Das Attentat von Halle begann im Netz,
mit einer Radikalisierung des Täters in ein-
schlägigen Foren. Im Netz auch suchte er
nach Bauanleitungen für Waffenteile, die
er später offenbar in der Werkstatt seines
Vaters herstellte. Und ins Netz schließlich
stellte er ein Pamphlet, in dem er sein Vor-
haben detailliert beschrieb.
Ein halbes Jahr lang bereitete sich Bal-
liet vor, wohl ohne sich jemandem mitzu-
teilen, dann fand das Attentat statt. Zwei
Morde, ganz real, und das Vorhaben, in
einer Synagoge ein Massaker anzurichten.
Im Netz dann kursierte das Video, kurz
nach der Tat sahen es mehr als 2000 Men-
schen. Der Text Balliets wurde ebenso im
Netz geteilt, von zwei Brüdern aus Mön-
chengladbach zum Beispiel, gegen die we-
gen des Verdachts der Volksverhetzung
ermittelt wird.
Er sei ein »nicht sozialer Mensch«, soll
der 27-Jährige Balliet bei seiner Haft -
vorführung in Karlsruhe gesagt haben.
Der antimuslimische Terroranschlag von
Christchurch in Neuseeland mit 51 Toten
sei »eine Art Initialzündung« für ihn ge-
wesen. Im Frühjahr hat Balliet den Ermitt-
lungen zufolge den ersten Teil seines drei
Dateien umfassenden Pamphlets für das
Netz verfasst.
In der Berliner Politik ist nun ein Streit
entbrannt, wie man diesen Tätertypus mit
seiner großen Affinität zum Netz bekämp-
fen kann. Die Union hatte am Montag
zahlreiche Maßnahmen gefordert, darun-
ter die Vorratsdatenspeicherung. Telekom-
munikationsfirmen sollen verpflichtet wer-
den, Verbindungsinformatio-
nen und Standortdaten länger
als derzeit zu speichern. Das
umstrittene Projekt liegt auf
Eis, nachdem 2017 das Ober-
verwaltungsgericht Münster
entschieden hat, dass die Re-
gelung teilweise gegen Europa -
recht verstößt.
Experten wie Sven Herpig
von der Stiftung Neue Verant-
wortung halten solche Vor-
schläge für Aktionismus. »Die Vorrats -
datenspeicherung hätte im konkreten Fall
nicht geholfen, die Tat zu verhindern.«
Und zur Aufklärung hätten die Ermittler
nun Smartphone und Rechner des Täters
zur Verfügung, mit allen Daten.
Umstritten ist zudem das Ansinnen,
künftig nicht nur der Polizei, sondern
auch dem Verfassungsschutz zu erlauben,
Handys und Laptops von Verdächtigen zu
hacken, um deren Kommunikation mitzu-
lesen, bevor sie verschlüsselt wird. Dieses
Recht fordern Union und Verfassungs-
schutzpräsident Thomas Haldenwang für
sein Amt (siehe folgende Seite). Ein Ent-
wurf des Innenministeriums zu einer
Gesetzes änderung liegt im Justizministe-
rium, das aber Änderungen fordert. Unter
anderem will es die parlamentarische Kon-
trolle erweitern. Mehrmals die Woche tref-
fen sich die Fachleute beider Ministerien,
der Druck sei hoch, heißt es.
Kritiker bemängeln, dass der Staat zum
Hacken Schwachstellen in den Geräten
ausnutzen und deshalb absichtlich Sicher-
heitslücken offen halten müsse. Das wie-
derum könne Einfallstore für Kriminelle
und Spione öffnen. »Diesen fundamenta-
len Widerspruch hat die Große Koalition
bis heute nicht aufgelöst«, sagt der Grü-
nen-Innenexperte Konstantin von Notz.
Einig sind sich Innenminister Horst See-
hofer (CSU) und Justizministerin Christine
Lambrecht (SPD), dass die Anbieter von
Plattformen verpflichtet werden sollen,
kriminelle Inhalte, wie einen Aufruf zum
Mord, nicht nur zu löschen, sondern auch
anzuzeigen. Eine entsprechende Gesetzes-
änderung soll schon in der nächsten oder
übernächsten Kabinettssitzung verabschie-
det werden.
Langfristig komme man aber nicht um-
hin, über eine strategische Aufklärung im
Internet nachzudenken, sagt der Innen -
experte der Unionsfraktion, Armin Schus-
ter. Ihm geht es um »verdächtige extremis-
tische Inhalte«, er zielt auf eine Art Ras-
terfahndung 2.0.
Mehr Verfassungsschützer, die sich ver-
deckt in rechtsextremen Foren aufhalten,
seien zwar hilfreich. »Effektiv aber ist nur
eine zusätzliche automatisierte Überwa-
chung.« Es gibt sogenannte Webcrawler,
Programme, die das Netz nach verräteri-
schen Inhalten durchforsten können. Ihr
Einsatz wird auch in den Si-
cherheitsbehörden diskutiert.
»Da stehen wir in der Debatte
aber noch am Anfang«, sagt
Schuster.
»Die Sicherheitsbehörden
und die Politik müssen sich
eingestehen, dass wir Täter
dieses Typs nicht alleine in
den Griff bekommen werden«,
warnt Sebastian Fiedler vom
Bund Deutscher Kriminal -
beamter. »Wir alle sind aufgefordert, sol-
che Verbrechen zu verhindern.« Es fehle
jedoch an Präventionsangeboten für junge
Männer, die solche Tendenzen zeigten,
sagt Fiedler. Lediglich an der Universität
Gießen gebe es eine solche Einrichtung.
In Sachsen-Anhalt steht derweil Innen-
minister Holger Stahlknecht (CDU) unter
Druck. Die jüdischen Gemeinden in Halle
und Magdeburg sagen, sie hätten die Poli-
zei um mehr Schutz gebeten, gerade an
Feiertagen. Stahlknecht widerspricht, sol-
che Bitten habe es nie gegeben.
Seine Behörde wird auch dafür kritisiert,
dass am jüdischen Feiertag kein Streifen-
wagen vor der Synagoge in Halle stand.
Der Minister argumentiert, das Bundes-
kriminalamt habe keine akuten Gefahren
gesehen. Die Beamten des BKA hatten
allerdings nur allgemein die Gefährdungs-
lage beschrieben, die Landeskriminal -
ämter erstellen für gewöhnlich detaillier-
tere Analysen für ihr jeweiliges Land.
Das sei eine »fatale Fehleinschätzung
der Polizei« gewesen, sagt die linke Land-
tagsabgeordnete Henriette Quade. »Dafür
trägt auch Stahlknecht die Verantwortung.«
Sollte es einen Beleg für die Aussagen der
jüdischen Gemeinden geben und sollten
weitere Fehleinschätzungen der Behörden
herauskommen, könnte es Stahlknecht
schwerfallen, sich im Amt zu halten.
Melanie Amann, Jörg Diehl,
Martin Knobbe, Timo Lehmann,
Sven Röbel, Wolf Wiedmann-Schmidt
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Deutschland
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Quelle: Bundesamt für Verfassungs-
schutz; Stand: 31. Dez. 2018
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Rechts-
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