Der Spiegel - 19.10.2019

(John Hannent) #1

DER SPIEGEL Nr. 43 / 19. 10. 2019 133


Nachrufe


Sara Danius, 57
Bei einem Vortrag gab die brillante Literaturwissenschaft -
lerin einmal eine pointierte Definition der Moderne:
»There are more and more people that matter to you and
you don’t know.« Einige Jahre vor ihrem Tod wurde die
schwedische Proust- und Joyce-Forscherin selbst zu einer
Prominenten. Zunächst als erster weiblicher Ständiger
Sekretär der Schwedischen Akademie, die unter ihrer Lei-
tung 2015 der weißrussischen Schriftstellerin Swetlana
Alexijewitsch und im darauffolgenden Jahr Bob Dylan (in
Abwesenheit) den Nobelpreis für Literatur verlieh. Dann
als eine Figur auf der Nobelpreisbühne, die mit atemberau-
benden Roben selbst die Königin von Schweden und deren
Töchter bescheiden aussehen ließ. Schließlich legte sie als
lautere Krisenmanagerin der Institution, die sich in einem
drama tischen, auch unwürdigen Prozess Ende 2017 unter
den Augen der Öffentlichkeit geradezu zerlegte, im April
2018 ihr Amt nieder. Danius hatte vor ihrer akademischen
Karriere Basketball in der obersten schwedischen Liga
gespielt und als Croupière gearbeitet; Selbstironie, Eleganz
und eine bemerkenswerte innere Stärke gehörten zu ihrem
Auftreten. Sara Danius starb am 12. Oktober an Krebs.ES

Horst Hilpert, 82
Von Beruf war er Präsident des Verfassungsgerichtshofes
im Saarland, berühmt wurde er als »Chefankläger« des
Deutschen Fußball-Bundes. Horst Hilpert mochte diese
Bezeichnung nicht, offiziell war er Vorsitzender des Kon-
trollausschusses vor dem DFB-Sportgericht. Als Hüter
über die Fairness hatte er viel zu tun: Er kümmerte sich um
pöbelnde Trainer, korrupte Schiedsrichter, brutale Spieler –
immer auf der Suche nach Gerechtigkeit im Profisport. Und
dabei schrieb Hilpert ein kleines Kapitel Bundesligahistorie.
1995 ließ er den damals bei Borussia Dortmund spielenden
Nationalspieler Andreas Möller wegen eines vorgetäusch-
ten Foulspiels sperren, einer sogenannten Schwalbe. Ein
Novum: Die BVB-Anhänger tobten, Experten diskutierten,
und die Geschichte gab Hilpert recht. Heute beschwert
sich kein Fan mehr, wenn Spieler für Schwalben bestraft
werden. »Ich will den Fußball ehrlicher machen«, sagte er
und handelte danach. Horst Hilpert starb am 15. Oktober
in seinem Geburtsort Bexbach im Saarland. ULU

Harold Bloom, 89
»Was soll ich lesen?« ist eine
Frage, die sich jeder Leser
immer wieder stellt. Das
Leben ist kurz, und es gibt
viele Bücher. Die Macht
des Literaturwissenschaft-
lers Harold Bloom, den
die »New York Times« den
»berüchtigtsten Buchkritiker
Amerikas« nannte, beruht
darauf, eine klare Antwort
formuliert zu haben: »Der
westliche Kanon«, wie sein
berühmtestes Buch heißt.
Für Bloom zählte nur die
Kraft der literarischen
Vorstellungskraft – und die
Giganten der westlichen
Literatur. Shakespeare nann-
te er »Gott«. Mit seiner

Haltung steht Bloom im
Gegensatz zu einer Geistes-
wissenschaft, die in ihren
Urteilen Geschlecht, Klasse
und Hautfarbe ins Feld
führt. Blooms Lesehunger
war legendär, er hatte ein
fotografisches Gedächtnis,
konnte ganze Romane aus-
wendig und brauchte für die
Lektüre eines 400-Seiten-
Buches angeblich nur eine
Stunde. In seinem Werk
»Einfluss-Angst« entwickelte
Bloom eine Theorie der Poe-
sie, die davon ausgeht, dass
Dichter ihre Kunst gegen
die Tradition erkämpfen.
Bloom wuchs in der Bronx
als Sohn eines jüdisch-ortho -
doxen Schneiders auf und
lehrte die meiste Zeit seines
Lebens an den Universitäten
von Yale und New York.
Vorvergangene Woche hielt
er seine letzte Lehrveran -
staltung ab. Harold Bloom
starb am 14. Oktober in
New Haven.RAP

Anke Fuchs, 82
Dass mit dem Begriff Homo
politicus in der Regel Män-
ner umschrieben werden,
könnte sie als Kränkung
empfunden haben. Kaum
jemand in ihrer Generation
lebte so sehr für die Politik
und kämpfte so leiden-
schaftlich für Gleichstellung
und Gerechtigkeit wie die
Sozialdemokratin Anke
Fuchs. Schon vor dem Abi-
tur trat die Tochter des
ehemaligen Hamburger
Ersten Bürgermeisters Paul
Nevermann der SPD bei
und machte rasch Karriere,
erst auf lokaler, dann auch
auf Bundesebene. Kanzler
Helmut Schmidt holte sie
erst als Staatssekretärin in
sein Kabinett, 1982 dann
wurde sie für ein halbes
Jahr Bundesfamilienminis-
terin, bis die sozialliberale
Koalition zerbrach. Im
Geschichtsbuch der SPD
hat Fuchs einen festen Platz.
1987 wurde sie als erste
Frau Bundesgeschäftsführe-
rin der Partei, von 2003
an leitete sie fast acht Jahre
lang die Friedrich-Ebert-
Stiftung. Fuchs’ Laufbahn
verlief nicht ohne Brüche,
in Sachsen kandidierte
sie erfolglos für das Amt
der Ministerpräsidentin,
und Bundestagsvizepräsi-
dentin wurde sie erst im
dritten Anlauf. Nicht allen
mächtigen Männern in
der SPD gefielen ihr kämp-
ferisches Naturell und ihr
kantiges Auftreten, was frei-
lich mehr über die Männer
aussagt als über sie. Anke
Fuchs starb nach langer
Krankheit am 14. Oktober
in Wilhelmshaven. VM

PASCAL LE SEGRETAIN / WIREIMAGE / GETTY IMAGES

SVEN SIMON / IMAGO

MARK MAHANEY / THE NEW YORK TIMES / REDUX / LAIF
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