Jan Hildebrand, Silke Kersting
Berlin
M
it der Pkw-Maut,
einst Herzenspro-
jekt und Wahl-
kampfschlager, will
in der CSU niemand
mehr etwas zu tun haben. „Ist für
uns kein Thema mehr“, sagt ein CSU-
Vorstandsmitglied. Doch das ist eher
Wunsch als Wirklichkeit. Das Maut-
Desaster wird für die CSU und vor al-
lem Bundesverkehrsminister Andre-
as Scheuer (CSU) zu einer dauerhaf-
ten Belastung.
Dafür will die Opposition sorgen.
In seltener Einmütigkeit bringen FDP,
Linke und Grüne einen Untersu-
chungsausschuss zum Pkw-Maut-De-
bakel auf den Weg. An diesem Freitag
diskutiert der Bundestag erstmals
über den Antrag, den die drei Frak-
tionen zusammen ins Parlament ein-
gebracht haben.
Der Untersuchungsausschuss soll
klären, inwieweit vor allem Verkehrs-
minister Scheuer ein Fehlverhalten
bei der Einführung der ursprünglich
geplanten Infrastrukturabgabe vorzu-
werfen ist und in welcher Größen-
ordnung das den Bundeshaushalt
und damit den Steuerzahler belastet.
Die Opposition wirft Scheuer vor,
Verträge zur Pkw-Maut voreilig abge-
schlossen und Regelungen für Scha-
densersatz vereinbart zu haben, die
für den Steuerzahler teuer werden
könnten. Der Europäische Gerichts-
hof (EuGH) hatte die von der CSU vo-
rangetriebene Maut Mitte Juni für
rechtswidrig erklärt. Direkt nach
dem Urteil kündigte das Bundesver-
kehrsministerium die Verträge.
Grünen-Politiker Stephan Kühn
sagte am Donnerstag, Scheuer habe
der „bayerischen Bierzelt-Idee“ Pkw-
Maut alles untergeordnet, insbeson-
dere die Interessen der Steuerzahler.
„Er hat mit öffentlichem Geld ge-
zockt und sich verzockt.“ Kühn sowie
Linken-Politiker Jörg Cezanne forder-
ten Scheuer zum Rücktritt auf.
Die FDP will zunächst sehen, was
der Untersuchungsausschuss bringt.
FDP-Verkehrspolitiker Oliver Luksic
kritisierte Scheuer dennoch massiv:
Dessen Argumentationslinie sei
schon jetzt völlig in sich zusammen-
gebrochen, doch er zeige nicht den
geringsten Aufklärungswillen.
Der Antrag von FDP, Linkspartei
und Grünen wird routinegemäß zu-
nächst in den Ausschuss für Wahl-
prüfung, Immunität und Geschäfts-
ordnung überwiesen, der den Antrag
inhaltlich noch einmal diskutiert. Der
Bundestag könnte den Untersu-
chungsausschuss dann im November
beschließen. Die drei Fraktionen ge-
hen davon aus, dass der Ausschuss,
dessen Vorsitz nach Angaben der
Grünen wohl die SPD übernimmt,
Ende November seine Arbeit aufneh-
men kann. Das erste Quartal 2020
werde dann die entscheidende Auf-
klärungszeit sein, sagte Kühn.
Druck auf Scheuer
In der Union fürchten viele die Dau-
erpräsenz des Mautdebakels. Zumal
die Opposition im Untersuchungsaus-
schuss vor allem die CSU-Führung
vorführen wird, darunter den einsti-
gen Verkehrsminister und jetzigen
Landesgruppenchef Alexander Dob-
rindt. Am größten ist der Druck je-
doch auf den amtierenden Verkehrs-
minister Scheuer. Er sieht sich schon
vor Beginn des Untersuchungsaus-
schusses mit Rücktrittsforderungen
konfrontiert. Scheuer weist alle Vor-
würfe von sich und verspricht Koope-
ration. „Ich werde alles machen, was
der Untersuchungsausschuss ver-
langt“, sagte Scheuer der „Passauer
Neuen Presse“. „Ich habe nichts zu
verbergen.“
Eigentlich hatte Scheuer das leidi-
ge Maut-Thema nur geerbt und woll-
te es schnell abarbeiten – doch we-
gen des Abschlusses der Verträge
bleibt es nun vor allem an ihm hän-
gen. Derzeit versucht er im Wochen-
rhythmus, andere Themen zu setzen:
ehrgeizige Vorgaben für die Bahn, ei-
nen Rüffel für die Autoindustrie oder
eine Beschleunigung von Bauvorha-
ben. Doch das alles verfängt nicht,
am Ende verbindet jeder mit Scheuer
das Maut-Debakel.
Dabei hatte es für den Verkehrsmi-
nister anfangs ganz gut begonnen. In
Windeseile hatte er eine der größten
Baustellen geschlossen, an der viele
Vorgänger noch gescheitert waren:
Das juristische Hickhack um Toll Col-
lect beendete er mit einem Vergleich.
Dafür gab es Lob und Anerkennung.
Doch dann endete irgendwann in
diesem Sommer die Glückssträhne.
Es fiel das Maut-Urteil. Und auch auf
anderem Themengebieten lief es
nicht rund. Beim Klimapaket galt er
als der große Verhinderer. Wie könne
man denn glauben, mit Themen wie
Elektrorollern von der Maut ablenken
zu können, fragte ein Unionspolitiker
irritiert. „Die Dinger nerven nur.“
„Der Scheuer ist eigentlich ein Gu-
ter“, sagt ein hochrangiger CSUler. Es
klingt nach Mitleid – was kein Politi-
ker gern erhält. Auf dem CSU-Partei-
tag war Scheuer ausreichend weit
weg vom bayerischen Ministerpräsi-
denten und CSU-Chef Markus Söder
platziert, um nicht allzu viele gemein-
same Fotos zu provozieren. Zur Wahl
stand Scheuer nicht, was vermutlich
ganz gut war für ihn. Auch so bekam
er schon genug Kritik von Delegier-
ten zu hören. „So eine Blamage mit
der Maut“, rief ein Delegierter in der
Aussprache empört. „Mir haut’s den
Vogel raus!“ Vor Beginn des Untersu-
chungsausschusses hat sich die Uni-
on demonstrativ vor ihren Minister
gestellt. Der Stuhl von Scheuer wack-
le nicht, sagte Unionsfraktionschef
Ralph Brinkhaus. Auch Kanzlerin An-
gela Merkel ließ über die Vize-Regie-
rungssprecherin ausrichten, sie ver-
binde mit Scheuer „eine sehr enge
und wichtige und von Vertrauen ge-
prägte Zusammenarbeit“.
Untersuchungsausschuss
Aufarbeitung des Maut-Desasters
Die Opposition kritisiert Bundesverkehrsminister Scheuer scharf.
Autobahn A9 bei
Schleiz: Auch in
Zukunft für Ausländer
kostenfrei.
ddp/imageBROKER/Andreas Vitting
Nato-Verteidigungsministertreffen
USA nehmen Syrien-Vorschlag höflich zur Kenntnis
Politisch will der
US-Verteidigungsminister
Kramp-Karrenbauers Vorstoß
für eine Syrien-Mission
unterstützen – mehr nicht.
E. Fischer, D. Riedel Brüssel Berlin
I
hre Amtskollegen in der Nato ha-
ben den Vorschlag von Bundes-
verteidigungsministerin Anne-
gret Kramp-Karrenbauer, sich für ei-
ne Blauhelm-Mission an der syrisch-
türkischen Grenze einsetzen zu wol-
len, mit freundlichen Worten zur
Kenntnis genommen – allerdings oh-
ne großen Enthusiasmus. Die USA
würden es „politisch“ unterstützen,
wenn sich die Europäer in Nordsy-
rien engagieren würden, sagte US-
Verteidigungsminister Mark Esper
am Donnerstag beim German Mar-
shall Fund vor Beginn des Treffens
der Nato-Verteidigungsminister in
Brüssel. Er fügte aber hinzu: „Wir be-
absichtigen nicht, Bodentruppen
oder irgendetwas anderes zu dieser
Operation beizutragen.“ Esper räum-
te ein, von dem Vorschlag lediglich
gehört zu haben. Aber die USA for-
derten von Europäern seit Langem
mehr militärisches Engagement im
Nahen Osten.
Kramp-Karrenbauer hatte am Mon-
tagabend angesichts der türkischen
Militäroffensive in Nordsyrien die
Einrichtung einer Sicherheitszone in
Nordostsyrien vorgeschlagen, die von
einer UN-Truppe geschützt werden
soll. Je nach Zuschnitt könnten sich
daran auch Bundeswehrsoldaten be-
teiligen, hatte die CDU-Vorsitzende
vorgeschlagen, ohne Details zu nen-
nen. Außenminister Heiko Maas
(SPD) hatte sie erst kurz vor der Ver-
öffentlichung per SMS informiert und
so eine Koalitionskrise ausgelöst. In-
haltlich wäre allerdings auch die SPD
bereit, über eine Blauhelm-Mission
zu reden – ihr außenpolitischer Spre-
cher Nils Schmid hält die Umsetzung
allerdings für unrealistisch, seit sich
am Dienstagabend Russland und die
Türkei auf die Landaufteilung entlang
der Grenze verständigt hatten.
Esper kritisierte die Türkei für ihre
Invasion in Syrien. „Die Türkei hat
uns alle in eine sehr schreckliche La-
ge gebracht“, sagte er. Sie solle wie-
der zu dem „verantwortungsbewuss-
ten Verbündeten“ werden, der sie in
der Vergangenheit gewesen sei.
Verhalten waren auch die Reaktio-
nen der übrigen Nato-Verbündeten.
Man müsse erst Details prüfen und
könne sich noch nicht äußern, war
aus Diplomatenkreisen verschiede-
ner Nato-Länder zu hören. „Annegret
Kramp-Karrenbauer steht beim Nato-
Verteidigungsministertreffen ziem-
lich allein da“, sagte die Grünen-Eu-
ropaparlamentarierin Hannah Neu-
mann dem Handelsblatt. „Die USA
sind raus, Frankreich wimmelt ab,
Großbritannien ist mit sich selbst be-
schäftigt.“ Nato-Generalsekretär Jens
Stoltenberg drückte das diplomati-
scher aus: „Natürlich gibt es noch
mehr Fragen, die beantwortet wer-
den müssen“, sagte er vor dem Tref-
fen. Aber alle Nato-Alliierten wollten
eine politische Lösung. Der Vorschlag
aus Deutschland sei ein Teil davon.
Geprägt wurde das Treffen aller-
dings von anderen Themen. Esper
verlangte von den Nato-Alliierten Ge-
folgschaft in der US-Iranpolitik und
forderte dabei auch Unterstützung
für Saudi-Arabien. Zudem machte er
gegenüber seinen Amtskollegen deut-
lich, dass die USA zwei Prioritäten in
der Sicherheitspolitik verfolgen wür-
den: den Einfluss erstens von China
und zweitens von Russland in der
Welt einzugrenzen. Beide Staaten
wollten die Welt nach völlig anderen
Werten als denen der Nachkriegsord-
nung formen. Esper nannte Demo-
kratie, Menschenrechte und die Herr-
schaft des Rechts.
Beide Länder seien strategische
Gegner, vor allem China würde die
Freiheiten westlicher Systeme „gegen
uns ausnutzen“, sagte er. „Wir dürfen
unsere Sicherheit nicht mit Blick auf
kurzfristige Profitabilitätsgelegenhei-
ten gefährden“, betonte Esper mit
Blick auf die Bereitschaft europäi-
scher Staaten, beim Bau der neuen
5G-Mobilfunknetze auch den chinesi-
schen Hersteller Huawei zuzulassen.
Wir
beabsichtigen
nicht, Boden -
truppen
oder
irgendetwas
anderes
zu dieser
Operation
beizutragen.
Mark Esper
US-Verteidigungsminister
Wirtschaft & Politik
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WOCHENENDE 25./26./27. OKTOBER 2019, NR. 206
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