Handelsblatt - 25.10.2019

(Ron) #1
Helmut SteuerStockholm

H


och im Norden will
Vonovia wachsen. Vor
Kurzem übernahm der
Dax-Konzern die Mehr-
heit am Unternehmen
Hembla. Es ist nach Victoria Park
schon der zweite große Zukauf in nur
zwei Jahren in Schweden. Mit diesem
Coup schwingt sich Deutschlands
größter Vermieter auch zur Nummer
eins in Schweden auf: Auf einen Schlag
wächst das Portfolio um 21 000 auf
37 000 Wohnungen. Vonovia will hier
zeigen, dass das Unternehmen sein Ge-
schäftsmodell auch auf andere euro-
päische Länder übertragen kann.
Für die Mieter heißt das nicht zu-
letzt, dass sie sich auf Modernisierun-
gen einstellen müssen. Viele der vor al-
lem in den 1960er-Jahren gebauten
Mietwohnungen in Schweden sind re-
novierungsbedürftig. So wurden etwa
die meisten der Hembla-Wohnungen
zwischen 1965 und 1974 im Rahmen
des sogenannten „Millionenpro-
gramms“ gebaut. Mitte der 1960er-Jah-
re herrschte in Schweden akuter Woh-
nungsmangel, weil immer mehr Men-
schen aus den dünn besiedelten
Gebieten im Norden des Landes in die
drei Großstädte Stockholm, Göteborg
und Malmö zogen. Die sozialdemokra-
tische Regierung unter Ministerpräsi-
dent Tage Erlander beschloss deshalb,
in relativ kurzer Zeit eine Million Miet-
wohnungen zu bauen. 1974 war das
Ziel tatsächlich erreicht.
Viele der im Rahmen des Millionen-
programms errichteten Wohnhäuser
bilden heute das, was als sozialer
Brennpunkt bezeichnet wird. Da das
Mieten von Wohnungen im Vergleich
zu anderen Ländern relativ unüblich
ist – zwei Drittel der Schweden leben
im Eigentum –, haben sich hier eher
einkommensschwache Familien nie-
dergelassen. Der Ausländeranteil in
diesen Gegenden ist überdurchschnitt-
lich hoch. „Wir sehen hier die Segrega-
tion. Menschen mit geringeren Wahl-
möglichkeiten landen in den Gebieten,
die nicht sonderlich populär sind“,
sagt Jonas Lindström, Wissenschaftler
an der Södertörn-Hochschule.
Diese oftmals grau-tristen Beton-
blöcke mit verwaschenen Fassaden

und ausgeblichenen Eingangstüren
wurden in den Randgebieten der drei
Metropolen hochgezogen. Es müsste
viel getan werden, da sind sich Ex-
perten einig. Fassaden sollten ge-
dämmt, Fenster ausgetauscht wer-
den. Mit ein wenig Farbe könnte auch
der Gesamteindruck deutlich verbes-
sert werden. Ganz zu schweigen von
moderneren und umweltfreundliche-
ren Heizungssystemen.
Das staatliche schwedische For-
schungsinstitut RISE schätzt, dass jede
fünfte Wohnung des Millionenpro-
gramms renovierungsbedürftig ist.
Gut die Hälfte dieser Wohnungen sei
bislang nicht renoviert worden,

schreibt RISE-Forscherin Jenny von
Platten. Bei etwa 140 000 Wohnungen
bestehe sogar akuter Renovierungsbe-
darf. Die technische Lebensdauer von
etwa 50 Jahren sei bei rund einem
Fünftel der Wohnungen überschrit-
ten. Die schwedische Wohnungsbau-
behörde beziffert die Gesamtkosten
für die Renovierungen auf 300 bis
500 Milliarden Kronen (27 bis 46 Mil-
liarden Euro).

Mieterhöhungen absehbar
Die Kosten für die Renovierungen kön-
nen zu deutlich höheren Mieten füh-
ren. Als die schwedische Wohnungs-
baugesellschaft Svenska Bostäder vor
einigen Jahren mehrere Mietshäuser
in Järva bei Stockholm von Grund auf
renovieren wollte, gingen die Mieter
auf die Straße. Svenska Bostäder hatte
mitgeteilt, dass die Mieten um bis zu
75 Prozent steigen könnten. Die Kern-
renovierung wurde abgesagt. „Mittler-
weile haben die Vermieter gelernt
und Kompromisse zwischen Sozial-
verträglichkeit und den bautechni-
schen Erfordernissen gefunden“,
meint Erik Stenberg, Lektor in Archi-
tektur an der Technischen Hochschu-
le in Stockholm.
Dennoch leiden viele Mieter unter
Mieterhöhungen. Zwar dürfen Vermie-
ter wie in Deutschland Instandhal-
tungsmaßnahmen nicht auf die Miete
umlegen. Doch viele Vermieter nutzen
die Gelegenheit, im Rahmen grundle-
gender Renovierungsarbeiten auch
den allgemeinen Wohnungsstandard

durch Erneuerung des Bads oder der
Küche zu erhöhen. In diesem Fall
darf auch die Miete erhöht werden.
„Leider gibt es keine Grenze, wie
hoch die Mieterhöhung ausfallen
darf “, klagt der schwedische Mieter-
verein. Eine Kappungsgrenze wie in
Deutschland gibt es nicht. Die Verein-
ten Nationen warnten deshalb in die-
sem Frühjahr, die von der Wohnungs-
baugesellschaft Hembla geplanten
Mieterhöhungen würden gegen die
Menschenrechte verstoßen. Men-
schen würden gezwungen, ihre Woh-
nungen zu verlassen, da sie die Miete
nicht mehr zahlen können. Hembla,
an der vor dem Einstieg von Vono via
der US-amerikanische Investor Black-
stone zu zwei Dritteln beteiligt war,
wollte umfassende Renovierungen
vor allem in den Wohnungen des Mil-
lionenprogramms durchführen und
die Mieten kräftig erhöhen.
Viele ehemals kommunale Gesell-
schaften wurden in den 1980er- und
1990er-Jahren privatisiert. Sie und die
weiterhin kommunalen Gesellschaften
verhandeln jährlich mit dem Mieter-
verband über die Mieten. Für das kom-
mende Jahr fordern die kommunalen
Wohnungsbaugesellschaften 3,5-pro-
zentige Mieterhöhungen im Großraum
Stockholm. Die Verhandlungen laufen
noch. Im vergangenen Jahr einigte
man sich auf Erhöhungen von durch-
schnittlich zwei Prozent – nicht pro
Wohnung, sondern im Durchschnitt
des gesamten Bestands.
Der Ausgang der Verhandlungen
zwischen Hembla und der Mieterver-
einigung ist auch für Mieter bei ande-
ren privaten Wohnungsbaukonzer-
nen relevant. Mit Vonovia steht
schließlich der nun größte schwedi-
sche Vermieter hinter dem Unterneh-
men. Insofern gibt der Konzern die
Richtung an. Obwohl die Kritik in
Deutschland an dem Konzern bis
nach Schweden vorgedrungen ist, be-
dauern nicht alle Mieter die Übernah-
me von Hembla. In der Mieterzeit-
schrift „Hem & Hyra“ zeigt sich der
Mieter Joakim Karlsson optimistisch.
„Es ist schön, dass Blackstone weg ist,
denn mit der Firma war es nicht wit-
zig. Die wollte nur Geld verdienen“,
erklärte er. Nun hofft er auf bessere
Zeiten mit Vonovia als Eigentümer.

Vonovia


Schwedische


Variante


Deutschlands größter Wohnkonzern erweitert


sein Geschäft in Schweden. Dort sind


renovierungsbedürftige Mietbestände die Regel.


Schweden: Größte Wohnungsunternehmen
Flächen für 2018 in Millionen Quadratmetern

1,8 Mio. m2

1,7

1,7

1,7

1,6

1,5

1,

0,

Stena

Willhem

Rikshem

Heimstaden

Balder

Hembla

Victoria Park

Akelius

HANDELSBLATT Quelle: Newsec

1 2 3 4 5 6 7 8

Vonovia-Chef Rolf Buch:
Er hat auch in Schweden
einige Baustellen vor sich.

Theodor Barth/laif

Immobilien
WOCHENENDE 25./26./27. OKTOBER 2019, NR. 206
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