Stefan Menzel Stuttgart
S
tefan Sommer hätte gern viel mehr Zeit.
„Für die Entwicklung der Verbrenner-
technologie hatte die Automobilindustrie
130 Jahre, für den Wechsel auf den Elek-
troantrieb stehen uns gerade 20 Jahre
zur Verfügung“, sagte der Einkaufsvorstand von
Volkswagen auf dem Handelsblatt Auto-Gipfel in
Stuttgart. Der Umstieg auf eine neue Antriebsart ist
mit gehörigen Risiken verbunden. Insbesondere
die Batterien und die Batteriezellen bereiten der
Automobilindustrie Kopfzerbrechen.
„Die Batteriefabriken gibt es heute noch gar
nicht“, warnte Sommer auf dem Branchentreffen
im Stuttgarter Porsche-Museum. Auch die techno-
logisch führenden asiatischen Zellhersteller wie
Samsung, LG und CATL besäßen in Europa nicht
genügend eigene Produktionsstätten, um den ge-
waltigen Bedarf der Autohersteller zu decken.
Bis zum Jahr 2025 müsse die gesamte Branche
etwa 150 Milliarden Euro in Batteriezellwerke in-
vestieren, um die verschärften Kohlendioxid-
Grenzwerte mit Elektroautos erfüllen zu können.
„Ein Kraftakt“, so Sommer. In einer neuen Unter-
suchung kommen das World Economic Forum
(WEF) und die Unternehmensberatung McKinsey
zu dem Schluss, dass sich der heutige Zellbedarf
bis zum Jahr 2030 vervierzehnfachen wird.
Bei Volkswagen wird es trotzdem keine Umkehr
geben, der Autokonzern hält unverändert an sei-
nen Elektroplänen fest – trotz aller Risiken bei Bat-
teriezellen. „Der Elektrozug ist aus dem Bahnhof
heraus“, versichert Sommer. Der VW-Konzern ist
gewillt, das unternehmerische Wagnis für den
Wechsel auf den Elektroantrieb zu tragen. Die ver-
schärften Emissionsgrenzen lassen dem Wolfsbur-
ger Autohersteller auch keine Alternative. Und na-
türlich spielt dabei auch die Dieselaffäre eine we-
sentliche Rolle: Nach den Abgasmanipulationen
will sich Volkswagen jetzt als ein Unternehmen dar-
stellen, das es mit Klima- und Umweltschutz wirk-
lich ernst meint. Vor allem eben getragen durch
den Systemwechsel auf den E-Antrieb.
Bislang hat der Volkswagen-Konzern jährlich nur
einige wenige Zehntausend Batterieautos produ-
ziert. Das wird sich schon bald entscheidend än-
dern. Anfang November nimmt die VW-Fabrik in
Zwickau die Produktion rein batteriegetriebener
Elektroautos auf. Schon im nächsten Jahr könnten
dort 100 000 E-Autos von den Bändern laufen. Die
Fabrik im Süden Sachsens wurde komplett von der
Verbrennerfertigung auf Elektroautos umgestellt.
Danach geht es Jahr für Jahr mit den Produkti-
onszahlen für E-Fahrzeuge nach oben. 30 Milliar-
den Euro investiert der Konzern, um in den nächs-
ten zehn Jahren 70 neue E-Modelle zu entwickeln.
22 Millionen rein batteriegetriebene Fahrzeuge will
VW zusammen mit den Tochtermarken bis 2028
produzieren. Zum Vergleich: Die Jahresproduktion
bei Volkswagen liegt derzeit bei etwa elf Millionen.
Autos mit Diesel- und Benzinmotor werden zwar
auch in den nächsten zehn Jahren noch millionen-
fach bei Volkswagen produziert, doch ihre Bedeu-
tung nimmt nach und nach ab. Der VW-Konzern
will im Jahr 2050 die Vorgaben des Pariser Kli-
maabkommens erfüllen und dann überhaupt kein
Kohlendioxid mehr emittieren – in der eigenen Fer-
tigung in mehr als 120 Werken und auch mit den
Autos, die diese Fabriken künftig verlassen werden.
Abschied vom Verbrenner
Sommer rechnet deshalb damit, dass das letzte
Volkswagen-Modell mit Verbrennungsmotor um
das Jahr 2040 in Wolfsburg und an anderen Stand-
orten produziert wird. Ende des nächsten Jahr-
zehnts wird bei VW die letzte Modellfamilie in Se-
rie gehen, die noch auf einer Verbrennerplattform
basiert. Die Entwicklungsarbeiten an dieser letzten
Benzin- und Dieselplattform werden um das Jahr
2025 herum beginnen, so lange sind die Vorlaufzei-
ten und die Modellzyklen in der Autobranche.
Als Weltmarktführer ist Volkswagen so groß ge-
worden, dass sich die eigene Fertigung von Batte-
riezellen lohnt. Der Autokonzern will sich bei der
Belieferung mit Zellen also nicht nur auf bekannte
asiatische Hersteller verlassen. „Batterien, das ist
die Schlüsseltechnologie“, betonte VW-Vorstand
Sommer auf dem Auto-Gipfel. Allein die Batterie
mache etwa 40 Prozent des Werts eines Elektroau-
tos aus. Deshalb wolle Volkswagen diese Technolo-
gie auch selbst beherrschen.
Unter den deutschen Autoherstellern ist Volks-
wagen bislang der einzige Konzern, der sich für ei-
ne eigene Fertigung von Batteriezellen entschieden
hat. Volkswagen investiert eine Milliarde Euro für
den Aufbau einer Fabrik im niedersächsischen
Salzgitter. Der Konzern macht das nicht ganz allein;
die Wolfsburger haben dafür ein Joint Venture mit
dem schwedischen Anbieter Northvolt gegründet.
In zwei bis drei Jahren beginnt dort die Produktion
eigener Volkswagen-Batteriezellen.
Die neue Fabrik wird für eine Kapazität von etwa
16 Gigawattstunden ausgelegt. Das dürfte gerade
einmal für rund 250 000 rein batteriegetriebene
Elektroautos ausreichen. Doch der künftige Bedarf
bei Volkswagen ist noch wesentlich größer. VW kal-
kuliert damit, dass nur in Europa bis Mitte des
nächsten Jahrzehnts etwa 150 Gigawattstunden be-
nötigt werden, also knapp das Zehnfache der Salz-
gitter-Kapazität. Volkswagen wird zwar möglicher-
weise noch weitere eigene Zellwerke etwa in Osteu-
ropa errichten. Doch der Konzern bleibt zusätzlich
extrem abhängig von den Lieferungen großer asia-
tischer Zellproduzenten.
Bei Volkswagen gibt es die Hoffnung, dass ein
Teil des Zellbedarfs in absehbarer Zeit auch durch
das Recycling älterer Batterien gedeckt werden
kann. Doch das Batterie-Recycling wird wahr-
scheinlich erst in etwa zehn Jahren eine größere
„Der Elektrozug
ist aus dem
Bahnhof raus“
VW-Vorstand Stefan Sommer verteidigt auf dem Auto-Gipfel den
Wechsel zum Elektroantrieb, trotz aller Probleme mit Batteriezellen.
Die deutsche
Automobil-
industrie hat
ihre besten
Zeiten noch
vor sich.
Bernhard Mattes
VDA-Präsident
Porsche-Museum in
Stuttgart: Hier wurde
über die Zukunft der
Autobranche diskutiert.
Der Gipfel: Bis zum 25. Oktober ist
der Handelsblatt Auto-Gipfel zu
Gast im Porsche Museum Stuttgart.
Neben der Elektromobilität steht
das autonome Fahren im Fokus. Auf
der Bühne sind unter anderem
Porsche-Chef Oliver Blume, Daimler-
Boss Ola Källenius sowie BMW-Chef
Oliver Zipse.
ID.3 von VW: Die Zukunft bei Volkswagen soll
vor allem elektrisch sein.
REUTERS
Stefan Sommer: Ginge es nach dem VW-
Einkaufsvorstand, bräuchte die Autoindustrie
mehr Zeit für den Antriebswechsel.
Marc-Steffen Unger für Handelsblatt
Schwerpunkt
Mobilität der Zukunft
WOCHENENDE 25./26./27. OKTOBER 2019, NR. 206
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