Die Welt Kompakt am Sonntag - 20.10.2019

(Rick Simeone) #1

28 FORUM WELT AM SONNTAG NR.42 20.OKTOBER2019


Proteste und „Nazi!“-RufeProfessor Bernd Lucke während der Vorlesung am Mittwoch,
die niedergeschrieen wurde

DPA

/MARKUS SCHOLZ

allgemeine Empörung hervor-
rief. Dieser Mechanismus be-
steht darin, dass man die Po-
sitionen von politisch Anders-
denkenden vergröbert und ver-
zerrt wiedergibt, um sie mög-
lichst nachhaltig zu diskreditie-
ren. Wer den Euro kritisiert, ist
ein Antieuropäer, wer das Kopf-
tuch verbieten will, ist ein Islam-
feind, wer Greta kritisiert, ein
Klimaleugner. Gewiss, es gibt
auch faire Diskussionspartner,
aber sehr oft findet man in der
öffentlichen Debatte die effekt-
volle Entstellung der gegneri-
schen Position: Wer Abtreibun-
gen ablehnt, will die Frauen
zurück am Herd, wer Seenot-
rettung nicht mit einer Eintritts-
karte in die EU verbinden will,
ist inhuman, und wer in der AfD
ist, ist ein Rassist.
All das liest man ständig. Man
hat sich fast schon daran ge-
wöhnt. Nur dass ein Professor,

m vergangenen Mitt-
woch schrie mich
eine Horde von
Störern im Agathe-
Lasch-Hörsaal der
Universität Hamburg volle 90
Minuten lang nieder. Nicht nur
mich, auch meine Studenten.
Daraufhin erhielt ich eine Flut
von E-Mails, deren Absender
mich ihrer Unterstützung ver-
sicherten. Einer schrieb: „Sie
wurden in Essen niedergeschrie-
en und Sie wurden in Hamburg
niedergeschrieen. Das zeigt, dass
Sie alles richtig gemacht haben.“
Richtig, in Essen wurde ich
auch niedergeschrieen. Das war
auf einem AfD-Parteitag wenige
Tage vor meinem Austritt. Ich
hatte in den Wochen zuvor eine
Richtungsentscheidung der Par-
tei eingefordert und mehr als
3000 Parteimitglieder waren
dafür in die Gruga-Halle ge-
kommen. Immer wieder unter-
brachen hasserfüllte Buh- und
Protestrufe meine letzte Rede
als Parteichef. Zum Beispiel, als
ich über den Islam sprach und
mich für die Religionsfreiheit
einsetzte.
Der E-Mail-Schreiber fand
richtig, was ich damals sagte.
Nun gibt es auch Leute, die
nicht finden, dass ich alles rich-
tig gemacht habe. Das ist in
Ordnung. Man kann mir Fehler
vorwerfen, und ich erläutere
gerne meine Sicht der Dinge, sei
sie ähnlich oder ganz anders
geartet. Wichtig ist, dass sach-
lich argumentiert wird.
Nur ging es weder in Essen
noch in Hamburg um Dialog und
Argumentation. Es ging um
politische Herrschaft. Auf einem
Parteitag hat dies seinen legiti-
men Platz, im Hörsaal einer
Universität jedoch nicht.
Den Störern liegt an der poli-
tischen Meinungsherrschaft: Sie
wollen darüber entscheiden, was
richtig und was falsch ist. Wird
mein politisches Wirken nicht
gutgeheißen, darf ich meinem
Beruf nicht nachgehen. „So ein
Mensch gehört an keine Univer-
sität“, wetterte der Vorsitzende
des Hamburger AStA. Zudem sei
meine Lehre „neoliberal“, und
das würde ohnehin zu viel ge-
lehrt. Offenbar soll politisch
bestimmt werden, zu welchen
Erkenntnissen die Wissenschaft
zu gelangen hat.
Dies wäre eine Posse, wenn es
nur um die politischen Gehver-
suche einiger junger Leute ginge.
Bedeutend aber ist, dass am
Mittwoch der Mechanismus, mit
dem auch andernorts in unserer
Gesellschaft politische Herr-
schaftsansprüche durchgesetzt
werden, so stark überdehnt wur-
de, dass dies endlich einmal

der seine Vorlesung halten will,
ein „Nazischwein“ ist, hatte man
noch nicht so oft gehört.
Gewiss, dieser Professor ist
auch ein Übeltäter, weil er die
AfD gegründet hat, aber „Na-
zischwein“ verbunden mit einem
Angriff auf die Freiheit der Leh-
re ging dann doch zu weit. Und
mancher erinnerte daran, dass
die damals gegründete Partei
politisch ganz anders verortet
war als die heutige AfD. Wobei
selbst die heutige AfD keine
Schlägertrupps durch die Stra-
ßen schickt, den Reichstag nicht
anzündet, keinen Weltkrieg
anzetteln und keine Menschen
vergasen möchte.
Der Versuch, den politisch
Missliebigen zu diskreditieren,
ging diesmal gründlich in die
Hose: Die Störer hatten den
Bogen überspannt. Bundesweit
wurden die Ausschreitungen an
der Universität sofort einhellig

verurteilt. Ausgenommen der
Universitätspräsident und die
Hamburger Wissenschaftssena-
torin. Diese gaben zu Protokoll,
vor dem Hintergrund der deut-
schen Geschichte müssten „dis-
kursive Auseinandersetzungen“
ausgehalten werden.
Da staunt der Laie, und der
Fachmann wundert sich. Man
braucht nicht viel Fantasie, um
sich vorzustellen, wie dieselben
Störungen in den schärfsten
Worten verurteilt worden wären,
wenn AfD-nahe Studenten mich
als „Vaterlandsverräter“ nieder-
geschrieen hätten. Das war in
Essen eine Wortwahl gewesen.
Von welcher Seite auch im-
mer: Die Verunglimpfung des
politisch Andersdenkenden ist
kein probates Mittel einer „dis-
kursiven Auseinandersetzung“.
Aber wir begegnen ihr, wo im-
mer die Position eines Anders-
denkenden ins Negative gezo-

m kommenden Jahr wird
mit 5G in Deutschland der
Nachfolger des LTE-Mobil-
funknetzes eingeführt wer-
den. Mit der 5G-Technik
werden Daten erstmals so
schnell übertragen, dass
neue Anwendungsfälle mög-
lich werden: Autos ohne
Fahrer, die Vernetzung von
nahezu allen Geräten, die
uns umgeben, Telemedizin,
mit künstlicher Intelligenz
optimierte Energieversor-
gung und Landwirtschaft.

VON JOHANNES BOIE

Deutschland hat nicht die
Fähigkeiten, diese Technik
allein umzusetzen. Im digita-
len Zeitalter hinken wir
hinterher. Wie stets sind die
Chinesen zur Stelle, die die
Schwäche anderer Staaten
zum Ausbau der eigenen
Dominanz nutzen: Der Kon-
zern Huawei könnte uns mit
moderner Technik helfen. In
China sind Staat und Wirt-
schaft eng verwoben. In der
vergangenen Woche
schwächte die Bundesregie-
rung Sicherheitsbestimmun-
gen ab, die den Ausschluss
Huaweis ermöglicht hätten.
So wird eine Überwachungs-
diktatur am Bau der wich-
tigsten deutschen Infrastruk-
tur beteiligt sein.
In Hongkong haben der-
weil die verzweifelten Ju-
gendlichen bei ihren Pro-
testen Straßenlampen umge-
treten. In ihrem Inneren
fand sich Überwachungs-
technik aus China. Das Land
ist die perfekte digitale Kon-
trollmaschine. Der Staat
sieht alles, weiß alles, lenkt
alles. Das versucht die Dikta-
tur auch in anderen Ländern
durchzusetzen. So hat das
chinesische Fernsehen alle
Verträge mit der US-Basket-
ballliga NBA gekündet, weil
ein Vereinschef Unterstüt-
zung für die Demonstranten
in Hongkong geäußert hatte.
Aber keine Sorge: In
Deutschland droht uns kein
Ärger aus China. Nicht nur
kuscht die Regierung brav
beim Thema Netzausbau,
auch die meisten Firmen
üben bereits regelmäßig den
Kotau vor der jungen, bruta-
len Weltmacht.

China


hörtalles


LTE-MOBILFUNK

An der Feigheit


krankt das Land


IMPRESSUM

Wer andere Meinungen niederschreit, um zu


herrschen, gefährdet die Freiheit, schreibt der


frühere AfD-Chef Bernd Lucke


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Nr. 97a, gültig ab 1.1.2019

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