Martin Greive, Thomas Sigmund,
Gregor Waschinski Berlin
W
er Olaf Scholz in diesen Tagen
nach seinen gefährlichsten Geg-
nern im Rennen um den SPD-
Vorsitz fragt, bekommt schnell
zu spüren, was der Vizekanzler
von so einer Frage hält: nichts. Scholz hat in den ver-
gangenen Wochen auf den 23 Regionalkonferenzen
viel mit seinen Kontrahenten geredet. Über sie reden
will er nicht. Scholz’ Schweigen erzählt zweierlei:
einmal, dass der Kampf um den SPD-Vorsitz selbst
das Nervenkostüm des sonst so kontrollierten Nord-
deutschen angreift. Und: wie wenig aus seiner Sicht
die Regionalkonferenzen darüber aussagen, wie die
425 630 SPD-Mitglieder letzten Endes abstimmen
werden.
Am Samstag hat Scholz zumindest etwas Gewiss-
heit. Abends wird das Ergebnis des SPD-Mitglieder-
entscheids zur Wahl der neuen Doppelspitze ver-
kündet. Dann weiß der Vizekanzler, ob er es, wie
alle erwarten, in die Stichwahl der beiden bestplat-
zierten Teams geschafft hat. Sicher sein kann er
sich dessen allerdings nicht. Sollte Scholz den Ein-
zug verpassen, wäre das „der größtmögliche politi-
sche Unfall“, sagt Forsa-Chef Manfred Güllner. „Der
Vizekanzler und stellvertretende Parteivorsitzende
wäre gescheitert.“ Scholz müsste sich fragen, ob er
nicht zurücktritt.
Im Scholz-Lager gibt man sich vor der Stimm -
auszählung zuversichtlich. Natürlich müsse sich
Scholz fragen, wie es im Falle eines Verpassens der
Stichwahl weiterginge, sagen Vertraute. Er selbst
habe sich nie dazu geäußert, auch nicht im engsten
Kreis. Soll heißen: Scholz wird die erste Runde auf
jeden Fall überstehen.
Scholz’ Analyse war von Beginn seiner Kandidatur
an klar: Er ist der einzige Kandidat im Bewerberfeld,
den alle SPD-Mitglieder kennen. Er ist der Einzige,
der Landtagswahlen gewonnen und in Hamburg so-
gar einmal die absolute Mehrheit geholt hat. Und der
Einzige, der in höchsten Regierungsämtern auf Lan-
des- und Bundesebene bewiesen hat, von gutem Re-
gieren etwas zu verstehen.
Diese Alleinstellungsmerkmale und nicht die Auf-
tritte auf den 23 Regionalkonferenzen, das ist Scholz’
Annahme, werden am Ende für ihn den Ausschlag
geben. Der SPD-Politiker wusste, dass er auf den Ver-
anstaltungen einen schweren Stand haben würde. Zu
den Konferenzen kamen überwiegend junge und ak-
tive Mitglieder, bei denen Scholz unbeliebt ist. Für sie
ist er die fleischgewordene Verkörperung des Partei-
Establishments, das SPD-Gesicht der verhassten Gro-
Ko, derjenige, der mit seiner stoisch-trotzigen „Weiter
so“-Politik die SPD auf geradem Weg in den Unter-
gang führt.
Scholz’ Strategie auf den Konferenzen war des-
halb: keine Fehler machen. Weil die dort versam-
melten Mitglieder ohnehin andere Teams wählen,
war für ihn schon viel gewonnen, wenn sie die Ver-
anstaltungen mit dem Gefühl verließen: Wenn es
der Scholz wird, ist das auch nicht so schlimm.
Denn der Verbündete des Vizekanzlers ist nicht der
Parteifunktionär, sondern das SPD-Mitglied, das ra-
tional entscheidet. Wie 2017, als sich die SPD-Basis
in der Mitgliederbefragung trotz allem Getöse von
Juso-Chef Kevin Kühnert mit einer Zweidrittel-
mehrheit für die Große Koalition aussprach.
Die Stärken von Scholz leuchteten im Vergleich zu
den anderen Kandidaten für den SPD-Vorsitz zudem
noch heller, heben seine Unterstützer hervor. Keiner
seiner Kontrahenten habe je Verantwortung in ei-
nem herausgehobenen Regierungs-
amt und außer Ralf Stegner auch
niemand in der Bundes-SPD ge-
tragen. Einige der Kandidaten
seien selbst in ihren Fraktionen
unscheinbar geblieben.
„Und die glauben, die
SPD aus ihrer Krise
führen zu können.
Ernsthaft?“, sagt ein
Scholz-Sympathi-
sant. Man möge das
Rennen bitte doch
auf die Frage zu-
Für Scholz
geht es
um alles
Am Samstag steht das Ergebnis des
SPD-Mitgliederentscheids fest. Der Vizekanzler
kämpft dabei ums politische Überleben.
Willy-Brandt-Haus
in Berlin: Die SPD
bekommt nicht einen,
sondern gleich zwei
neue Vorsitzende.
action press
Walter-Borjans (l.),
Scholz: Die beiden
Finanzexperten
sind die Favoriten.
ddp images/Sven Simon, ddp images/Sven Simon [M]
Wirtschaft
& Politik
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WOCHENENDE 25./26./27. OKTOBER 2019, NR. 206
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