender
Arroganz:„Katzenmachendasganzalleine,
obKopfoderArschzuerst.Dagibteskeine
Notfälle.Das läuft nicht wie hier inPrenz-
lauer Berg ,wod ie Frauen ihreBabys mit
demKopfbekommen.“
Alldasfanderoffensichtlichtotalwitzig.
IchwolltesogleichzueinemWissensgegen-
schlag ansetzen, ließ es dann aber doch
bleiben.Meine dickeMiezekatzeAmanda
undich verließendiePraxis.Wirkehrtennie
wiederzurück.
EinpaarTagespätermachteAmandaei-
nen kleinenAusflug in dieNachbarschaft.
Als sie zurückkam, wartete ich, ganzFach-
frau, auf die ersten Anzeichen desKatzen-
glücks.Sie war zunehmendrunder und
hungriger geworden. DerGeburtstermin
mationshilfeleisten,dazappeltedaskleine
Ding doch noch undversuchte,soe twas
wieeinenerstenSchreivonsichzugeben.
KurzdaraufbissAmandadieNachgeburt
mitihrenspitzenZähnendurchundschob
sie zur Seite.Das nächste Kätzchen kam in
wenigen Minuten hinterher.Wieder eine
Glückshauben-Katze. Wasfür ein Zufall,
dachteich.
Nach dem fünften Kätzchenverstand
ich, dass alleMini-Katzen in derFrucht-
blase geboren werden.Nach nur einer
Stundewaresgeschafft,eswurdenletztlich
sechsKätzchen,Wasfürein Dilettantdieser
HerrTierarztdochwar.Amandakamzuwei-
lenkaumhinterhermitdemZerbeißender
Nabelschnüreund demAblecken ihrerBa-
bys.DiePlazentenunddaswenigeBlut,das
vergossen worden war,wurden bis auf das
kleinsteFitzel chen aufgegessen.
IchhattemichaufeinegründlicheReini-
gungdesGeburtsortesunddieEntsor gung
derv orausgesagten dreiPlazen teneinge-
stellt.Erstspäterlasich,dassdieKatzen ma-
masihr ePlazentenimmeraufessen.Grund
Heute: Sabine Kroh, Hebamme
hierfür ist nicht, eine bessereRückbildung
zuhaben,wieesimKreißsaaloderimWo-
chenbettüblichist.MancheFrauen wollen
dadurch eineWochenbettdepressionver-
meiden, die in derPlazen ta enthaltenen
Hormone sollen dabei helfen. Andereha-
bena ndereArgumente dafür.ImTierreich
aber würde dasBlut der Plazen tenFeinde
anlock en,einenFuchsoderDachszumBei-
spiel, der dann die jungen Kätzchenver-
speisenwürde.
Unserenatür lichen Feinde,diedas Neu-
geborene durch denBlutgeruch derPla-
zenta finden und essen würden, sind ja
schon lange ausgestorben. DerTierarzt
hätte auf meineFragenacheinerWochen-
bettdepression aber bestimmt eine pas-
sendeAntwort.
Diesechs nacktenKnäulchen saugten
mitder Unterstütz ungdes Milchtritteskräf-
tig an den elfBrüsten ihrerKatzen mutter.
DieStillberat ungwarüberflüssig.
warjedochvage.IrgendwannimM aisollte
es so weit sein. Routiniertuntersuchte ich
ihrendickenBauch.
An einemNachmittag imMaiwar es
dann schließlich soweit. Es dauerte eine
Weile,bis ich verstand, was passierte.Eine
Geburt. Ichwar so aufgeregt. Amanda
suchte sich zumGebären ei nenP latz im
Zimmer meinerTochter aus,direk tneben
demMeerschweinchen-Stall.
Siestemmte sich mit denHinterpfoten
kräftig und laut schnurrend gegen die
Wand, unterbrochenvoneinem Geräusch,
dasich vorhernochniegehörthatte .Siewar
hochkon zentrier tund unglaublich kräftig.
Miteiner stillenLeichtigkeitdrücktesiedas
erstekleineKätzchenaussichheraus.Eslag
neben ihr,von der Fruchtblase komplett
umhüllt. Eine Glückshauben-Katze!
Amandatataberersteinmalgarnichts.
Nach gefühlten Minuten biss sie ge-
schicktdieFruchtblaseaufundbeganndas
kleine Kätzchen abzulecken. Doch es be-
wegtesichnicht,eswarkeineRegungzuse-
hen.IchwollteschoneingreifenundReani-
NächsteWocheschreibt an dieser Stelle der
Bestatter Eric Wrede.
Greta Senior
Bei„FridaysforFuture“stehenjungeLeuteregelmäßigimFokus.
DochnichtnurdieThunberg-Generationsorgtsich.Auchdie61-jährige
AnnetteAhmegehtfürdenKlimaschutzaufdieStraße.JedenTag
VonNasta Reznikava
Heinrich-Zille-Gesellschaft hat sie mitge-
gründet.AuchbeimEntstehendes„Aktiven
Museums“warsieaktiv,undsiehatumdie
WiederherstellungderhistorischenRathaus-
brückegekämpft.
Voreinem Jahr hat sie zusammen mit ih-
renbeidenTöchterneinenBerichtüber Greta
Thunberggesehenundwarvonderschwedi-
schen Schülerin zutiefst beeindruckt.Auch
weil es sie selbst so mitnimmt, wie sehr die
NaturschonjetztausdemGleichgewichtge-
ratenist:diedürrenSommer,dieStürme .Der
Akti vistinfielauchauf,dassdieVögelinihrem
Garten nicht mehr piepen.„DerInsektenbe-
stand ist inDeutschland um 75Proz entzu-
rückgegangen.Esistlogisch,dassindiesem,
spätestens nächstes oder übernächstesJahr
vieleVögel aussterbenwerden.Nicht erst in
zwanzigJahren“,sagtsietraurig.
Ihre Töchter,17und 21, beteiligen sich
schonlangean„Fridaysfor Future“.Sieselbst
hat sich dann mit einer Verbündeten,der
Schriftstellerin Jenny Schon, die Zwei-Minu-
ten-Mahnwacheam Breitscheidplatzausge-
dacht,am2.Septemberhabensiedamitbe-
gonnen–alsErinnerungandas„Zwei-Grad-
Ziel“, nach welchem dieErderwärmungbis
zumJahr2100au fwenigeralszwei GradCel-
sius gegenüber demNiveau vorBeginn der
Industrialisierungbegrenztwerdensoll.
Annette Ahme hält ihrenEinsatz für
selbstverständlichunduneigen.„Ichwill
nicht irgendwie exotisch aussehen“,
sagt sie .Sie fliegt nicht und hat kein
Auto,sie isst keinFleisch undver-
sucht,nichtsinPlastikverpackung
zu kaufen.Siesieht ihr eMahn-
wache als Angebot für all jene,
die durchaus schon umwelt-
freundlich leben, aber gerne
nochetwasmehrtunwollen.
SieistimÜbri gennichtso
pessimistisch,wenn sie in
die Zukunft blickt. Annette
Ahme ist überzeugt, dass
dieMenschheit die Krise
meisternkann.„Wirhaben
schon mehrereKrisen
überstan den“, sagt sie:
„Ozonloch, Waldsterben
durch saurenRegen,Win-
tersmog inBerlin.“ AlsSo-
fortmaßname schlägt sie
vor, eine Ein-Kind-Politik
einzuführen–dieVereinten
Nationen könnten das als
Empfehlungaussprechen:„Je
weniger Menschen es auf der
Erde gibt, desto weniger
Fleisch und Konsumgegen-
stände braucht man. Es müssen
weniger Wälder abgefackeltwer-
den“,sagtsie.
ANNETTE AHME PLANT, IHRE MAHNWA-
CHEbiszum2.Dezemberabzuhalten,da
beginntinSantiagodeChiledieUN-Klima-
konferenz.Dass sie tagtäglich zurGedächt-
niskirche kommt, findet sie gar nicht beson-
ders:„DieMenschengehendochauchjeden
Tagzur Arbeit, fast jedenTageinkaufen, fast
jedenTagzurSchuleoderindieKita.Wennich
eineoderzweiStundenproTagfürsKlimain-
vestiere,findeichdaseigentlichnormal.“
Am 31. OktoberwirdAnnette 62, und sie
wirdihren Geburtstagsabend an derGe-
dächtniskircheverbringen.Wiejeden ande-
renAbendindenletztenWochenauch.
NastaR eznikavakommt aus
Belarus,wo nochkeine „Fridays for
Future“-Demogenehmigt wurde.
„Unser Haus brennt“: Annette Ahme im feuerwehr-
roten Dress der „Fire DrillFridays“
BERLINER ZEITUNG/MARKUS WÄCHTER