Handelsblatt - 25.10.2019

(Ron) #1
Mythos Vielflieger
WOCHENENDE 25./26./27. OKTOBER 2019, NR. 206
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würden sich auf 2,2 Milliarden Euro belaufen. Das
ergäbe den Wert von etwas weniger als einem Cent
je Meile.
100 Prozent Bruttogewinnmarge beim Handel mit
Prämienmeilen, das ist nicht schlecht. Hinzu
kommt: In der Regel werden rund 20 Prozent der
Prämienmeilen nicht eingelöst, sie verfallen nach ei-
ner gewissen Zeit. Ist das der Fall, verbucht Lufthan-
sa diese Meilen als Umsatz.
Im Geschäftsbericht der Lufthansa wird der Er-
gebnisbeitrag von Miles & More im Jahr 2018 in der
Rubrik Finanzbeteiligungen auf 101 Millionen Euro
beziffert. Das sei eine Verbesserung gegenüber dem
Vorjahr, heißt es dort, ohne aber Vergleichszahlen
zu nennen. Inwieweit dieser buchhalterische Wert
eine wirkliche Aussage über die Profitabilität von Mi-
les & More zulässt, ist aber offen.






Aus dem seltsamen Leben
der Vielflieger

Für Simon Schmitz ist Fliegen Alltag. Auf 300 bis
350 Flugsegmente kommt der Unternehmer pro
Jahr, 70 bis 80 davon sind Langstrecken. Seit mehr
als zehn Jahren gehört er zum exklusiven Zirkel der
HONs. Schmitz hat in Frankfurt eine Firma gegrün-
det, die weltweit Rechenzentren betreibt und Unter-
nehmen berät. Jede Woche ist er unterwegs, vor al-
lem Richtung Asien. Es gibt sogar Wochen, da fliegt
er zweimal gen Fernost und wieder zurück.
Wenn verfügbar, bucht Schmitz First Class – und
das fast immer bei der Lufthansa-Gruppe. Laut sei-
nen Reiserichtlinien darf er für alle Flüge, die länger
als vier Stunden dauern, die höchste Klasse buchen,
bis zu 4 500 Euro kann er dafür bei den Kunden ab-
rechnen. „Oftmals ist ein First-Class-Flug im Sale
gleichwertig oder sogar noch günstiger als das voll-
flexible Business-Ticket“, erklärt er. Das liegt auch
daran, dass Schmitz seit drei Jahren in Moskau
wohnt, wo er einen weiteren Unternehmensstand-
ort aufgebaut hat.
Das ist eine der vielen Vielflieger-Verrücktheiten,
die angesichts des Klimawandels wie aus der Zeit ge-
fallen wirken: Wer Umwege in Kauf nimmt und um-
steigt, statt direkt zu fliegen, kann weitaus günstiger
ans Ziel kommen als auf direktem Weg. So fliegt
Schmitz, wenn er sich von Moskau nach Hongkong,
Singapur oder Bangkok aufmacht, wie selbstver-
ständlich erst einmal drei Stunden in die falsche
Richtung, nämlich nach Westen statt nach Osten.
Entweder über Frankfurt oder München mit Luft-
hansa, mit Austrian über Wien oder mit Swiss über
Zürich. Schmitz: „Dadurch, dass ich in Moskau star-
te, sind die Tickets viel günstiger, als würde ich di-
rekt aus Deutschland losfliegen.“ Oft schwebt er nur
für ein einziges Meeting ein – die Kunden würden
das so verlangen. Er landet dann Ortszeit morgens,
bleibt den Tag über in einer der asiatischen Metro-
polen und fliegt abends wieder zurück. Die Nächte
verbringt er in seinem Luxusbett über den Wolken.
Probiert er sich dort durch alle Schampus-Varian-
ten? Schlemmt Kaviar und Austern? „Im Flieger esse
ich fast nie“, sagt Schmitz. Zum Einschlafen gönnt er
sich höchstens mal einen schweren Rotwein, zum
Wachwerden am Morgen gibt‘s Espresso. „Ich esse
immer vor dem Flug in der Lounge oder im Restau-
rant, versuche dann aber auch, Bitteres oder Fetti-
ges zu vermeiden.“ Im Flieger will Schmitz vor allem
eines: schlafen.
Dieses Bedürfnis ihrer Passagiere kennt Susanne
Kaun nur zu gut. Seit vielen Jahren arbeitet sie in der
First Class der Lufthansa und heißt eigentlich an-
ders. Gerade hatte Kaun wieder einen Enddreißiger
an Bord, CEO einer kleinen Handelsfirma. „Auf dem
Hinflug Richtung USA hat er nur gearbeitet, einen
Kamillentee getrunken und kurz vor der Landung ei-
nen kleinen Salat gegessen. Als wir 24 Stunden spä-
ter zurückflogen, war er auch wieder mit an Bord –
und hat die ganze Nacht geschlafen. Nach dem Auf-
stehen wollte er nur einen Espresso.“
Früher war die First Class voller Promivolk. „Yel-
low Press Schickimickis“ nennt Kaun die Leute, die
damals noch mit der „Hansa“ unterwegs gewesen
seien. „Die Klientel hat sich in den vergangenen Jah-
ren komplett geändert“, so Kaun. Heute chartern
sich Stars und Sternchen lieber einen eigenen Jet.
„Abgesehen von wohlhabenden Chinesen, die zum
Privatvergnügen First fliegen, gibt es in der First
Class heute fast nur noch Geschäftsleute“, sagt Kaun.
Viele hätten eigentlich Business gebucht, gönnten
sich aber ein Meilenupgrade.


Den ein oder anderen Gast kennt sie persönlich,
die Leute freuen sich, wenn sie ein bekanntes Ge-
sicht sehen und auch mal jemand mit ihnen
Deutsch spricht. Manchmal hat sie auch Mitleid mit
ihren Passagieren. Mit jungen Familienvätern, die
von ihren Chefs um die Welt geschickt werden, ein-
sam in Hotelburgen übernachten und kaum je ihre
Kinder und Ehefrauen sehen. „Es sind ja meist
nicht die ganz oben in der Hierarchie, die viel un-
terwegs sind, sondern die aus dem mittleren Ma-
nagement“, weiß Kaun.
Sie arbeitet gern in der First, hat sich bewusst für
die Zusatzausbildung in der Freizeit entschieden.
Denn die schlimmsten Passagiere säßen meist in der
Business Class. Frequent Traveller, die sich ein Mei-
lenupgrade gegönnt hätten oder automatisch hoch-
gestuft worden seien – und dann teuren Schnaps
und Rotwein aus der First verlangen, „weil sie ja
sonst, wie sie dann behaupten, immer ganz vorne
sitzen“. Sie hatte auch schon randalierende Gäste an
Bord, „die um sich schlagen und bei denen wir kurz
davor waren, sie zu fesseln“, erklärt Kaun. Das sei
das allerletzte Mittel, das den Flugbegleitern erlaubt
sei. Meistens sei Alkohol im Spiel. „Männer, die al-
lein eine Flasche Wein leeren, sind keine Seltenheit.“
Oder die einen Gin Tonic nach dem anderen bestel-
len. Doch da hat Kaun ihre Tricks: „Je betrunkener
die werden, umso mehr verdünnt man die Mi-
schung, das merken die dann ja gar nicht mehr.“
HON Schmitz hat derzeit rund 7,9 Millionen Mei-
len auf seinem Konto. „Ich komme überhaupt nicht
dazu, die mal abzufliegen“, sagt er. Für seine Frau
kann er ab und an mal Meilen einlösen, er nimmt sie
dann mit auf Reisen. Sie ist Managerin bei einem
großen russischen Rückversicherer, kann auch von
unterwegs gut arbeiten. Natürlich, meint Schmitz,
würde er den HON-Status vermissen, wenn er ihn
nicht mehr hätte. Aber der Reiz habe abgenommen.
„Ich habe den Status gerade wieder innerhalb von
dreieinhalb Monaten requalifiziert“, sagt Schmitz.
„Das kommt bei mir einfach automatisch durch mei-
nen Job.“
Den Service bei Lufthansa findet er klasse. Gerade
bei Verspätung oder verpasstem Anschluss sei man
als HON schon sehr gut aufgehoben: „Es wird alles
versucht, damit man ohne allzu großen Zeitverlust
an seinen Zielort kommt.“ Wenn sein Langstrecken-
flug aus Asien etwa verspätet in Wien landet und er
dadurch den Anschluss nach Moskau verpasst, blo-
ckiert ihm Austrian meist schon prophylaktisch ei-
nen Sitz auf der nächsten Aeroflot-Maschine – und
das, obwohl die russische Airline noch nicht einmal

Neue Business-Class von Qatar Airways: Die Golf-Airline bietet Trennwände und Doppelbetten.

imago/Belga

imago/Arnulf Hettrich

Luftverkehr und Erderwärmung
Weltweite CO-Emissionen 2016*, Anteile in Prozent

9,4 %
Sonstige
(Dienstleistungen, Land-
und Forstwirtschaft,
Fischerei)

18,9 %
Industrie

5,8 %
Haushalte

2,8 %
Luftverkehr

18,1 %
Straßenverkehr

3,4 %
Sonstiger Verkehr

41,5 %
Strom/Wärme
*Gemessen an den CO-Emissionen aus der Verbrennung fossiler Brennstoffe
HANDELSBLATT • Rundungsdifferenzen Quellen: BDL, IEA

Business-Class der Lufthansa: Das Produkt hat nicht den besten
Ruf, der Ersatz verspätet sich.
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