Handelsblatt - 25.10.2019

(Ron) #1

R


alph Hamers gilt als digitaler Vorden-
ker. Der 53-Jährige steht seit 2013 an
der Spitze der ING. Unter seiner Ägi-
de stellte die niederländische Groß-
bank auf „agiles Arbeiten“ um. In der
neuen Amsterdamer Zentrale arbeitet auch Ha-
mers im Großraumbüro. Doch es gibt Probleme:
Mitarbeiter schimpfen über den radikalen Umbau,
der Kampf gegen Geldwäsche stockt, und im wich-
tigen deutschen Markt erreicht ING das Ziel von
zehn Millionen Kunden 2019 nicht. Im Interview
erklärt Hamers seine Pläne: Ein Commerzbank-
Kauf ist vom Tisch, jedenfalls für den Moment. Da-
für will er neue Standorte eröffnen und in Zeiten
von „Fridays for Future“ Ernst machen beim Kli-
maschutz.

Herr Hamers, die ING wurde als Interessent für
die Commerzbank gehandelt. Lassen Sie uns
über die Bankenkonsolidierung reden. Wür-
den Sie an einer Fusionsrunde teilnehmen?
Unsere Langfriststrategie basiert auf organischem
Wachstum. ING versucht vor allem, Skaleneffekte
zu heben, also eine relevante Größe zu erreichen.
Hierfür setzen wir auf grenzüberschreitende Tech-
nologie und einfache Banking-Angebote. Wir fokus-
sieren uns auf die Bedürfnisse unserer Kunden, um
zu wachsen, das ist unser Hauptansatz. In ausge-
wählten Fällen denken wir auch über Zukäufe
nach. Zum Beispiel können wir spezialisierte
Teams kaufen, die im Privatkundenkreditgeschäft
stark sind. Besitzen Unternehmen eine Technik,
die wir haben wollen, greifen wir ebenfalls zu. Und
dann kann es noch einen dritten Grund geben, um
über anorganisches Wachstum nachzudenken.

Der da wäre?
Wenn es in einem Markt zur Konsolidierung
kommt und wir das Gefühl haben, durch organi-
sches Wachstum keine ausreichenden Skaleneffek-
te zu erzielen, dann müssen wir unsere Strategie
hinterfragen. Denn machen wir weiter wie bisher,
sind wir im Zweifel nicht mehr wettbewerbsfähig.
Schauen Sie sich Indien an: Hier hatten wir eine
große Tochter. Doch als der Markt sich konsolidier-
te, haben wir sie in einen Merger mit einem ande-
ren Institut eingebracht, Kotak Mahindra. Die er-
haltenen Anteile haben wir dann Stück für Stück
verkauft. Dasselbe überlegen wir derzeit in Thai-
land. ING ist dort eine große Bank, aber der Markt
hat zu viele Wettbewerber und konsolidiert sich
rasch. Allein mittels Technologie können wir nicht
mithalten. Dann müssen wir ver- oder zukaufen.

Was bedeutet das für Europa?
Das Problem in Europa ist, dass die Bankenunion
nicht vervollständigt ist. Das erschwert grenzüber-
schreitende Fusionen sehr. Diese könnten Kosten
sparen und Synergien freisetzen. Und ING hätte
auch die Technologie, um grenzüberschreitende
Skaleneffekte zu erzielen. Aber weil die Bankenuni-
on nicht vervollständigt ist, findet die Konsolidie-
rung vor allem innerhalb der Nationalstaaten statt.

Aber die deutsche Commerzbank haben Sie
sich schon angeschaut?
Mein Gegenüber bei der Bank hat meines Wissens
bereits gesagt, dass wir zwei Treffen hatten.

Waren es denn int eressante Gespräche mit
Commerzbank-Chef Martin Zielke?
Bank-CEOs sprechen häufig miteinander. Wir tref-
fen uns und tauschen uns über die Regulierung
aus, über die Organisation unserer europäischen
Interessenvertretung und über die Frage, wie wir
mit manchen Herausforderungen umgehen. Wir
sprechen dabei aber nicht über konkrete Fusions-
pläne, schon allein, weil wir das nicht dürfen. Zu
schnell entstehen Gerüchte. Und wenn wir diese
dann auch noch kommentieren, wird wild inter-
pretiert. Daher sage ich immer: Ich kommentiere
Gerüchte gar nicht. Und auch unsere Gespräche
mit der Commerzbank nicht.

Also sind Sie an der Commerzbank nun nicht
mehr interessiert?
Ich kommentiere Gerüchte nicht.

Die Regulierung am Finanzstandort Niederlande
ist vergleichsweise strikt. Ist Amsterdam noch
die richtige Heimat für ING?
Wir sind sehr glücklich mit unserem Hauptsitz. Ja,
die Niederlande haben ihren Banken zusätzliche
Auflagen gemacht. Aber das kann ich verstehen. In
der Krise mussten die niederländischen Steuerzah-
ler viele Banken retten, daher agiert der Staat nun
deutlich vorsichtiger. Aber es gibt auch viele positi-
ve weiche Faktoren. In Kürze eröffnen wir unser
neues Hauptquartier „Cumulus Park“, für das wir
viel politische Unterstützung in Amsterdam erhal-
ten. Und die Attraktivität der Stadt hilft uns, junge,
internationale, digitale Talente anzuziehen.

ING sieht sich als ein Vorreiter für Nachhaltigkeit.
Ist das Thema ein vorübergehender Trend
oder die neue Normalität?
Der Nachhaltigkeitsgedanke wird nicht wieder ver-

schwinden. Die ganze Gesellschaft diskutiert über
das Thema, auch die Banken müssen Fortschritte
machen. Unsere Kunden erwarten, dass wir unsere
Geschäftsmodelle kritisch überprüfen. ING ist hier
schon seit zehn Jahren engagiert. Wir fragen uns
dauernd: Wie können wir unseren Klimafußab-
druck verringern oder Abfall reduzieren? Ich bin
froh, dass das nun auch die anderen Marktteilneh-
mer aufgreifen. Auf uns allen lastet der Druck des
Pariser Klimaabkommens.

Lassen Sie das auch die Kunden spüren? Gibt es
Firmen, mit denen Sie nicht mehr zusammen-
arbeiten?
Wir versuchen, Kunden auf dem Weg, nachhaltiger
zu werden, mitzunehmen. Dafür schauen wir uns
verschiedene Sektoren an: unter anderem Energie,
Automobilbau, Luftfahrt, Zement, Stahl, die Sekto-
ren mit dem größten Fußabdruck. Dann prüfen

„Wir denken


auch über


Zukäufe nach“


Der Chef der niederländischen Großbank ING spricht über


neue Filialen in Deutschland, nachhaltiges wie digitales


Banking, die Lage der Branche – und seine Gespräche mit


der Commerzbank.


Ralph Hamers


Ralph Hamers:
Der ING-CEO will auf
dem deutschen Markt
mit Firmenkunden
wachsen.

Marco Priske

Finanzen

& Börsen

WOCHENENDE 25./26./27. OKTOBER 2019, NR. 206
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