damals schon: Der IS ist besiegt, wir kön-
nen gehen. Aus Protest trat daraufhin Ver-
teidigungsminister James Mattis zurück.
Trump verschob den Abzug vorerst.
Mattis’ Abschiedsbrief war voller Bit-
terkeit – und zugleich eine Abrechnung
mit der US-Außenpolitik unter Trump.
Der Präsident habe das Recht auf einen
Verteidigungsminister, dessen Ansichten
mehr mit seinen eigenen in Einklang stün-
den, schrieb Mattis – anders formuliert:
Er ist der falsche Mann, wenn Trump den
Nahen Osten ins Chaos stürzen will.
Intern soll Mattis zuvor immer wieder
davor gewarnt haben, die Kurden in Nord-
syrien im Stich zu lassen. Ausdrücklich er-
innert der General in seinem Brief an die
Bedeutung von Bündnissen für Amerika:
Er glaube fest daran, dass die Stärke der
USA als Nation, als Weltmacht, vor allem
auf engen Beziehungen zu Verbündeten
beruhe. Die USA könnten ihre Interessen
niemals schützen, ohne diese Bündnisse
zu verteidigen und zu pflegen.
Der Zorn des Generals und die schlech-
ten Schlagzeilen, die der Rücktritt für
den Präsidenten mit sich brachte, mach-
ten offenbar Eindruck auf Trump: Sei-
nem damaligen Sicherheitsberater John
Bolton gelang es, den Präsidenten zu-
nächst von seinem Syrienbeschluss ab -
zubringen. Eindringlich warnte Bolton
Trump vor einem Wiedererstarken der
IS-Miliz, sollte Amerika sich aus Syrien
zurückziehen.
Doch nun ist auch Bolton weg, im Wei-
ßen Haus und im Pentagon hat sich Trump
mit einer Riege von Ideologen oder loya-
len Fahrensleuten umgeben, man könnte
sie auch Schleimer nennen. Obwohl sie
es eigentlich besser wissen müssten, zei-
gen Außenminister Mike Pompeo oder
auch der neue Sicherheitsberater Robert
O’Brien wenig Interesse daran, den eigen-
sinnigen Chef unter Kontrolle zu bringen.
So gibt es eigentlich auf seiner Seite nur
noch eine Macht, die Trump einzuhegen
versucht. Es sind die Außenpolitikexper-
ten der Republikaner im Kongress. Leute
wie Lindsey Graham, aber auch Liz
Cheney, die einflussreiche Tochter des
früheren Vizepräsidenten unter George
W. Bush, Dick Cheney. Seit Trump seine
Entscheidung zum Abzug verkündet hat,
gehen sie und andere Republikaner fast
täglich gegen Trump auf die Barrikaden:
»Der Abzug der US-Truppen ist ein kata-
strophaler Fehler«, zürnt Cheney. Am
Mittwoch verabschiedete das Repräsentan-
tenhaus mit einer großen Mehrheit von
354 zu 60 Stimmen eine Resolution, die
Trumps Syrienpolitik verurteilt. 129 Repu-
blikaner stimmten gegen die eigene Re -
gierung.
14 DER SPIEGEL Nr. 43 / 19. 10. 2019
Wer der Türkei
Waffen liefert
Anteile an allen
Großwaffenimporten
2013 bis 2018,
in Prozent
USA 57 %
Spanien
Italien 13 17
Südkorea
5
Sonstige
5
Deutschland 3%
Im Jahr 2018 wurden in Deutschland Rüstungs-
exportgenehmigungen für die Türkei im Wert
von 13 Millionen Euro erteilt.
Quellen: Sipri, Bundesregierung
MICHAEL REYNOLDS / EPA / REX
US-Präsident Trump im Weißen Haus: »Seien Sie kein Narr!«
Trump hat den Widerstand offenbar un-
terschätzt, der ihm von den Republikanern
entgegenschlägt. Er reagiert mit einer
Mischung aus Trotz und Aktionismus, die
seine Außenpolitik noch erratischer er-
scheinen lässt und die einstmals stolze
Weltmacht der Lächerlichkeit preisgibt.
Mal ruft er Erdoğan empört zu einem
Ende der Kampfhandlungen in Syrien auf
und verhängt Sanktionen gegen die Türkei,
wie am vergangenen Montag, als er unter
anderem die Erhöhung des Strafzolls auf
türkischen Stahl auf 50 Prozent verkün-
dete. Dann wieder geht er auf Distanz zu
den Kurden und verteidigt seine Entschei-
dung, die US-Truppen aus der Region ab-
zuziehen.
Die Kurden könnten sich selbst vertei-
digen, verkündet Trump am Mittwoch im
Oval Office. Sie wüssten schließlich, »wie
man kämpft«. Und überhaupt: Die Kurden
seien »keine Engel. Wirklich nicht«.
Der bizarre Höhepunkt ist ein Brief,
den der US-Präsident vergangene Woche
abschickte an Erdoğan, drei Tage nach sei-
nem Entschluss, die US-Soldaten abzuzie-
hen. Das Schreiben ist nur wenige Zeilen
lang und in der typischen Trump-Twitter-
Sprache aufgesetzt: »Lassen Sie uns einen
guten Deal aushandeln«, fordert der US-
Präsident von Erdoğan. »Seien Sie kein
Narr!« Am Ende schließt er mit: »Ich rufe
Sie später an.«
Für Trump ist die Syrienkrise zwar we-
niger bedrohlich als die Ukraineaffäre.
Doch auch in den eigenen Reihen dürften
nun allmählich die Zweifel an seiner Zu-
rechnungsfähigkeit wachsen.
Selbst das sonst so Trump-treue »Wall
Street Journal« von Medienzar Rupert
Murdoch gibt dem Präsidenten eine klare
Warnung mit auf den Weg. Trump sollte
sich vorsehen, schreibt das Blatt in einem
Leitartikel, mehr und mehr Republikaner
würden seine Urteilsfähigkeit als »Com-
mander in Chief« infrage stellen. Und:
»Mit dem drohenden Amtsenthebungs -
verfahren kann er es sich nicht leisten,
noch mehr Freunde zu verprellen.«
Europas Hilflosigkeit
Ein Diner im Élysée-Palast, im vornehmen
VIII. Arrondissement – es gibt wahr -
scheinlich schlimmere Termine für Angela
Merkel. Und trotzdem dürfte dieses ge-
meinsame Essen mit dem französischen
Präsidenten Emmanuel Macron am ver-
gangenen Sonntag vor allem eines gewe-
sen sein: frustrierend. Permanent riefen
europäische Regierungschefs an, um sich
mit Deutschen und Franzosen über Er-
doğans Einmarsch in Syrien zu beraten.
Die Europäer halten die Offensive der
letzten Tage für falsch. Sie fürchten Tote,
Massenvertreibungen, eine neue Flücht-
lingskrise. Sie können oder wollen ihr je-